Herr Dr. Metzinger, von Beginn der Pandemie bis heute: Wie hat Corona den Alltag in Ihrer Praxis organisatorisch verändert?

Die Corona-Krise hat von vornherein unseren Alltag verändert. Auch wenn wir uns sofort der Situation gestellt hatten, wurden wir täglich von neuen Informationen und Regeln überrascht. Wir mussten unsere gewohnte Art zu arbeiten ändern, die Praxis umbauen, viel telefonisch abklären und sowohl die Patienten wie auch uns selbst immer wieder beruhigen. Anfangs machten wir nur noch telefonische Sprechstunde sowie natürlich Notfallbehandlung und Hausbesuche.

Der Bedarf an Corona-Tests dürfte vorerst hoch bleiben, es gibt die Forderung nach mehr Grippeimpfungen und dann sind da noch die üblichen Herbst-Infekte. Entspannen wird die Situation nicht so bald, oder? Wie bereiten Sie sich in der Praxis auf die kommenden Monate vor?

Wir schulen unser Team mit den neuesten Erkenntnissen und haben es mit neuen Mitarbeitern erweitert, wir bestellten viel mehr Grippe-Impfstoffe als bisher und versuchen schon jetzt auf die Sinnhaftigkeit der Grippeimpfungen hinzuweisen. Viel mehr können wir nicht tun. Aber durch die Tätigkeit in Fieberambulanz und Testzentren sind wir mental gut vorbereitet. Wie es dann tatsächlich aussehen wird, weiß keiner. Vorbereiten können wir uns nicht auf alles, was kommen.

Fühlten und fühlen Sie sich von Politik und Verwaltung ausreichend unterstützt? Was wünschen Sie sich?

Verbal erhielten wir von allen Stellen viel Unterstützung und Anerkennung. Aber in der Praxis herrscht ein Mangel an allen Ecken. Wir hatten uns gut mit Schutzmaterialien bevorratet. Das war gut, besonders, da wir ja seit zwei Monaten auch Corona-Schwerpunktpraxis sind. Die zugesicherten Materialien kamen nur nach sehr viel Nachfragen und Drängen. Das kann so nicht weitergehen. In ein bis zwei Monaten wird der Druck viel höher sein. Dann wird alles eng werden. Vom Landratsamt und vom Gesundheitsamt in Friedrichshafen erhielten wir viel Unterstützung. Das war zumeist vorbildlich.

Ihre Praxis ist Corona-Schwerpunktpraxis. Was bedeutet das?

Das bedeutet in erster Linie, dass wir Anlaufstelle für kranke Menschen sind, die eine Covid-19-Erkrankung haben könnten. Das soll den Aufwand für die Allgemeinheit in Grenzen halten und die Ressourcen bündeln. So muss nicht jede Hausarztpraxis zwei Patienten abklären und das in Schutzkleidung und anschließender Desinfektion des Raumes und so weiter. Wir untersuchen Verdachtspatienten und führen die Abstriche durch. Durch unsere Schutzkleidung könne wir dies relativ gefahrlos machen. Andere Praxen müssen das dann nicht parallel tun. Manche Ärzte sind selbst Risikopatienten, auch diese müssen geschützt bleiben und können ihre Verdachtspatienten zu uns schicken.

Was ist eine Corona-Schwerpunktpraxis nicht?

Wir ersetzen nicht die Beratung durch das Gesundheitsamt oder Reisebüro. Es kamen schon die unglaublichsten Fragen an uns. Wir machen auch Tests zur Abklärung von gesunden Patienten wie beispielsweise Reiserückkehrern und Lehrern. Aber das ist nicht primär Aufgabe einer Schwerpunktpraxis und kann von jeder Praxis geleistet werden.

Uwe Metzinger vor der Gemeinschaftspraxis Ailingen.
Uwe Metzinger vor der Gemeinschaftspraxis Ailingen. | Bild: Bömelburg, Christina

Was Sie und Ihre Kollegen ja auch sind: Hausärzte, die nicht erst seit Beginn der Pandemie und im Corona-Kontext gebraucht werden.

Auch wenn sich momentan vieles um Corona dreht, versorgen wir nach wie vor unsere Patienten. Wir sind meist vier Ärzte und nur einer kümmert sich um Corona-Aufgaben. Die anderen halten den normale Betrieb aufrecht. Und zwar in vollem Umfang. Natürlich wird der eine oder andere das Gefühl haben, es dreht sich alles nur um die Pandemie. Das ist aber nicht so. Alle Seiten brauchen jetzt und für die nächsten Monate viel Geduld. Aber wir sind da und bleiben da – für alle unsere Patienten.

Leider sind alle unserer vier Telefonleitungen im Dauereinsatz. Viel zu viele rufen an und wollen Testergebnisse wissen, zum Teil stündlich. Diese Situation ist unerträglich für alle. Unsere Mitarbeiterinnen haben keine Ruhe für andere Aufgaben. Natürlich ist das nervend für Patienten, die nur einen Termin oder ein Rezept wollen. Aber das ist momentan nicht zu ändern. Da ist Geduld gefordert. Dass wir in der ersten Welle Routineuntersuchungen zurückgeschraubt hatten, war so erforderlich. Es war eine große Ungewissheit da. Jetzt weiß man mehr, aber auch noch nicht alles. Viele neue Aspekte werden dazu kommen und wieder alles verändern, bleiben wir flexibel!

Gemeinsam mit weiteren Ärzten aus dem Landkreis waren Sie in der Fieberambulanz im Einsatz und sind es momentan an der Teststation am Flughafen. Eine Selbstverständlichkeit?

Für mich schon. Aber auch Interesse an wechselnden Aufgaben. Ich bin auch in einer Krankenstation im Himalaya tätig und stelle mich immer gerne neuen Aufgaben. Ich bin kein Adrenalin-Junkie, aber diese andere Tätigkeit bereichert meine berufliche Tätigkeit. Es muss viel improvisiert werden, auch das hat einen Reiz. Ständig kommen neue Anforderungen.

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Welche Sorgen und Fragen treiben Ihre Patienten zu Corona um? Und welche Entwicklung beobachten Sie hierzu seit Beginn der Pandemie? Hat sich der Fokus auf Patientenseite verändert?

Die Verunsicherung bei den Patienten ist sehr groß, Es kommen zu viele, auch gegensätzliche Informationen. Da fragen die Patienten oft bei uns nach. Nach Quarantäne und dem richtigen Verhalten wird oft gefragt. Ganz oft die Fragen, was zu tun ist bei bestimmten Konstellationen, wenn ein naher Verwandter einen positiven Patienten getroffen hatte, als typischen Beispiel. Oder nach der Bedeutung bestimmter Symptome. Nachdem alles gelockert war, war die Stimmung auch lockerer. Die Ängste gingen zurück, das kommt jetzt wieder verstärkt bei den Patienten zurück. Viele haben große Ängste. Natürlich nimmt die Stimme der Coronaleugner auch zu. Oder von Menschen, die nicht wissen, wo sie stehen.

Der eigene Hausarzt ist vertraut, die Stimme am anderen Ende einer Corona-Hotline unbekannt. Auf der anderen Seite dürfte es Patienten geben, die einen Arztbesuch jetzt eher vermeiden wollen – aus Angst vor Ansteckung im Wartezimmer oder auch, um ihrer Meinung nach ernsteren Fällen den Vorrang zu lassen. Ist die Nachfrage nach Terminen in Ihrer Praxis gestiegen oder gesunken?

Der Bedarf ist wieder steigend, da es jetzt mehr Erkrankungen gibt. Durch den Sommer waren wir fast auf dem (Sommer-)Niveau wie letztes Jahr. Vermeiden wollen viele Patienten immer noch den Besuch bei uns. Leider sind dies oft Patienten, die es gerade bräuchten. Wir versuchen, dem Andrang Herr zu werden und haben dafür eine Rezeptabholung an einem Fenster vor der Praxis eingerichtet. Zweimal täglich eine halbe Stunde. So müssen erheblich weniger Patienten in die Praxisräume kommen. Angenommen wird das gut, wobei es auch bei dieser sinnvollen, patientenschützenden Maßnahme Dauernörgler gibt, die sich mit den starren Zeiten nicht gerne arrangieren wollen.

Wir haben jüngst über ein Ehepaar berichtet, dass angesichts einer zunächst wahrscheinlich erscheinenden Covid-19-Erkrankung in der Familie vorsorglich zuhause bleiben wollte. Für beide galt allerdings keine Quarantäne-Anordnung. Ähnlich wird es seit Monaten immer wieder Menschen gehen: Ein Familienmitglied oder Mitbewohner könnte infiziert sein und man will selbst im Ernstfall nicht zum Überträger werden. Ist der Hausarzt da die richtige Anlaufstelle?

In allen Belangen der Quarantäneregelung sind ausschließlich das Gesundheitsamt und die Ordnungsbehörden zuständig. Hier ist das Problem, dass wir keine Person krankschreiben dürfen, die eventuell krank werden kann. Natürlich ist es gut, wenn jemand, der Kontakt zu einer noch nicht erkrankten Kontaktperson hatte, zuhause bleibt. Aber das geschieht dann auf eigene Verantwortung und muss gegebenenfalls mit dem Arbeitgeber abgeklärt werden. Eine Krankmeldung kann es dafür nicht geben. In solchen Fällen wird viel Eigenverantwortung und -initiative erforderlich. Wir können das nicht auch noch schultern.

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Coronatypische und die Symptome einer Erkältung oder eines grippalen Infekts ähneln sich. Bereitet Ihnen das mit Blick auf die kühleren bis kalten Monate Sorgen?

Das wird ein ganz großes Problem werden. Wir können das aufgrund klinischer Betrachtungen nicht unterschieden, also nicht von außen erkennen. Schön wären Schnelltests, die wir aber noch nicht zur Verfügung haben. Also da gilt auch: Testen, testen, testen. Hoffentlich wird die Testkapazität der Labore dann ausreichen. Eine Krankmeldung ist da natürlich gerechtfertigt. Auch wenn wir nicht wissen, ob es sich um Corona handelt, eine Grippe oder eine Erkältung, ist der Mensch ja trotzdem krank. Auf jeden Fall wird da auf die Praxen eine enorme Belastung zukommen.

Der Gedanke ist wieder etwas leiser geworden, anfangs gab es ihn aber: Denken Menschen insgesamt um, was den Umgang mit ansteckenden Krankheiten anbelangt? Lassen sich mehr Workaholics, die früher eher mit dem Kopf unter dem Arm zur Arbeit als mit einem gelben Zettel zum Briefkasten gegangen wären, überzeugen, mal ein paar Tage kürzer zu treten?

Das beobachten wir auf jeden Fall. Das Bewusstsein hat sich geändert. Der Verzicht aufs Händegeben und das Tragen von Masken wird selbstverständlich. Aber der typische Workaholic wird sich bestimmt nicht ändern. Krankmeldungen werden insgesamt seltener ausgestellt. Das kommt von Kurzarbeit und Homeoffice. Viele sind der Auffassung, dass man von zuhause aus arbeiten kann, auch wenn man krank ist.