Die junge Frau ist verzweifelt. „Schauen sie“, sagt Olena Misnikova und zeigt auf den schwarzen Schimmel, der die einst hellen Fliesenfugen im Bad schwarz färbt. Sie versuchen ihn fast täglich wegzuputzen, erzählt ihr Mann Jelisej. Ohne Erfolg.

Der Schimmel in fast jedem Raum der 66 Quadratmeter Wohnung geht nicht weg, weil die ganze Wohnung feucht und einfach nicht warmzukriegen ist. An den undichten Fenstern zieht es. Nur im Flur und in einem der drei Zimmer spendet jeweils ein Infrarot-Paneel an der Decke leidlich Wärme. Sogar das Badezimmer bleibt kalt.

Heizkörper wurden abmontiert

Die Heizkörper wurden in den Wohnblöcken an der Paulinenstraße 15 bis 21 abmontiert. Die Häuser sollte längst abgerissen werden. Hier will die Städtische Wohnungsbaugesellschaft (SWG) neue, moderne Mietwohnungen bauen. Doch dann kam der Ukraine-Krieg und die Stadt quartierte wieder geflüchtete Familien ein.

Die Bäder sind winzig, ohne Heizung, dafür mit Schimmel in jeder Ecke. Warmwasser gibt es aus Miniboilern, was nicht mal für eine Dusche ...
Die Bäder sind winzig, ohne Heizung, dafür mit Schimmel in jeder Ecke. Warmwasser gibt es aus Miniboilern, was nicht mal für eine Dusche reicht. | Bild: Cuko, Katy

So wie das Ehepaar Misnikov. Am 11. Oktober 2022 kamen sie mit der siebenjährigen Tochter in Friedrichshafen an. Zwei Wochen später brachte Olena ihren Sohn zur Welt, der den deutschen Namen Michael bekam, „weil wir so froh waren, dass wir hier ein neues Zuhause gefunden haben“. Doch dann kam der Winter. „Wir haben mit Mütze geschlafen, so kalt war uns“, erzählt der Familienvater. Seither seien die Kinder ständig krank, wobei sie sich besonders um Tochter Anna sorgen, die ohne Schilddrüse zur Welt kam. „Wir haben große Angst vor dem nächsten Winter“, sagt Olena Misnikova.

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Familienvater moniert Brandgefahr

Fürs Kinderzimmer hat Vater Jelisej einen Heizstrahler gekauft. Mehr traut er den maroden Elektroleitungen nicht zu. „Wenn wir noch mehr mit Strom heizen, bricht vielleicht ein Brand aus.“ Im Flur habe es schon einen Kurzschluss gegeben, zeigt er auf eine braune Stelle an der Leitung, die über Putz verlegt ist.

Ein brauner Fleck an der Stromleitung im Flur zeigt, dass es hier mal einen „Kurzen“ gab.
Ein brauner Fleck an der Stromleitung im Flur zeigt, dass es hier mal einen „Kurzen“ gab. | Bild: Cuko, Katy

Mit Strom heizen müssen alle Familien im Wohnblock – und das zu horrenden Kosten. Laut Stiftung Warentest kostet es bei einem Strompreis von 40 Cent die Kilowattstunde knapp 4700 Euro im Jahr, um eine 100-Quadrat­meter-Wohnung nur mit Infrarotheizung warm zu bekommen. Als Alleinheizung mit Paneelen in jedem Raum empfohlen wird das bestenfalls in gut gedämmten Passivhäusern. Nicht in zugigen Abrisshäusern.

Stadt sagt: Zwei Heizkörper pro Wohnung sind „ausreichend“

Das sieht die Stadt anders. Zwei Infrarotheizungen pro Wohnung seien „grundsätzlich ausreichend für die Beheizung der Wohnungen“, schreibt die Pressestelle auf Anfrage. Ein Schimmelbefall könne angesichts der Bausubstanz nicht durchgängig ausgeschlossen werden. Die Bewohner könnten sich ans Rathaus wenden, dann werde der Schimmel umgehend beseitigt. Aktuell lägen allerdings keine Meldungen vor. Wie auch immer: Die Stadt könne nicht darauf verzichten, auch diese Wohnungen zu belegen. Sonst müssten die Familien in Sammelunterkünften wohnen.

Eigentlich sollte auch dieser marode Wohnblock in der Paulinenstraße schon längst abgerissen sein, um Neubauten Platz zu machen. Doch ...
Eigentlich sollte auch dieser marode Wohnblock in der Paulinenstraße schon längst abgerissen sein, um Neubauten Platz zu machen. Doch die Stadt hat hier erneut Geflüchtete einquartiert. | Bild: Cuko, Katy

Natalia Feoktistova hilft das nicht weiter. Sie hat wegen des Heizens mit Strom Schulden beim Stadtwerk am See. Sie lebt mit ihren beiden Kindern und den Eltern einen Eingang weiter. Anfangs lag wegen des hohen Verbrauchs den Abschlag bei 612 Euro monatlich. Seit April dieses Jahres sind es wegen der Strompreisbremse immer noch 572 Euro, was finanziell nicht leistbar sei. Von den Stromkosten zum Heizen übernimmt das Amt nur einen kleinen Betrag. Den Sommer über bezog die Familie kein Bürgergeld, weil Natalia Feoktistova in der Küche einer Gastwirtschaft arbeitete und die Wohnkosten selbst stemmte. „Ich will kein Sozialfall sein“, sagt die Frau, die zwei Hochschulabschlüsse hat und in der Ukraine Rechtsanwältin war.

Schulden beim Stadtwerk

Nach dem letzten Winter stand Natalia Feoktistova mit Schulden von knapp 2500 Euro beim Stadtwerk am See in der Kreide. Im Juni flatterte die sofortige Zahlungsaufforderung ins Haus, ansonsten werde der Strom abgestellt. Mit Hilfe einer Dolmetscherin und Stadtdiakon Martin Rebmann darf Natalia Feoktistova den noch offenen Betrag nun in Raten abstottern.

Mit Strom heizen ist teuer. Die Abschlagszahlung in einer Wohnung liegt bei 572 Euro monatlich.
Mit Strom heizen ist teuer. Die Abschlagszahlung in einer Wohnung liegt bei 572 Euro monatlich. | Bild: Cuko, Katy

Doch nicht nur der Strom ist teuer in diesen Notwohnungen, in die Obdachlose eingewiesen werden. Und als solche gelten Ukrainer, die keine Bleibe finden. Die Stadt verlangt eine Nutzungsgebühr, die per Satzung geregelt ist. Die Sätze wurden zuletzt im Februar dieses Jahres erhöht. Die Wohnungen in der Paulinenstraße 19 bis 21 gehören zur teuersten Kategorie, in der „Unterkünfte mit Einzelöfen“ eingeordnet sind. Grundgebühr: 13,25 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Plus einer Zusatzgebühr für Nebenkosten von 2,70 Euro verlangt die Stadt für die 66 Quadratmeter große Wohnung 1050 Euro pro Monat. Kosten für Strom, Heizung und Müllabfuhr kommen dazu. „Und das für eine Abrisswohnung, unglaublich“, sagt Martin Rebmann, der sich um einige Familien hier kümmert.

Stadtdiakon wendet sich erneut an Gemeinderat

Die Stadt erklärt die höheren Gebühren mit gestiegenen Preisen. Dass Kategorie 4 so teuer wurde, beruhe darauf, dass es nur noch wenige Wohnungen mit Einzelofen gebe. In die habe wegen der eher schlechteren Qualität „erheblich investiert werden“ müssen.

Der Stadtdiakon hat einen ausführlichen Brief an die Gemeinderäte geschrieben, um auf die Problematik aufmerksam zu machen. Denn die hohen Nutzungsgebühren überfordern vor allem Familien, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. So muss eine syrische Familie seit April jeden Monat 2340 Euro für die 155 Quadratmeter große Wohnung an die Stadt überweisen. Als sie 2016 mit sechs Kindern einzogen, waren es noch 1000 Euro weniger. „Der gesamte Verdienst des Familienvaters, der im Sanitärbereich arbeitet, geht für die Wohnungskosten drauf“, schreibt Martin Rebmann und bittet die Stadtpolitik um Hilfe für diese Menschen.