Der Anfang war turbulent, der Fortgang ungewiss: Mitten in der Corona-Krise erwarben Laurenz und Lena Schmidt das riesige Hofgut Wiggenweiler in der Absicht, es wieder zum Pferdehof zu machen. Noch ehe sich die Besitzerfamilie Merkel für sie als Käufer entschieden hatte, packten die Schmidts bei der Heuernte im Juni mit an. „Wir wollten der Familie helfen, denn beim Heuen wird jede Hand gebraucht und es wäre ja auch unser Heu gewesen“, sagt Laurenz Schmidt. Im August erhielten sie den Zuschlag von Merkels, die das Hofgut aus gesundheitlichen Gründen nicht weiterführen konnten.

Im Jahr 2013 entging der Hof nur knapp einer Katastrophe, als eine Lagerhalle mit 700 Rundballen Stroh und Heu niederbrannte. Verletzt wurde niemand, es waren über 200 Feuerwehrkräfte im Einsatz, 16 Pferde wurden aus dem benachbarten Stall evakuiert. Der Schaden belief sich damals auf rund 100 000 Euro.
Lena und Laurenz Schmidt lernen sich in Kanada kennen
Das Paar hat sich auf einer biologisch-dynamisch betriebenen Farm mit Ackerbau und Tieren nahe Toronto/Kanada kennengelernt. Die 27-jährige Lena Schmidt hatte dort ein Praktikum absolviert, Laurenz, 29 Jahre, ein Jahr als Betriebshelfer gearbeitet. Gemeinsam zogen sie in Lena Schmidts Heimat bei Rosenheim, wo auch die Kinder Paula (vier Jahre) und Raphael (zwei Jahre) geboren sind. Während sie als Tagesmutter arbeitete, war er sieben Jahre im Projektmanagement tätig und studierte „nebenbei“, nach einer 50/60-Stundenwoche, Wirtschaftspsychologie und BWL.

Liebe auf den ersten Blick beim Hofgut Wiggenweiler
Irgendwann kam der Wunsch nach etwas Eigenem. Sie suchten nach einem Hof für Pferde im süddeutschen Raum in Alpennähe. Da Lena Schmidt bereits als 14-Jährige zwei Pferde hatte, früh in einem großen Reitverein eingebunden und an großen Turnieren beteiligt war, lag ein Reiterhof nahe. Ein Inserat über ein klassisches Immobilien-Portal führte sie nach Wiggenweiler. Lena kannte die Region schon von den Ferien bei der Oma aus Heiligenberg und Laurenz‘ Mutter ist in Überlingen aufgewachsen.
Es war wohl Liebe auf den ersten Blick: „Nach der Fahrt durch viel Wald tat sich die riesige Waldlichtung auf. Das war ein Wow-Effekt und uns war klar, das ist ein Platz zum Leben. Die Gebäude haben viel Historie und das reizte mich“, sagt Laurenz Schmidt. Was Wunder, erinnerte er sich doch an das ebenfalls sehr abgelegene Jagdschlösschen in der Nähe von Kassel, in dem er aufgewachsen war und vor ihm Generationen seiner Familie. Dort wurde er auch mit Land- und Forstwirtschaft vertraut.

Laurenz Schmidt freut sich auf spannendes Projekt
Zurück aufs Hofgut: Wie risikobereit muss man sein, um als junge Menschen 83 Hektar Land mit Feld, Wald, Wiesen und Äcker, vier Wohn- und 17 Wirtschaftsgebäuden zu erwerben? Mit seinem Business-Plan hat Laurenz Schmidt auch ein örtliches Geldinstitut überzeugt. Trotz Corona und Tiefpunkt in der Wirtschaft. Mit Null mussten sie beginnen. Der von Familie Merkel 25 Jahre lang etablierte Reitstall mit gutem Namen sollte aufgegeben werden; alle Einsteller hatten sich daraufhin anderweitig orientiert. In einem Jahr haben Schmidts es von Null auf 55 geschafft.
Einige ehemalige Merkel-Kunden waren zurückgekehrt, die meisten neu, weil sie das geänderte Konzept ansprach. Es sieht vor, dass Einsteller sorglos und ohne viel Organisation entspannt in den Urlaub fahren können. Seit 1. Januar 2021 ist der Hof auch komplett biozertifiziert, was gutachterlich bestätigt worden sei. Den Demeterhafer gibt es vom Nachbarn, das Biomüsli kommt aus dem Allgäu.
Start während Corona forderte die Familie heraus
Das zweite Standbein sind die sieben familienorientierten Ferienwohnungen. Die Familie ist Mitglied bei Urlaub auf dem Bauernhof und einige der wenigen, die Biohof-Ferienwohnungen anbieten. „Man muss ja doch jeden Tag die Ferienwohnungen putzen, da ist es ein anderes Wohngefühl, wenn man weiß, dass es ohne chemische Belastung geht“, so der 29-jährige Hofgut-Besitzer.
Kissen und Bezüge sind aus naturbelassenen Stoffen und Füllung oder für Allergiker aus alternativen Materialien. Dass die neuen Eigentümer wegen der Pandemie sechs Monate schließen mussten, war für sie als junges Start-up-Unternehmen „schon eine Herausforderung und die Überbrückungshilfe zur Deckung der Fixkosten wurde erst eineinhalb Jahre später gezahlt“, sagt Laurenz Schmidt.

Vom Pferdeglück profitieren die Halter
Mehr Glück hatten sie mit ihren Mitarbeitern: Claudia Steiert, eine sehr gute Freundin von Diana Merkel, die mit ihr vor 25 Jahren bereits gearbeitet hatte, konnte für eine weitere Mitarbeit gewonnen werden. Sie hat maßgeblich das Konzept für die neue Pferdeausrichtung begleitet.

Denn hier geht es vorrangig ums Pferd – und nicht um den Halter. Das wird beispielsweise an den Fütterungsintervallen und Weidegängen deutlich. Das Rauhfutter, Heu, wird zuerst gegeben, weil das Pferd das zum Vorverdauen braucht. Nach einer Pause erhält es das Kraftfutter. Danach geht es – ganzjährig – auf die Weide.
So ein großer Betrieb funktioniert nicht ohne Mitarbeiter. Zu den fünf Festangestellten gehört Lukas Czimmek, Partner von Lena Schmidts Schwester, die mit ihrer Familie ebenfalls auf dem Hof wohnt. Ihm obliegt die Organisation der Mitarbeiter. Auch hier gibt es ein Konzept: Sie nehmen an einem Programm teil, das junge Menschen weltweit vermittelt. Sie arbeiten auf dem Hof und erhalten dafür Kost und Logis. Spanier, Nordamerikaner, Chinesen, Afrikaner und bedingt durch Corona viele Deutsche waren da; derzeit ist Daniele aus Costa Rica in Wiggenweiler. Hier leben neben den Pferden auch andere Tiere: Fünf Katzen und Leonberger „Emmet“.

Bald Okay für ersten Aktivstall?
Kaum haben Schmidts und Co. alles einigermaßen im Lot, reift schon das nächste Projekt, das kurz vor der Genehmigung steht: „Wir etablieren am Bodensee einen Aktivstall. Die stehen bei den Pferdehöfen im Ranking immer ganz oben.“ Das Konzept sieht Pferde in der Offenhaltung vor. Sie tragen alle einen Chip. Der bestimmt, wann welches Pferd welches Futter bekommt und wann es berechtigt ist, auf die Koppel und in bestimmte Bereiche zu gehen.

Laut Landesgestüt Marbach ist dies die artgerechteste Haltung und garantiere auch dem rangniedrigsten Tier, dass es an Futter kommt. Futterneid ist meist der Grund für Streit unter den Vierbeinern. Wegen der Größe von geplanten 5000 Quadratmetern muss das Landwirtschaftsamt noch grünes Licht geben. Das sei sehr herausfordernd, weil es das im Bodenseekreis noch nicht gebe, so Laurenz Schmidt.