Seit Ende 2019 liegt in Berlin die Empfehlung des Regierungspräsidiums Tübingen auf dem Tisch, für den Ausbau der B 31 zwischen Immenstaad und Meersburg die Trasse B1 vierspurig zu realisieren. Sie führt bestandsnah von Meersburg kommend südlich an Stetten vorbei, schwenkt nach Norden in den Weingartenwald, verläuft zwischen Reute und Kippenhausen, nördlich an Immenstaad/Siedlung vorbei und schließt am Bauende an die neue Ortsumgehung Friedrichshafen an, die sich derzeit noch im Bau befindet.

Wie weit reichen die Planungen zurück?

Die Pläne, die Verkehrsprobleme im Bodenseeraum zu lösen, reichen allerdings weit in die Vergangenheit zurück. Der Beginn der Überlegungen zu einer West-Ost-Verbindung nördlich des Bodensees liegt nach Angaben des Regierungspräsidiums Tübingen weit im letzten Jahrhundert. Wir haben uns in den Archiven auf eine Spurensuche begeben.

Georg Exner, früherer Leiter der Überlinger Lokalredaktion, erinnert sich an die einstigen Verkehrsplanungen am Bodensee.
Georg Exner, früherer Leiter der Überlinger Lokalredaktion, erinnert sich an die einstigen Verkehrsplanungen am Bodensee. | Bild: Tol

Vor 1940: Die erste Karte für eine Bodenseeautobahn gab es offenbar bereits vor 1940. Der frühere Leiter der Überlinger Lokalredaktion, Georg Exner, schrieb 1988 in einem Beitrag über eine Karte der „Reichsautobahn 1938“: „Wirft man nun aus der Perspektive des Bodenseeanrainers einen interessierten Blick auf diese Karte, so entdeckt man im erweiterten Grundnetz nicht nur die heutige Bodensee-Autobahn zwischen Stuttgart und Singen, sondern auch, hiervon abzweigend, einen Autobahnast am nördlichen Bodenseeufer von Singen nach Lindau.“

Die Debatten um eine Bodenseeautobahn

1960er und 70er Jahre: Ernsthaft wurden die Planungen einer Autobahn am Bodensee allerdings erst viele Jahre später mit der A 98. In der sogenannten blauen Broschüre des Regierungspräsidiums Tübingen (1995) heißt es dazu: „In den 60er Jahren wurde mit der Autobahn A 98 (Stockach-Wangen) im Bodenseehinterland und mit Ortsumfahrungen im Zuge der B 31 eine konzeptionelle Lösung der verkehrlichen Probleme am Bodensee entworfen.“ Heute gilt die von Lindau nach Singen geplante Autobahnstrecke allerdings als Musterbeispiel von Uneinigkeit. Bereits im Februar 1973 schrieb die Stuttgarter Zeitung beispielsweise vom zähen „Ringen um die Linienführung der Bodenseetrasse – Interessengemeinschaften streiten sich um seenah oder seefern“. Bei einem Vororttermin zwei Monate später sprach der zuständige Minister von einer „völlig in sich zerstrittenen Landschaft“.

Ende des Tauziehens in den 70er Jahren?

1973/1974: Im Oktober dann die Meldung vom vermeintlichen Ende des Tauziehens um die Trassenführung: Die Landesregierung hatte der vom Ministerium vorgeschlagenen Trasse zugestimmt. Doch die sogenannte „seenahe Trassenführung“ wurde laut einem SÜDKURIER-Artikel (Februar 1974) von der „Stadt Überlingen, den Nachbarorten Nesselwangen, Bonndorf und Hödingen sowie einigen Bürgerinitiativen im Raum Überlingen und im Salemertal abgelehnt“. Der Kreistag sprach sich hingegen für die amtliche Trasse aus, auch Friedrichshafen gab im Mai 1974 grünes Licht für diese Streckenführung.

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1977 bis 1980: Zahlreiche Debatten folgten, die Fronten schienen verhärtet. Im März 1977 die Schlagzeilen, dass die Überlinger CDU-Fraktion einen Bürgerentscheid zur Autobahn fordert. Im April 1978 schließlich das Votum des Bürgerentscheids gegen eine „seenahe Autobahn“. „Bei der Auszählung sprach sich eine Mehrheit der Wahlberechtigten gegen die Fortführung der Autobahn A 98 ab Stockach bis zunächst Überlingen aus“, erinnert sich auch Georg Exner. Es folgten zahlreiche Stellungnahmen und Aktionen von Autobahnbefürwortern und -gegnern. Im Mai 1980 erstmals die Meldung: „Eine Autobahn am nördlichen Bodenseeufer, als Querverbindung zwischen Stockach und Lindau, wird es in diesem Jahrzehnt nicht geben.“ Stattdessen wird der Ausbau der B 31 als leistungsfähige Querverbindung ins Spiel gebracht.

Wie ging es danach weiter?

In der blauen Broschüre des Regierungspräsidiums Tübingen heißt es über diese Zeit: „Die A 98 wurde dann jedoch infrage gestellt und gemäß dem Auftrag des Bedarfsplanes 1980 einer Beurteilung nach gesamtwirtschaftlichen, regional-politischen und ökonomischen Kriterien unterzogen.“ Insbesondere die Untersuchungen über die Umweltverträglichkeit (1984) hätten ergeben, dass die Linienführung der A 98 ökologisch nicht vertretbar sei. So wurde bei der Bedarfsplanfortschreibung entschieden, anstatt der Autobahn 98 den einbahnigen Neubau der B 31 zwischen Stockach bis östlich Eriskirch in den Bedarfsplan 1985 aufzunehmen. Ergänzt wird dies in der blauen Broschüre mit dem Hinweis, dass eine einbahnige Straße in der Regel zwei oder drei Fahrstreifen hat. Es folgten laut Regierungspräsidium Umwelt- und Vekehrsuntersuchungen, Georg Exners Angaben zufolge aber auch ein jahrelanges zähes Tauziehen zwischen Straßenbauern und mehreren Umweltschutzverbänden um den Bau einer leistungsfähigen Entlastungsstraße.

Umweltgutachten zunächst nicht öffentlich

Heftig diskutiert wurde über das Umweltverträglichkeitsgutachten, das zunächst weder Behörden noch Landtagsabgeordnete, geschweige denn die Öffentlichkeit zu Gesicht bekamen. Jürgen Resch, damals Vorsitzender des BUND-Regionalverbands Bodensee-Oberschwaben, heute Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, bescheinigte der baden-württembergischen Landesregierung in dem Zusammenhang ein „eigenartiges Vorgehen“, wie der SÜDKURIER im Mai 1985 schrieb. Amtliche Stellen und Politiker seien dazu gezwungen gewesen, sich zum Gutachten zu äußern, ohne Details zu kennen.

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Für Resch besonders brisant: Im Gutachten heißt es: „Aus ökologischer Sicht sind die negativen Folgewirkungen einer 2-spurigen Straße auf Natur und Landschaft im Vergleich zu einem 4-spurigen Ausbau nur unerheblich geringer.“ Für den BUND lehnte Resch daher nicht nur den Bau einer Autobahn Stockach-Lindau ab, sondern auch den Bau einer zweispurigen Entlastungsstraße im seenahen Hinterland des Bodenseekreises.

Jürgen Resch, heute Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, wohnt in Überlingen.
Jürgen Resch, heute Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, wohnt in Überlingen. | Bild: Stefan Hilser

Nicht von seiner Ablehnung betroffen sei die Umgehung von Ludwigshafen und Sipplingen durch das Nesselwanger Tal bei Überlingen, sagte er damals. Laut SÜDKURIER setzte er sich für eine „großräumige Verkehrsführung“ zwischen Basel und dem bayerischen Raum unter Ausklammerung des näheren Bodenseebereiches ein.

Starke Proteste aus der Landwirtschaft

Gegen die Realisierung der Bundesstraße waren auch die „Vereinigten Bürgerinitiativen gegen eine Bodensee-Autobahn“. Sprecher Wolfgang Jürgensmeier übergab eine Resolution an den damaligen baden-württembergischen Innenminister Dietmar Schlee. Darin hatten ansässige Landwirte formuliert: „Die Landwirtschaft stellt für die Umgehungsstraßen schon ca. 200 ha bester Böden zur Verfügung. Wegen der sogenannten Entlastungsstraße mit zusätzlich 360 ha plus umfangreiche Nebenbauwerke sollen ‚eine ganze Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe ihre Existenz verlieren‘, und es kommen viele weitere Familienbetriebe in große Schwierigkeiten. Im Bereich des Nesselwanger Tales opfern wir nur Gelände für die Ortsumgehung Sipplingen/Ludwigshafen, jedoch keinesfalls für einen autobahnähnlichen Ausbau ohne Lärmschutz und Grünbrücke.“

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Befürworter der Straße waren die „Bürgeraktionen für den Bau der Bundesstraße 31-neu“ in Ludwigshafen und Sipplingen. Sie wiesen zum Beispiel mit einer Postkarte mit der Aufschrift „In Sipplingen am Bodensee – da gibt‘s den schönsten Stau. Juchhee...“ auf die Verkehrsbelastungen hin. Außerdem hegten sie große Bedenken bezüglich der „Bedrohung durch den täglichen Transport von wassergefährdenden Frachten entlang des Sees“, wie der SÜDKURIER im August 1985 schrieb. Auch Demonstrationen oder Aktionen, wie den Verkehr zeitweise über Überlingen-Bonndorf und -Nesselwangen umzuleiten, wurden vorgeschlagen.

Die verschiedenen B-31-Abschnitte

Demonstriert wird heutzutage ebenfalls – nur in Sachen B 31-neu für den Abschnitt Meersburg/West bis Immenstaad. Unter anderem rief das B-31-neu-Bündnis Pro 7.5 Plus im Sommer 2019 zur Demonstration auf der alten Bundesstraße auf. 1500 Menschen kamen, um sich für einen seefernen oder -nahen Bau der B 31-neu zwischen Meersburg und Immenstaad einzusetzen.

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1989 bis 2001: Die konzeptionelle Phase für den Abschnitt Immenstaad-Meersburg dauerte laut Regierungspräsidium Tübingen zunächst von 1989 bis 1995. In einem Arbeitskreis erarbeiteten Behörden, Kommunen, Verbände und Bürgerinitiativen 15 Trassenvarianten. Die sieben seefernen und acht seenahen Varianten wurden überprüft und vier Planungsfälle/Varianten gingen ins Raumordnungsverfahren (1999 bis 2001).

„Der nördliche Bodenseeuferbereich ist durch den Kraftfahrzeugverkehr sehr stark belastet. Überregionale, regionale und überörtliche und örtliche Verkehre überlagern sich in einem Straßennetz aus Bundes-, Landes- und Kreisstraßen. Durch die Wechselbeziehungen wirken sich bestehende Überlastungen einer Straße zwangsläufig auf andere aus. Einzelne Aus- oder Neubaumaßnahmen führen daher kaum zu befriedigenden Lösungen, sondern müssen in ein Gesamtkonzept eingebracht werden.“
Blaue Broschüre 1995

Die vier verbliebenen Varianten wurden weiter untersucht, das waren die seeferne Variante 2a sowie die seenahen Varianten 0.1 (Ausbau), 7.5 und 9.3. Die Variante 2a stimmte nach Angaben des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg mit den Erfordernissen der Raumordnung nicht überein. Die Variante 7.5 galt als die günstigste und konfliktärmste Lösung.

Günstigste und konfliktärmste Lösung wird ermittelt

Es schloss sich das Linienbestimmungsverfahren bis 2006 an. Mit der „Optimierung der Variante 7.5 bei Uhldingen-Mühhofen“ wurde laut Ministerium daraus die Variante 7.5 W2. Diese Linie wurde vom Bundesministerium für Verkehr im Jahr 2006 bestimmt und diente als Grundlage für den Weiterbau der B 31-neu zwischen Meersburg und Immenstaad.

Dieses Bild kommt einem bekannt vor, Menschen versammeln sich bei einer Bürgerversammlung zur B 31 in Immenstaad in den 2000er ...
Dieses Bild kommt einem bekannt vor, Menschen versammeln sich bei einer Bürgerversammlung zur B 31 in Immenstaad in den 2000er Jahren vor den Plänen. | Bild: Susann Ganzert

Im Jahr 2006 wurde das Projekt aber vorerst auf Eis gelegt. „Aufgrund zahlreicher Projekte war die Kapazität der Planer damals erschöpft“, sagte Projektleiter Matthias Kühnel vom Regierungspräsidium Tübingen im Sommer 2018. Daher seien zunächst Projekte umgesetzt worden, die im Planungsprozess weiter fortgeschritten waren.

Verfahren stoppt, über Jahre passiert nichts

2014/2015 sei der Anschub zur Fortsetzung des Verfahrens aus der Region gekommen und im Regierungspräsidium ein Planungsteam ganz neu aufgebaut worden. Verkehrs- und Umweltgutachten mussten nach der fast zehnjährigen Pause erarbeitet und die Grundlagen an die heutige Gesetzgebung angepasst werden.

Die Verkehrsplanung für den Bereich nördlich des Bodensees reichen weit zurück. Hier etwa die Skizzen für den einstigen Planfall 7.5.
Die Verkehrsplanung für den Bereich nördlich des Bodensees reichen weit zurück. Hier etwa die Skizzen für den einstigen Planfall 7.5. | Bild: Archiv

Verkehrsminister Winfried Hermann gab 2015 den Startschuss für den derzeit laufenden Planungsprozess. Zu dem Zeitpunkt lagen bereits erste Trassenvorschläge und Einschätzungen auf dem Tisch, in welchem Bereich eine Straße eher genehmigungsfähig sei, heißt es dazu auf der Internetseite B 31 im Dialog. In dem Dialogforum soll die Region beispielhaft an der Straßenplanung beteiligt werden. Die Mitglieder werden regelmäßig vom Regierungspräsidium und den beauftragten Gutachtern über ihre Arbeit informiert. Ferner gehören öffentliche Informationsveranstaltungen zu dem Konzept.

Erneut auf der Suche nach einer B-31-neu-Trasse

Die drei Gutachterbüros für Verkehr, für die Auswirkungen auf Mensch, Umwelt und Natur sowie für die technische Planung wurden in den Jahren 2016 und 2017 beauftragt. In dieser Zeit entwickelten sich alleine aus dem Dialogforum heraus 20 Vorschläge für den möglichen Trassenverlauf. Vorschläge gab es aber genauso aus der Bevölkerung. Aufgrund der Ergebnisse der Gutachten kamen Ende 2018 neun Trassen in die engere Wahl. Im Frühjahr 2019 wurde diese Liste um die Kombivarianten mit Tunnelbauten bei Hagnau erweitert. 2019 erklärt das Regierungspräsidium auch, wie viele Spuren die neue Straße haben soll, um den Verkehr optimal aufzunehmen: nämlich vier.

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Die verbliebenen Trassen wurden technisch geplant und auf ihre Auswirkungen hin untersucht. Unter anderem Lärm und Luftschadstoffe sowie Kosten. Außerdem wurde betrachtet, wie die Trassen an das übrige Straßennetz angeschlossen werden können. An vielen Stellen werden die Straßenverläufe wegen aktueller Erkenntnisse nochmals konkretisiert, was bei Immenstaad zum Beispiel ein Heranrücken an die Siedlung bedeutet. Noch vor Weihnachten 2019 entscheidet sich das Regierungspräsidium für die Vorzugstrasse B1.

Bild 5: Von der Idee einer Bodenseeautobahn zum Ausbau der B 31-neu: Wir nehmen Sie mit auf eine Zeitreise durch die Planungsphasen der wichtigsten Ost-West-Verkehrsachse im Bodenseekreis
Bild: Südkurier

Das Landesverkehrsministerium sei schon mit im Boot, sagte Projektleiter Matthias Kühnel im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur liegen die Pläne und Gutachten aktuell vor. Der Bund ist der Bauträger und muss sein OK geben. Die Bevölkerung soll im ersten Quartal dieses Jahres erfahren, weshalb die Empfehlung B1 lautet.

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