Uwe Rung kommt gerade aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Ravensburg von einem Besuch seines neuen 83-jährigen Mandanten zurück. Der alte Mann soll in der Nacht zum 4. Oktober seine 84-jährige Partnerin im Betreuten Wohnen St. Martin in Ailingen-Berg mit einer Schusswaffe getötet und dann selbst den Notruf gewählt haben. Noch vor Ort drängte sich den Ermittlern der Verdacht auf, dass es sich um ein Tötungsdelikt handeln musste. Der 83-Jährige wurde noch in derselben Nacht verhaftet und sitzt seither in Untersuchungshaft in der JVA Ravensburg.

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„Er ist im Moment gesundheitlich stabil“, erklärt Rung, der bereits am Tag der Haftvorführung zum Pflichtverteidiger des 83-Jährigen wurde. Akut suizidgefährdet sei der Mann aber nicht, so Rung.

Rung, der in seiner beruflichen Laufbahn bereits mit rund 50 Tötungsdelikten zu tun hatte, erklärt: „Fast immer handelt es sich bei Tötungsdelikten um Ersttäter. Und fast immer geht es um Beziehungstaten. In der Regel tötet jemand nur einmal im Leben in einer absoluten Ausnahmesituation.“ Erst nach der Tat werde diesen Menschen bewusst, was da eigentlich passiert sei. „Im Gefängnis haben sie dann 24 Stunden Zeit am Tag darüber nachzudenken. Nicht selten herrscht dann Verzweiflung pur“, so der Strafverteidiger. Suizidale Gedanke seien da eher die Regel als die Ausnahme.

Uwe Rung ist Strafverteidiger in Ravensburg und Anwalt des 83-Jährigen.
Uwe Rung ist Strafverteidiger in Ravensburg und Anwalt des 83-Jährigen. | Bild: Uwe Rung

„Da gehört so ein alter Mann einfach nicht hin“

Auch wenn Rung über den konkreten Fall nicht sprechen will, wird klar: Es sind existenzielle Momente, um die es geht. Momente, in denen ein Strafverteidiger eine wichtige Rolle spielt, denn er ist einer der wenigen Außenkontakte, die ein Verdächtiger dann hat. „Aktuell sitzt mein Mandant in einer Mehrmannzelle“, erklärt Rung. Und schiebt gleich hinterher: „Da gehört so ein alter Mann einfach nicht hin.“

Erst im Juli hatten Gefangene der JVA Ravensburg in einem öffentlichen Schreiben, das auch an den SÜDKURIER ging, „schlechte Haftbedingungen“ beklagt. In der JVA Ravensburg sind etwa 500 Insassen. Der Großteil, so Rung, sei drogensüchtig, psychisch krank, alkoholabhängig. „Wiederholungstäter, die nicht gerade bürgerlichen Milieus entstammen“, sagt Rung. Dazwischen der 83-Jährige, der laut Polizei bislang nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Ein Mann, der von seinen ehemaligen Nachbarn in der Seniorenwohnanlage als „hilfsbereit“ und „nett“ beschrieben wird.

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„Im Gefängnis gibt es einen Ehrenkodex“

„Ich gehe nicht davon aus, dass ihm in Ravensburg etwas passiert, denn auch im Gefängnis gibt es einen Ehrenkodex“, meint Rung. Dennoch will der Ravensburger Anwalt seinen Mandanten so schnell wie möglich in die JVA Singen, eine Außenstelle des Konstanzer Gefängnisses, verlegen lassen. Der Antrag ist bereits gestellt. In Singen sind Menschen über 62 Jahren, die eine Haft von über 15 Monaten absitzen müssen. Eine Art Seniorenknast also, mit spezialisierten Ärzten, Therapien und Palliativmedizin.

„Im Moment weiß ich noch nicht, wo das hingeht“

Und welche Verteidigungsstrategie wird Rung haben? Der Anwalt lacht: „Strategien gibt es nur im Film!“ Letztlich hänge der Verlauf einer Verhandlung von Indizien – und vom Angeklagten selbst ab. „Ich kann nur beraten. Im Moment weiß ich noch nicht, wo das hingeht“, sagt Rung. Derzeit führe er viele Gespräche mit dem 83-Jährigen, der offen mit ihm spreche. Möglicherweise werde es auch bald eine psychiatrische Begutachtung geben, allerdings gebe es bislang keinerlei Anhaltspunkte für dementsprechende Erkrankungen. Die Polizei hat gegenüber dem SÜDKURIER bestätigt, dass es keinen Hinweis auf eine Demenz gibt.

Wird der 83-Jährige aktuell medizinisch betreut? „Aufgrund der Schweigepflicht können keine konkreten Angaben zu dem Gefangenen gemacht werden“, erläutert Christiane Möller, stellvertretende Leiterin der JVA Ravensburg. Allgemein gelte aber, dass die JVA über einen Medizinischen Dienst verfüge. „Jeder Gefangene wird alsbald nach der Aufnahme einer sogenannten Zugangsuntersuchung unterzogen. Die weitere medizinische Betreuung wird dann je nach Bedarf im Einzelfall vom Anstaltsarzt oder der Anstaltsärztin festgelegt“, sagt Möller.

Wird der Mann jetzt bald nach Singen verlegt?

„Grundsätzlich werden Gefangene von dem Ermittlungsrichter per Aufnahmeersuchen in die zuständige Justizvollzugsanstalt eingewiesen. Welche Justizvollzugsanstalt örtlich und sachlich zuständig ist, richtet sich nach dem Vollstreckungsplan für das Land Baden-Württemberg“, erläutert Möller, verweist aber wieder auf ihre Verschwiegenheitsverpflichtung zum konkreten Fall. „Ausweislich des geltenden Vollstreckungsplans ist die JVA Singen grundsätzlich nicht für die Vollziehung von Untersuchungshaft zuständig“, so die Gefängnisdirektorin. Heißt: Solange der Mann in Untersuchungshaft sitzt, stehen die Chancen für den Seniorenknast wohl eher schlecht.

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Im Fall einer Verurteilung allerdings würde der 83-Jährige nach Singen kommen. „Ich hoffe, dass es bald zum Gerichtsverfahren kommt, denn die Belastung ist für den 83-Jährigen sehr groß“, sagt sein Pflichtverteidiger.

Mit einem schnellen Verfahren rechnet Polizeisprecher Oliver Weißflog hingegen nicht: „Bei einem Kapitaldelikt dauern die polizeilichen Ermittlungen mehrere Wochen, wenn nicht sogar Monate.“ Die Polizei habe ein halbes Jahr Zeit bis zum Haftprüfungstermin. „Unmittelbare Tatzeugen gibt es nicht, umso wichtiger ist die Spurenlage“, so Weißflog. Die werde derzeit von einer Ermittlungsgruppe der Kripo Friedrichshafen aufgearbeitet. Spuren wurden bereits gesichert, Zeugen befragt.

Die Polizei schweigt zur Tatwaffe

Neue polizeiliche Erkenntnisse zum Fall teilt der Polizeisprecher allerdings nicht mit der Öffentlichkeit. Klar ist: Die Schussverletzung war tödlich für die Frau. Das Gerücht, dass die Frau mit mehreren Schüssen getötet wurde, bestätigt Weißflog hingegen nicht. Auch zur Herkunft der Tatwaffe will er sich nicht äußern. Der 83-Jährige hatte jedenfalls keine Waffe angemeldet. „Ich gehe nicht davon aus, dass die Ermittlungen noch in diesem Jahr abgeschlossen sind“, sagt Weißflog.