„Er hat mich von hinten gepackt und den Arm um meinen Hals gelegt. Dann hat er versucht, mich auf die Wange zu küssen.“ Während Luba Schmidt von jenem Abend im Januar 2023 erzählt, rührt sie langsam in ihrem Kaffee. Ihr Blick ist nach unten gerichtet. Der Vorfall beschäftigt die 20-Jährige auch heute noch, ein Jahr später.
Zwei Männer, 25 und 32 Jahre alt, hatten Luba Schmidt und zwei ihrer Freundinnen, die zu diesem Zeitpunkt erst 16 Jahre alt waren, bei einer Fasnetsveranstaltung in Heiligenberg ungefragt angefasst – und sogar geküsst. Obwohl die Frauen mehrfach ein deutliches „Nein“ ausgesprochen hatten. Einer der Männer aschte im Laufe des Abends außerdem mit seiner Zigarette in den Nacken von Luba Schmidt.
Der Vorfall landete am Amtsgericht in Überlingen. Richter Alexander von Kennel verurteilte die Männer zu je 900 Euro Geldstrafe, der SÜDKURIER war bei der Verhandlung dabei. Weil die Angeklagten ein Geständnis ablegten, wurden bei der Verhandlung keine Zeugen vernommen. Weder Luba Schmidt noch eine ihrer betroffenen Freundinnen konnten vor Gericht etwas zu jenem Abend sagen – oder darüber, wie schwer es für sie war, das Geschehene zu verarbeiten.
„Ich hätte den Beteiligten gerne gesagt, wie ekelhaft ich mich gefühlt habe. Dass ich Schlafstörungen und Panikattacken hatte“, sagt Schmidt und ergänzt nachdenklich: „Vielleicht wäre dann die Strafe für die Männer auch anders ausgefallen.“ 900 Euro für einen sexuellen Übergriff findet die junge Frau nicht gerecht. Sie betont: „Wäre ich nicht als Zeugin ins Gericht gekommen, hätte ich 1000 Euro Strafe zahlen müssen. Für mich steht das in keinem Verhältnis.“
„Er hat mich gepackt und versucht, mich zu küssen“
Luba Schmidt erinnert sich auch ein Jahr später noch genau an den Vorfall während der Fasnet. Mit ihren zwei Freundinnen sei sie am Abend von der Veranstaltung zu einem Zigarettenautomaten gelaufen und dort auf die zwei Männer getroffen. „Ihre Karte hat nicht funktioniert, wir haben ihnen geholfen“, erzählt Schmidt. Weil sie zur Toilette musste, habe sie ihre Freundinnen kurz zurückgelassen.
Einer der Männer sei Schmidt gefolgt und habe sie plötzlich von hinten festgehalten und den Arm um ihren Hals gelegt. „Ich wollte gerade meine Hose anziehen und er hat mich gepackt und versucht, mich auf die Wange zu küssen“, sagt die 20-Jährige und verzieht ihr Gesicht bei dem Gedanken daran.
Sie habe „Stop“ und „Nein“ gerufen, sodass ihre Freundinnen herbeikamen – und der fremde Mann schließlich von ihr abließ. Die Frauen machten sich wieder auf den Weg zur Fasnetsveranstaltung. „Ich habe mich ekelhaft gefühlt“, sagt Luba Schmidt leise. Beim Fest angekommen, informierten sie das Sicherheitspersonal über den Vorfall. Wenige Zeit später seien die Männer ebenfalls zurück zum Fest gekommen.
Zigarettenasche, Panik und ein Geständnis
Im Schutz der Menschenmasse und in der Nähe des Sicherheitspersonals fasste Schmidt Mut. „Ich bin auf den Mann zugegangen, der mich gepackt hatte und habe ihm gesagt, wie ekelhaft ich die Aktion fand und dass ich so etwas nicht möchte.“ Daraufhin sei der Freund des Mannes ausgerastet.
„Er kam mit seiner Zigarette zu mir und hat mir in den Nacken geascht. Ich habe laut geschrien, es hat weh getan“, sagt Schmidt. „Ich habe Panik bekommen, ich hatte wirklich Angst.“ Dass sich der Vorfall so ereignete, wie Luba Schmidt gegenüber dem SÜDKURIER berichtet, wurde auch in der Gerichtsverhandlung rekonstruiert. Zwar stritten die Angeklagten Einzelheiten ab, doch am Ende gestanden sie die Taten.
Und plötzlich fühlt sie sich unsicher in ihrem Heimatort
Luba Schmidt erzählt also die Wahrheit, der Vorfall hat so stattgefunden. Und das hat etwas mit der 20-Jährigen gemacht. Bereits in ihrer Kindheit und Jugend musste sie Gewalterfahrungen in Kauf nehmen. Seit vielen Jahren ist sie in Therapie, um das Geschehene zu verarbeiten. „Dadurch bin ich mittlerweile gestärkt. Ich habe den Vorfall mit den Männern auch direkt mit meiner Therapeutin besprochen, das hat mir geholfen“, sagt die junge Frau.
Trotz Therapie saß die Angst bei ihr auch Wochen nach dem Vorfall tief. So tief, dass sie es beispielsweise vermied, in die Nähe der Unterkunft der Männer zu gelangen. Sie habe sich unsicher in Heiligenberg gefühlt, ihrem Heimatort. „Ich bin Umwege gelaufen und habe immer gehofft, dass ich ihnen nicht begegne“, erzählt die 20-Jährige.
Einmal habe sie einen der Männer im Bus getroffen. „Ich hatte wirklich Angst und habe den ganzen Heimweg mit meiner Mama telefoniert“, sagt Schmidt. Über all diese Gefühle und die Angst der jungen Frau wussten die am Gerichtsprozess Beteiligten bei der Verhandlung nicht Bescheid.
Als umso erschreckender bewertet Luba Schmidt die Aussagen des Verteidigers, von denen sie anhand eines SÜDKURIER-Artikels erfuhr. So stellte der Rechtsanwalt unter anderem in den Raum, dass die Frauen auf ihn gar nicht traumatisiert gewirkt hätten. Außerdem machte er eine Bemerkung darüber, wie die Frauen an jenem Abend gekleidet waren.
„Soll man mir ansehen, dass ich Schlafstörungen habe?“
„Ich finde es erschreckend. Soll man mir ansehen, dass ich Schlafstörungen und Panikattacken hatte?“, fragt sich Schmidt. Ohnehin seien sie und ihre Freundinnen nur für einen kurzen Moment im Gerichtssaal gewesen, als der Richter die Dokumente der Frauen unterschrieb. „Wir haben ja gar nichts gesagt. Ich finde diese Aussage einfach dämlich. Wie kann er sich denn so ein Urteil bilden? Außerdem ist und bleibt es eine Straftat. Ob wir traumatisiert waren oder nicht, tut nichts zur Sache.“
Luba Schmidt wendet sich mit ihrer Geschichte bewusst an die Öffentlichkeit. Sie möchte zeigen, dass sie das Urteil des Richters und insbesondere das Verhalten der am Prozess Beteiligten nicht gerecht findet. „Ich bin der Meinung, dass meine Freundinnen und ich mehr Einsicht und Verständnis verdient hätten“, betont sie und ergänzt: „Ich hoffe, dass andere Frauen in ähnlichen Situationen künftig besser behandelt werden.“