Herr Kass, Stuttgart, Zürich, Reutlingen, Hannover, Luxemburg – blickt man auf die Internetseite der von Ihnen mitbegründeten „Company idem“, dann gewinnt man den Eindruck, dass Sie überall tanzen und zusammen mit ihrer Kompanie auftreten – nur nicht in Markdorf, Ihrem Wohnort. Mögen Sie die Markdorfer etwa nicht?

Im Gegenteil, ich würde hier sehr gerne auftreten, aber das ist gar nicht so einfach.

Warum nicht? Sie müssen doch nur ihre Bühnenpartner, ein paar Musiker, die Beleuchter und wen Sie sonst noch so brauchen, dazu bewegen, hier nach Markdorf zu kommen.

Ja, genau. Und eben da liegt der Haken. Wir gehen ja nicht umsonst mit unseren Projekten an große Bühnen, wir treten ja nicht von ungefähr bei Festivals auf. Da gibt es dann ein Budget. Was es braucht, damit Komponisten, Musiker, Beleuchter und unsere Tänzer bezahlt werden können. Als Profis leben wir davon. Und da kann ich nicht hingehen und sagen: Hey Leute, ich lebe in Markdorf – und ganz nebenbei: ich arbeite übrigens auch hier, zum Beispiel an unseren Choreografie-Projekten – lasst uns dort doch mal eben auftreten! Gagen, Honorare gibt es dafür übrigens keine.

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Also muss, wer Matthias Kass und seine Company idem tanzen sehen will, weiterhin nach Zürich, Luzern oder sonst wohin in der Schweiz reisen, wo Sie ganz regelmäßig auftreten?

Im Netz kann man uns auch anschauen. Einfach auf www.company-idem.com gehen, da gibt es dann viele Videos. Aber im Ernst: Ein bisschen Fahrerei fällt schon an. Im Juli treten wir in Stuttgart auf. Dort wurden wir zu einem renommierten Festival eingeladen. Beim „Colours International Dance Festival“ zeigen wir eine speziell für den öffentlichen Raum kreierte Version unseres Stückes „Tree Ages“. Dass wir das dürfen, ist eine ziemliche Ehre für uns. Besitzt das Festival doch einen sehr großen Stellenwert in der Szene. Übrigens werden wir vor unserem Auftritt dort hier in der Markdorfer Stadthalle proben.

Und da können die Markdorfer Sie dann tanzen sehen?

Na ja. Eine öffentliche Probe wird das wohl keine. Aus vielen unterschiedlichen Gründen ginge das nicht. Aber ein paar Gäste werden wir wohl doch einladen.

Wen?

Ganz bestimmt die, die uns in unserem Company-idem-Verein unterstützen.

Sie haben einen eigenen Verein?

Ja, aber leider nur sehr wenige Mitglieder. Wir haben ja auch kaum etwas zu bieten. Wenn keine Auftritte in der Nähe stattfinden, können wir auch keine verbilligten Eintrittskarten verteilen. Unser halbes Dutzend Anhänger hier vor Ort reist uns zu unseren Auftritten hinterher.

Fast wie beim Fußball?

Ja, fast wie die Fans beim Fußball – nur ohne Fan-Gesänge.

Und da ist keine Änderung in Sicht?

Wenn, dann nur sehr, sehr langsam. Im Norden hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ja schon manches getan. Im Raum Düsseldorf/Köln findet freier, moderner Tanz immer mehr Publikum. Aber da sieht die Bühnenlandschaft auch anders aus als hier.

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Das verstehe ich. Aber wieso kommt Ihre Art des Tanzens, überhaupt moderner Tanz, ein paar Kilometer weiter südlich in der Schweiz besser an als hier?

Das ist eine Frage der Offenheit.

Sind die Schweizer offener als die Schwaben?

Zumindest sind sie sehr viel vertrauter mit den tänzerischen Ausdrucksformen. Was auch daher kommt, dass bei ihnen richtig Geld in die Hand genommen wird, um diese Art der Kunst zu fördern. Es gibt Tanztage, da begegnet man überall in der Schweiz Aufführungen. In den Theatern, auf der Bühne, aber auch auf den Straßen und auf öffentlichen Plätzen. So etwas baut natürlich die Berührungsängste ab. Plötzlich ist der Tanz nichts völlig Fremdes mehr. Sondern etwas, dem man schon einmal begegnet ist. Was einem mal besser, mal weniger gut gefallen hat. Was aber meistens die Neugier geweckt hat.

Also brauchen wir hier – im Südwesten der Republik – mehr Neugier auf Tanz?

Mehr Offenheit – und weniger Berührungsängste. Und daran wollen wir mit unseren Auftritten ja auch arbeiten. Unsere neueste Produktion findet deshalb auf der Straße statt.

Wenn ich mich recht entsinne, haben Sie so etwas ja schon öfter gemacht?

Nein, wir sind zwar schon auf der Straße oder auf Plätzen aufgetreten. Das waren dann aber immer nur kleine Ausschnitte eines Bühnenprogramms. Jetzt verlegen wir das gesamte Stück nach draußen. Was übrigens nicht ganz einfach ist. Draußen kann man zum Beispiel nicht so mit dem Licht arbeiten wie auf der Bühne.

Und die Zuschauer können kommen, stehenbleiben, aber auch wieder gehen – ganz so wie es ihnen gefällt?

Natürlich – ganz so wie es dem Publikum gefällt. Am liebsten ist es uns aber, wenn die Leute stehen bleiben und sich auf unsere Arbeit einlassen. Was sich sicherlich auch lohnt.

Und doch sicherlich gleichfalls spannend für die Tänzer ist?

Sicher. Man weiß nie, was gleich passiert im Publikum, aber man muss irgendwie auch darauf reagieren.

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Gibt es etwas, was typisch ist für Ihre Arbeit? Was Ihr Tanzen beziehungsweise Ihre Tanzprojekte prägt?

Ich bin eigentlich nicht konzeptmäßig unterwegs. Was ein Projekt sagen will, das muss auch tänzerisch ausgedrückt werden können. Wobei aus meiner Sicht das Handwerkliche beim Tanzen ganz, ganz wichtig ist. Darauf lege ich viel Wert. Nur so vermittele ich etwas. Nur so kommt was an beim Publikum – sofern es sich darauf einlässt. Wichtig dafür ist, die Zuschauer neugierig zu machen.