Das Frickinger Tüftlermuseum gehört zu den ungewöhnlichsten Geschichtsschauen im weiten Umkreis. Derzeit befindet sich die alte, per Wasserturbine betriebene Mechanikerwerkstatt im Winterschlaf. Wenn es die Corona-Pandemie erlaubt, sollen sich die original erhaltenen Räume aber am 1. Mai kommenden Jahres wieder als Museum für Besucher öffnen. Dann kehrt Leben zurück in die wasserturbinenbetriebene Mechanikerwerkstatt, in der die Besucher lebendige Technikgeschichte erleben können – in voller in Funktion. Denn die Transmissionen zu den Werkbänken funktionieren auch noch 125 Jahre, nachdem die Familie Widmer die Werkstatt im Jahr 1896 erbaute.

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Jubiläumsfest zum 125. Geburtstag ist in Planung

Dieses 125. Jahr des Bestehens der Widmer‚schen Werkstatt möchte Bürgermeister Jürgen Stukle gebührend begehen, wie er aktuell auf SÜDKURIER-Anfrage mitteilt. Zusammen mit Museumsverein und Stiftungsrat werde nach einem passenden Modus gesucht, erklärt er. Beispielsweise könne er sich eine Ausstellung vorstellen, ähnlich jener zum 15-jährigen Geburtstag des Tüftlermuseums.

Allerorten sieht es so aus, als käme Karl Widmer gleich wieder zurück. Schmierstoffe oder Lösungsmittel stehen halb verbraucht da, so ...
Allerorten sieht es so aus, als käme Karl Widmer gleich wieder zurück. Schmierstoffe oder Lösungsmittel stehen halb verbraucht da, so wie der 1901 geborene Mechaniker sie hinterließ, als er seine Werkstatt 1999 zuschloss. | Bild: Martin Baur

Unverändert seit dem Ersten Weltkrieg

Bedeutender für die Werkstatt als ihr Alter ist indes: Seit dem Ersten Weltkrieg, seit über 100 Jahren also, wurde kaum noch etwas verändert. Hinter den alten Türen der original bewahrten Werkstatt verbergen sich ungeahnte Erfinderschätze der Frickinger Tüftlerfamilie Widmer sowie des ehemaligen Lehrlings Josef Maier.

Tüftlerwerkstatt in Betrieb Video: Birgit Bergmüller

Drei ganz besondere Exponate

Es sind nur wenige Schritte, die Besucher aus der digitalen Informationszeitalter zurückbringen in eine Vergangenheit, die noch gar nicht so lange her ist, uns indes doch so weit entfernt scheint. In welch‘ alte Welt man in dem Gebäude am Altheimer Ortseingang in Richtung Lippertsreute und Rickenbach eintaucht, davon künden unzählige Werkzeuge und Werkzeugmaschinen. Besonders hervorzuheben sind dabei drei Exponate: Erstens das raffinierte Transmissionsriemen-System, das bis heute alle vorhandenen Maschinen antreiben kann. Dann eine Drehbank, wie es sie im weiten Umkreis nicht gab und auf der sich riesige Werkstücke einspannen und bearbeiten ließen. Und dann ein ungewöhnliches Exponat, das davon zeugt, wie innovativ der einstige Lehrling Josef Maier in Laufe seines Erfinderlebens wurde. Die Rede ist von einem „Taumelmotor“ Marke Eigenbau, der ein Flugzeug antreiben sollte.

Der Prototyp des Taumelscheibenmotors von Josef Maier, der in der Frickinger Tüftlerwerkstatt zu sehen ist.
Der Prototyp des Taumelscheibenmotors von Josef Maier, der in der Frickinger Tüftlerwerkstatt zu sehen ist. | Bild: Martina Wolters

Eigenkonstruierte Drehbank für Werkstücke bis 3,2 Meter

Seine ausgebufften Tüfteleien ermöglichten Karl Widmer, Dinge wieder in Stand zu setzen, die andernorts gar nicht bearbeitet werden konnten. So erstellte er im Jahr 1920 aus Fertigteilen eine für die damalige Zeit überdimensionierte Drehbank mit einer Gesamtdrehlänge von beachtlichen 3200 Millimetern. Damit konnte der Mechanikermeister sogar für Mühlen benötigte, riesige Wellen oder großformatige Riemenscheiben einspannen und bearbeiten.

Auch heute müsste man lange suchen, um eine Drehmaschine oder „Drehbank“, wie man früher gerne sagte, zu finden, an der man ...
Auch heute müsste man lange suchen, um eine Drehmaschine oder „Drehbank“, wie man früher gerne sagte, zu finden, an der man Werkstücke von bis zu 3,2 Metern bearbeiten kann. Sie ist Marke Eigenbau aus dem Jahr 1920 und gehört zu den Glanzstücken in der Frickinger Tüftlerwerkstatt. | Bild: Martina Wolters

Auch der Strom fürs Licht wurde selbst gemacht

Alle vorhandenen Säge-, Fräs, Hobel-und Bohrmaschinen wurden und werden bis heute von einem vielgliedrigen Transmissionsriemen-System per Wasserkraft angetrieben. Über Wellen, Umlenkrollen und Riemenscheiben kommt die Kraft zu den Maschinen in die beiden Werkstatträume. Und weil die Wellen durch die Wand ins Freie reichen, war es möglich, auch Maschinen außerhalb des Werkstattbereichs anzutreiben. Widmer konnte dank des historischen Riemengetriebesystems plus Wasserkraft sogar schon vor der allgemeinen Elektrifizierung 1924 lokal Strom herstellen und seine Werkstatt beleuchten.

An dieser zweiten, kleineren Drehbank ist der Riemenantrieb gut zu erkennen, über den die Wasserkraft die Metallbearbeitungsmaschine ...
An dieser zweiten, kleineren Drehbank ist der Riemenantrieb gut zu erkennen, über den die Wasserkraft die Metallbearbeitungsmaschine antreibt. Der Riemen kann auf unterschiedliche Treibraddurchmesser gelegt werden, um so die Geschwindigkeit der Maschine zu regeln. | Bild: Martin Baur

Karl Widmer reparierte noch mit 98

Das heutige Tüftlermuseum im Frickinger Ortsteil Altheim war von 1896 bis zum Jahr 2002 die Werkstatt der Altheimer Familie Karl Widmer – und den Karl gab es gleich dreimal. Der älteste Karl, ein Baumeister aus Bruckfelden, hatte die abgebrannte Ölmühle 1896 gekauft, mitsamt allen Wasserrechten, und baute sie zusammen mit seinem Sohn Karl neu auf. Der dritte Karl in der Dynastie kam 1901 zur Welt und erlernte das Mechaniker-Handwerk bei seinem Vater.

Karl Widmer – der Frickinger Tüftler starb im November 2003 im Alter von 102 Jahren, wenige Monate nach der Eröffnung des Museums.
Karl Widmer – der Frickinger Tüftler starb im November 2003 im Alter von 102 Jahren, wenige Monate nach der Eröffnung des Museums. | Bild: Gemeinde Frickingen

Bis zu seinem 98. Lebensjahr reparierte er in den Räumlichkeiten an der Altheimer Hauptstraße defekte Landmaschinen, Motoren oder Fahrräder. Seine Reparaturwerkstatt entwickelte sich während Widmers Lebens- und Arbeitszeit zu einer Anlaufstelle für Kunden aus der weiten Region. Widmer starb hoch betagt im Alter von 102 im November 2003 – kurz nach der Eröffnung des Tüftlermuseums im Juni. Im Jahr 2018 feierte die Gemeinde das 15-jährige Jubiläum des Museums mit der Herausgabe des von Heimatforscher und – dichter Albert Mayer verfassten Buchs über Josef Maier sowie mit einer Ausstellung während der Herbstmarktwoche.

Das System der Riemen und Umlenkrollen überträgt die Wasserkraft nicht nur in zwei Werkstatträume, sondern auch nach draußen, so konnten ...
Das System der Riemen und Umlenkrollen überträgt die Wasserkraft nicht nur in zwei Werkstatträume, sondern auch nach draußen, so konnten auch Geräte vor der Werkstatt im Freien angetrieben werden. | Bild: Martin Baur

Ein findiger Lehrling mit Hang zur Fliegerei

Mitte der 1930-er Jahre kam ein weiteres Tüftlergenie nach Altheim. Der damals 14-jährige Josef Maier aus dem Ortsteil Bruckfelden begann seine Mechaniker-Lehre bei Widmer. Dem findigen Lehrling mit Affinität zu Motorenbau und Fliegerei ist eine eigene Abteilung im Museum gewidmet. Die sogenannte Josef-Maier-Stiftung wird von Maiers späterer Ehefrau Bernadette finanziert. Ausgestellt ist hier unter anderem der Prototyp eines von Maier zu Kriegszeiten konstruierten Taumelmotors.

Der Eingang am Ortsanfang von Frickingen-Altheim in Richtung Überlingen-Lippertsreute. Von außen lässt sich kaum erahnen, welche ...
Der Eingang am Ortsanfang von Frickingen-Altheim in Richtung Überlingen-Lippertsreute. Von außen lässt sich kaum erahnen, welche Erfinder-Schätze sich hinter den Türen der Altheimer Werkstatt verbergen. | Bild: Martina Wolters

Motoren-Prototyp war 1983 in Paris ausgestellt

Der für seine mögliche Leistung von rund 100 PS sehr leichte Motor war für die Anwendung in Flugzeugen gedacht. Als Maier Anfang der 1980-er Jahre in Rente ging, arbeitete er weiter an seinem „kompakten Verbrennungsmotor mit taumelscheibenartigem Kolbenantrieb und Drehschiebesteuerung“, wie es Heimatforscher Albert Mayer in der Josef Maier-Biografie aus der Patentschrift zitiert. Der Motoren-Prototyp war sogar im Jahr 1983 auf der Internationalen Luftfahrtmesse in Paris ausgestellt.

Kulturamtsleiterin Birgit Bergmüller zeigt den gegenläufigen Hubschrauber-Rotor aus der Feder des Frickinger Erfinders Josef Maier.
Kulturamtsleiterin Birgit Bergmüller zeigt den gegenläufigen Hubschrauber-Rotor aus der Feder des Frickinger Erfinders Josef Maier. | Bild: Martina Wolters

Auch Teile des Hubschraubers zeigt das Tüftlermuseums

Maier ließ sich nach seiner Kriegsgefangenschaft im französischen Saint Claude als Unternehmer nieder. Zusammen mit dem Markdorfer Firmenchef Josef Wagner entwickelte er einen Helikopter mit zwei gegenläufigen Rotoren. Start- und Landebahn verlegten sie auf den Bodensee. Zuvor hatten sie Kufen unter dem Hubschrauber angebracht. Später wurde auf dem Dornier-Gelände weiter getestet. Nach einigen Bruchlandungen kam ein leistungsstärkerer Motor zum Einsatz. Doch die weiteren Versuchs-Flüge waren wenig erfolgreich. Der in Zusammenarbeit mit Wagner gebaute Hubschrauber ist heute im Hubschraubermuseum in Bückeburg ausgestellt. Die Konstruktion des gegenläufigen Rotors indes sowie der Prototyp des Taumelscheibenmotors sind im Frickinger Tüftlerwerkstattmuseum ausgestellt.

Bernardette Maier, Ehefrau von Motorkonstrukteuer Josef Maier, im Gespräch mit Karl Widmer.
Bernardette Maier, Ehefrau von Motorkonstrukteuer Josef Maier, im Gespräch mit Karl Widmer. | Bild: Familienarchiv Maier
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