In der Friedrichshafener Praxis von Kinderärztin Carmen Heide-Zinn spielten mit Corona infizierte Kinder nur eine geringe Rolle. „Wir hatten wenige infizierte Kinder, oft waren es nur Zufallsbefunde“, sagt sie. Wenn die Kinder überhaupt Symptome hatten, dann seien sie eher mild gewesen. „Ein bisschen Fieber, etwas Husten, aber nichts Besorgniserregendes“, sagt die Kinderärztin. Allerdings habe sie viele stark belastete, gestresste und verängstigte Kinder und Jugendliche gesehen. Belastet nicht durch das Virus selbst, sondern durch die Maßnahmen; Kontaktverbote, Kita- und Schulschließungen, Einschränkungen bei Spiel und Sport.

„Es ist einfach nicht normal, dass sich 14-Jährige nur mit ein, zwei Freunden treffen dürfen und die Schulen monatelang geschlossen sind“, sagt sie, „das hat viele stark beeinträchtigt.“ So stark, dass sie sich nun sehnlich Normalität wünschen – und genau die verspricht die Impfung. Doch das hält Heide-Zinn für schwierig: „Hier geht es ja um eine Impfung – und die hat eben auch Risiken.“
Viele Familien seien verunsichert, berichtet die Ärztin – und ärgert sich auch wenig darüber, dass unzählige Politiker relativ sorglos vorschnell Reihenimpfungen an Schulen gefordert hatten – ohne dabei Fachkenntnisse zu haben und ohne auf die wissenschaftliche Empfehlung des Expertengremiums, der Ständigen Impfkommission (Stiko), zu warten. Damit seien Schulöffnungen und Freiheiten mit Impfungen verknüpft worden. „Ich impfe Kinder- und Jugendliche nur in Einzelfällen gegen Covid-19, zum Beispiel wenn eine Vorerkrankung mit erhöhtem Risiko für einen schweren Verlauf besteht oder es im engen Familienkreis jemanden gibt, der nicht geimpft werden kann, etwa aufgrund einer Chemotherapie.“ Damit liegt Kinderärztin Carmen Heide-Zinn voll auf Linie der Stiko, denn die empfiehlt die Corona-Impfung derzeit nur für risikobehaftete Kinder und Jugendliche.

Der Grund für die Zurückhaltung der Stiko: Da Kinder und Jugendliche selbst durch Corona kaum gefährdet sind, müsste eine Impfung sehr sicher sein, um sie allgemein allen gesunden Kindern empfehlen zu können. „Dafür fehlen aktuell Daten, deshalb halte ich die Stiko-Empfehlung für sehr vernünftig“, erklärt Germar Büngener, der als Lungenarzt in Friedrichshafen arbeitet und als Vorsitzender der Kreisärzteschaft Bodensee auch Kollegen berät. „Jeder Einzelarzt muss es mit seinem Gewissen vereinbaren, dem Kind eine Impfung zu geben, von der man nicht weiß, welche Risiken sie bringt.“ Die Frage dabei sei immer: Bringt die Impfung dem Kind einen Nutzen? Oder möglicherweise einen Schaden? Dabei liege eine große Verantwortung bei den Ärzten.
„Wir verimpfen ja kein Wasser“
„Wenn eine Familie ein gesundes Kind gegen Covid impfen lassen will, frage ich sie zunächst nach ihren Beweggründen. Und dann frage ich: Was sagen Sie zu mir, wenn ich ihr Kind impfe und es dann mit einer Sinusvenenthrombose an der Impfung stirbt?“ Denn genau das, also schwere, seltene Nebenwirkungen, könnten aktuell noch nicht ausgeschlossen werden, erläutert Büngener weiter. Dann werde es meistens still – und die meisten Eltern beschließen, doch lieber noch ein bisschen abzuwarten. „Wir verimpfen kein Wasser, sondern einen Impfstoff, den wir in dieser Altersgruppe kaum kennen“, sagt der Arzt, „die Rückkehr zur Normalität für gesunde Kinder und Jugendliche damit zu verbinden, ist Propaganda.“ Als Arzt habe er dann die Aufgabe, die Kinder und Jugendlichen umfassend aufzuklären – und die Impfpropaganda der Politik mit dem Elternhaus zu besprechen.
Schule, Urlaub, Freizeit – Gründe, sich impfen zu lassen?
Auch der Internist Andreas Kirsner, der in seiner Corona-Schwerpunktpraxis in Oberteuringen viele Erwachsene impft, sagt: „Die Möglichkeit, Urlaub zu machen, in die Schule zu gehen oder die Freizeit zu gestalten, darf auf keinen Fall mit einer Impfung verknüpft werden.“ Immer wieder kämen Eltern, die ihr Kind impfen lassen wollen, weil ein Verwandtschaftsbesuch bei älteren Familienmitgliedern oder ein Urlaub ansteht. „Alles keine Gründe für die Covid-19-Impfung eines gesundes Kindes“, sagt Kirsner und verweist auf die Möglichkeit des Testens.

Zwei Kinder habe Kirsner bereits geimpft – eins selbst schwer krank im Rollstuhl, das andere lebt mit der Großmutter zusammen, die sich nach einer Transplantation nicht selbst impfen lassen kann. „Wir halten uns ganz stark an die Stiko-Empfehlung“, sagt er, „und impfen nicht auf Wunsch der Eltern.“ Wichtig sei es, das Umfeld zu impfen – Großeltern, Eltern: „Wenn beispielsweise eine Schwangere kommt, die ihr Kind impfen lassen will, impfe ich zuerst die Schwangere selbst.“
Zwei Dinge sind Kirsner zufolge wissenschaftlich eindeutig belegt: Kinder selbst erkranken nur sehr selten schwer. Und: Kinder sind nicht die schuldigen Vektoren, also die Überträger, in dieser Pandemie. „Die Zielgruppe ist also die Falsche“, sagt der Mediziner. Und so lange der Impfstoff noch so knapp sei und noch nicht mal alle Großeltern und Eltern geimpft seien, käme eine politische Diskussion um Kinderimpfungen auch zur falschen Zeit.
Was passiert im Herbst?
Doch was, wenn sich die Infektionslage im Herbst nach einem virusarmen Sommer wieder verändert und mehr Menschen an Corona erkranken? „Die Schulschließungen dauerten in Deutschland extrem lange, viel länger als in anderen Ländern, das darf auf keinen Fall mehr passieren“, sagt Kinderärztin Heide-Zinn. Sie hoffe sehr darauf, dass die Maßnahmen, die Kinder und Jugendliche sehr stark belasten, zu dem Zeitpunkt heruntergefahren werden, wenn alle Erwachsenen ein Impfangebot hatten. Internist Kirsner rechnet damit, dass es im Herbst/Winter neue Daten zu Impfungen von Kindern und Jugendlichen geben wird – und man dann wisse, ob eine Impfung überhaupt die bessere Alternative sei.