Harald Häuser hat wieder illustriert. Der Maler, der seine Jugend in Markdorf verbracht hat und hier noch immer einen Teil des Jahres arbeitet, hat erneut die Zeichnungen für ein Buch geliefert. Außerdem die Umschlagabbildung für eine Erzählung von Blaise Cendrars, einem 1961 verstorbenen französischsprachigen Romancier, der inzwischen auch in Deutschland als eine der wiederzuentdeckenden literarischen Größen des vergangenen Jahrhunderts gilt. Und ebenso wie das von Harald Häuser illustrierte Gottfried-Benn-Buch "Gehirne" oder der Milner-Place-Gedichtband "The man who had forgotten the name of the trees" ist auch das Blaise-Cendrars-Buch im Schönebecker Moloko-Print-Verlag erschienen.
"Abhauen" heißt das schmale Bändchen. Gerade einmal 74 Seiten umfasst es. Vier davon beinhalten ein Vorwort. Und weitere fünf braucht das Nachwort. "Partir" lautet der Originaltitel der Erzählung von Blaise Cendrars. Der wurde 1887 – als Fritz Sauser – in La Chaux-de-Fonds geboren, von wo er mit 16 fortlief, um nach Russland, China und in die Mandschurei zu reisen. 1910, mit 23, kam er nach Paris, wo er mit bekannten Schriftstellern und Künstlern wie Apollinaire, Chagall, Leger, Delaunay oder Modigliani Freundschaft schloss. Wo er Gedichte schrieb, Romane und Erzählungen – Erzählungen wie "Partir", Abhauen.
Eisenbahnen, Uhren, ein barockes Gebilde, halb Muschel, halb Fächer überwölbt das Szenario, in dem sich das Quadrat eines Fahrkartenschalters öffnet. Darin deuten sich Stellagen, Regale an, vor allem aber ein Mann mit Mütze. Es wirkt, als habe er die Arme erhoben – ratlos, fassungslos. Vor ihm hat sich ein anderer Mann aufgebaut, in der Hand einen Geldschein haltend. "Das Bild entspricht genau dem, was links erzählt wird", erläutert Harald Häuser. "Für hundert Francs bitte!, schrie ich dem verdutzten Beamten zu." Die Ungehaltenheit des Abreisenden, sein Unmut, seine Eile scheint sich in der vibrierenden Kleinteiligkeit der Häuserschen Zeichnung widerzuspiegeln. Wie so häufig bei ihm verschwimmt Konkretes in mäandernden Formen. Zeichen, Symbole ballen sich zu Ding-Wolken, kondensieren als Gegenständliches oder treiben weiter im Unbestimmten. Häusers Mal- und Zeichenstil korrespondiert mit Cendrars fester Überzeugung, dass es ein Verbrechen sei, die Fantasie und deren Gebilde in feste Strukturen zu pressen. Sigmund Freuds Versuch, die Traumgestalten des Unterbewussten mit den Schablonen des Mythos zu bannen, zu systematisieren, war ihm verhasst, heißt es in Peter Burris Nachwort zu "Abhauen".
Harald Häuser hat selber einige Jahre in Paris gelebt. Und Cendrars Fluchtbewegung kann er sehr gut nachvollziehen. "Sicher, da ist dieser Reiz, den die Stadt ausübt", erklärt Häuser. Irgendwann aber trete Ernüchterung ein. Allzu viel von dem, was die Atmosphäre der Seine-Metropole verheiße, löse sie nicht ein. Umso härter werde die Begegnung mit der nüchternen Realität. "Überspanntheit", "ausschweifende Maßlosigkeit", "niedrige Sitten" und "kümmerlicher Geist" heißen die Momente, die den Erzähler, hinter dem nur unschwer Cendrars zu erkennen ist, hintreiben zu existenziellerem Erleben "wie die Wälder, wie die ganze Natur den Kopf verlieren in diesem imaginären Kampf mit dem Wind ..."
Der Held von "Abhauen" verlässt Paris – ohne Abschied zu nehmen von seinen Kumpanen, den Mitstreitern aus Literaten- aus der Künstler-Bohème, den Kleinkriminellen und leichten Mädchen des Quartiers. Meisterlich habe Cendrars das Niemandsland der Hinter- und Innenhöfe der innerstädtischen Brachen skizziert, urteilt Harald Häuser, der manches wiederkannte. Dessen Zeichnungen sich aber jedem Lokalkolorit strikt verweigern. Abhauen lässt sich von überall – nicht nur aus Paris.
Blaise Cendrars, "Abhauen", Moloko Print, 2018, 73 Seiten
Zur Person
Harald Häuser, 1957 in Marburg geboren, aufgewachsen zunächst in Gießen, Frankfurt und Darmstadt bis 1964, dann an den Bodensee umgezogen. Aufenthalt in Paris von 1970 bis 1973, anschließender Umzug nach Markdorf. 1977 Studium der Linguistik, Literaturwissenschaft und der Politologie in Konstanz. 1978 Malerei-Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe. 1980 erste Reisen durch die USA, Asien, und Nordafrika. Harald Häuser erhielt zahlreiche Kunstpreise und Stipendien und stellte vielfach im In- und Ausland aus, beteiligte sich auch an Gemeinschaftsausstellungen. Unter anderem hat Häuser die folgenden Gedichtbände illustriert: Milner Place, "The man who had forgotten the name of the trees" – 2012; Gottfried Benn, "Gehirne" – 2013; Florian Vetsch und Claire Plassard, "Steinwürfe ins Lichtaug" – 2014; Heinrich Eduard Jacob, "das Flötenkonzert der Vernunft" – 2015; "Tausend und eine Nacht", zusammen mit Antonius Höckelmann – 2015. (büj)