Um 15 Uhr wollte das Mobile Impfteam eigentlich wieder Stifte, Spritzen und Desinfektionsmittel einpacken und die Helfer sollten in den Feierabend gehen. Doch um diese Zeit standen immer noch mehrere Dutzend Impfwillige aus der nahen und weiten Region auf einer Länge von rund 200 Metern an, um sich im Rathaus Wittenhofen die Booster-Impfung zu holen, sich erstmals oder zum zweiten Mal impfen zu lassen. Bis 20 Uhr Uhr – fünf Stunden länger als geplant – arbeitete das Team und mit ihnen Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung in Wittenhofen.

Vier Stunden Wartezeit waren keine Ausnahme

Vier Stunden Wartezeit waren keine Ausnahme. Was bewegte die Impfwilligen dazu, das in Kauf zu nehmen? Roland Ehinger aus Ahausen, der bereits geimpft ist, begleitete seine 16-jährige Tochter Carina zur Erstimpfung. Sie hatte sich aus freien Stücken dazu entschieden.

Carina Ehinger, hier mit Vater Roland, ließ sich zum ersten Mal impfen.
Carina Ehinger, hier mit Vater Roland, ließ sich zum ersten Mal impfen. | Bild: Christiane Keutner

„Man hat mehr Freiheiten und kann überall hingehen. Ich hatte anfangs Bedenken, weil man nicht weiß, was in einigen Jahren ist. Aber dann habe ich gedacht, wenn ich 16 bin, lasse ich mich impfen.“ Dem Entschluss gingen jedoch intensive Überlegungen voraus. „Wir haben uns vom Kinderarzt beraten lassen. Im Impfzentrum wurde uns erst davon abgeraten, eine unter 16-Jährige impfen zu lassen. Nachdem die Stiko aber grünes Licht gegeben hat, fiel der Entschluss“, so der Vater.

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Bei der Hausärztin hätte es erst am 30. Dezember einen Termin gegeben

81 Jahre ist Ute Häßler aus Bermatingen. Sie wartet seit zweieinhalb Stunden mit Krücken in der Kälte. Die hat sie nach drei Operationen in jüngster Zeit vorsichtshalber mitgenommen, weil sie nicht wusste, wann sie an die Reihe kommt. Heute möchte sie sich „boostern“ lassen. In ihrem Entschluss wurde sie durch ein Ehepaar bekräftigt, das trotz zweifacher Impfung an Covid erkrankte und ins Krankenhaus musste.

Ute Häßler harrte wacker auf Krücken aus, um sich in Wittenhofen boostern zu lassen.
Ute Häßler harrte wacker auf Krücken aus, um sich in Wittenhofen boostern zu lassen. | Bild: Christiane Keutner

„Das Impfen ist bitter notwendig. Es sollten noch mehr Mobile Impfstationen eingerichtet werden. Erst drei Wochen nach der Empfehlung, sich ein drittes Mal impfen zu lassen, kam die Entscheidung, Impfzentren wieder zu installieren“, kritisiert sie die späte Entscheidung. Als sie endlich telefonisch zu ihrer Hausärztin durchgedrungen war, hätte sie dort frühestens am 30. Dezember geimpft werden können.

Günter Ruetz aus Friedrichshafen kam spontan zur Booster-Impfung.
Günter Ruetz aus Friedrichshafen kam spontan zur Booster-Impfung. | Bild: Christiane Keutner

Ganz spontan hatte sich Günter Ruetz aus Friedrichshafen entschlossen, nach Wittenhofen zu fahren. Er steht seit zwei Stunden in der Schlange, jetzt ist er etwa in der Mitte angekommen. „Ich hab von der Aktion heute Morgen in der Zeitung gelesen und möchte die dritte Impfung mit Biontech, weil ich im Umfeld fünf Corona-Fälle habe. Alle waren sie zweimal geimpft, aber sie haben mit Kindern in der Schule zu tun“, erklärt er seinen Entschluss. In dem Hort seien zwei ungeimpfte Erzieherinnen und die Schulleitung wisse davon. Es habe geheißen, sie bräuchten keinen Mundschutz in der Gruppe, obwohl sie nicht geimpft seien, sagt er und schüttelt den Kopf: „Das ist unverantwortlich!“ Die Mobile Impfaktion findet er gut. Gerne hätte er aber gewusst, wie lange er noch warten muss, bis er an der Reihe ist.

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Bereits zwei Stunden vor Beginn stehen die ersten Impfwilligen an

Um 8 Uhr, zweieinhalb Stunden vor Beginn, standen bereits Impfwillige vor der Tür, berichtet Ordnungsamtsleiter Simon Günter: „Wir haben alles uns zur Verfügung stehende Mobiliar auf die Gänge gebracht, damit die Leute sitzen können und unsere zwei Azubis leiten die Leute weiter, damit diese ins Warme kommen, die machen das ganz prima.“ So geht es zuerst ins Erdgeschoss und dutzendweise in die zwei oberen Stockwerke in den Sitzungssaal. Dort sind Wartebereich, Anmeldung, der aufklärende Arzt und die Impfkabinen.

Daumen hoch im Rathaus: Ordnungsamtsleiter Simon Günter freut sich über die Resonanz des Impfangebots, das die Gemeindeverwaltung ...
Daumen hoch im Rathaus: Ordnungsamtsleiter Simon Günter freut sich über die Resonanz des Impfangebots, das die Gemeindeverwaltung Deggenhausertal koordiniert hatte. | Bild: Christiane Keutner

Wie auch bei den Testzentren ist Deggenhausertal mit diesem Angebot wieder einmal ganz vorne dabei. Wie kommt‘s? „Wir sind eine Verwaltung mit jungen, motivierten Bürgermeister und Amtsleitern. Wir haben Lust, etwas zu bewegen und zu helfen, damit wir alle bald wieder zurück zu einem Stück Normalität kommen, und wenn es bloß 300 Personen sind, die hier geimpft werden können. Aber auch das ist den Aufwand wert. Ich werde mir auch die dritte Impfung holen, wenn ich dran bin. Anders kommen wir aus der Pandemie nicht mehr raus“, sagt Ordnungsamtsleiter Simon Günter.

Bürgermeister Fabian Meschenmoser blickt auf die Schlange der Impfwilligen vor dem Rathaus. Die Gemeinde stellt auch für einen zweiten ...
Bürgermeister Fabian Meschenmoser blickt auf die Schlange der Impfwilligen vor dem Rathaus. Die Gemeinde stellt auch für einen zweiten Termin seine Räume zur Verfügung. | Bild: Christiane Keutner

„Wir stellen ja nur die Räumlichkeiten“, wehrt Bürgermeister Fabian Meschenmoser bescheiden ab. Als sie vom Angebot des Gesundheitsamtes Konstanz von der Möglichkeit eines Mobilen Impfteams erfahren hatten, hatten sie sich gleich für zwei Termine gemeldet. Das Ganze sei ganz unkompliziert vonstatten gegangen, es wurde nur der Bedarf für einen Raum plus Toiletten angemeldet. Dass die auch von ihm gelobten Auszubildenden Linda Waldherr und Julia Litz den Ablauf managen, war wohl nicht vorgesehen, erleichterte aber die Arbeit wesentlich.

Die Auszubildenden Linda Waldherr (links) und Julia Litz leiteten die Wartenden im Rathaus in Wittenhofen peu à peu zum Impfen.
Die Auszubildenden Linda Waldherr (links) und Julia Litz leiteten die Wartenden im Rathaus in Wittenhofen peu à peu zum Impfen. | Bild: Christiane Keutner

Sie leiteten die Wartenden etagenweise weiter, gaben Auskünfte, verteilten Anmeldebögen und stießen auf überwiegend freundliche, dankbare und geduldige Wartende. „Mich freut die gute Resonanz, weil das Impfen das Einzige ist, was uns weiterbringt“, so Meschenmoser. Er weiß auch um das Angebot im Bodenseekreis, Mobile Impfstationen verstärkt in den Gemeinden einzusetzen, sodass die Anfahrtswege kurz sind. Für den zweiten Impftermin am 13. Dezember überlege man sich eine Anmeldepflicht mit Zeitvorgaben, auch weil es dann sehr viel kälter sein könnte. Weil die Hemmschwelle, zu kommen aber ohne Anmeldung niedriger sei, habe man nach der Empfehlung erst einmal darauf verzichtet.

Linda Waldherr (links) und Julia Litz managten den Ablauf im Rathaus. Hier übergaben sie Markus Rank den Aufnahmebogen.
Linda Waldherr (links) und Julia Litz managten den Ablauf im Rathaus. Hier übergaben sie Markus Rank den Aufnahmebogen. | Bild: Christiane Keutner

Das dritte Lob für die Auszubildenden und das Impfteam kam vom ehemals praktizierenden Dr. Walter Weiß. „Die machen das ganz großartig. Der Staat ist unfähig, so etwas zu organisieren und es war schon im Frühjahr ein Theater“, findet der Arzt im Ruhestand klare Worte. Lucia Bothin aus Markdorf sitzt bereits kurz vor der Impfstation: „Man soll Vorbild sein. Ich will mich und andere schützen“, begründet sie ihren Gang zur Booster-Impfung.

Trotz einer Wartezeit von vier Stunden ist Lucia Bothin (vorne) froh über die Impfmöglichkeit. Die Auszubildende Linda Waldherr (links), ...
Trotz einer Wartezeit von vier Stunden ist Lucia Bothin (vorne) froh über die Impfmöglichkeit. Die Auszubildende Linda Waldherr (links), die mit Julia Litz das Management im Rathaus übernommen hat, weist einer anderen Dame gerade den Weg. | Bild: Christiane Keutner

Ihr Sohn habe ihr auch dazu geraten, damit sie Weihnachten gemeinsam feiern können. Ihr Impftermin beim Hausarzt wäre erst Mitte Dezember gewesen, „das war mir zu spät“. Sie machte das Beste aus über vier Stunden Wartezeit: „Ich habe mich mit netten Leuten unterhalten können. Glühwein und Grillwurst wären auch nicht schlecht gewesen“, scherzt sie noch und ist voll des Lobes über die Organisation.

Markus Rank aus Markdorf ließ sich und seine Eltern boostern. Er kritisiert die langsame Umsetzung von Impfaktionen durch die Politik.
Markus Rank aus Markdorf ließ sich und seine Eltern boostern. Er kritisiert die langsame Umsetzung von Impfaktionen durch die Politik. | Bild: Christiane Keutner

„Das Angebot ist gut. Vielleicht könnte man das noch besser organisieren, dass man nicht so lange anstehen muss“, meinte Markus Rank aus Markdorf, weist aber auch auf den Nachteil hin: Die digital Erfahrenen kämen dann eher zum Zug. Der 51-Jährige lässt sich zusammen mit seinen Eltern das dritte Mal impfen. „Warum dauert das drei Wochen, bis so etwas organisiert ist?“, fragt auch er sich. Das erlebe man immer wieder. „Am Impfstoffmangel kann es jetzt nicht gelegen haben.“

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Viel Kritik an der Schließung der Impfzentren

Froh darüber, sich Luft machen zu können, ist Angelika Schneider aus Ravensburg: „Man wusste, dass die über 60-Jährigen zum Boostern kommen. Da hätte man die Impfzentren nicht schließen dürfen. Jetzt müssen Leute mit Stöcken und im Rollstuhl in der Kälte anstehen.“ Auch eine andere Frage treibt sie um: „Warum dürfen Ärzte in Krankenhäusern nicht impfen?“

Angelika Schneider aus Ravensburg machte ihrer Empörung über die Politik Luft und freute sich aber zugleich umso mehr über das mobile ...
Angelika Schneider aus Ravensburg machte ihrer Empörung über die Politik Luft und freute sich aber zugleich umso mehr über das mobile Impf-Angebot im Deggenhausertal. | Bild: Christiane Keutner

Sie wüsste von einigen, die das gerne täten. „Die Hausärzte hatten anfangs gesagt, sie schafften das. Einige waren gegen Impfzentren und dergleichen. In Amerika geht man zum Impfen in den Supermarkt und bekommt noch eine Bratwurst dazu. Die Leute, die man mühsam überzeugt hat, sich impfen zu lassen, kann man nicht animieren, stundenlang in der Kälte zu stehen. Das ist die Schuld der Landesregierung“, kritisiert Angelika Schneider.

Die letzten Rathaus-Mitarbeiter verlassen um 20.10 Uhr das Haus

Den großen Andrang konnte man wohl nur vermuten: Zwischen 430 und 450 Personen wurden geimpft, der letzte mit der letzten Wunsch-Dosis von Biontech um 19.45 Uhr. Nach dem Aufräumen verließen die letzten Rathaus-Mitarbeiter dann um 20.10 Uhr das Haus, berichtet Simon Günter: „Das war ein tolles Impfteam. Die Mitarbeiter haben gesagt, sie bleiben, bis der letzte geimpft sei. Dass das so super angenommen wurde, ist erfreulich!“