Häkelbikinis und Flokatiteppich gelten als Attribute der 1970er Jahre. Selten war ein Jahrzehnt so farbenfroh wie die Jahre von 1970 bis 1979. Ob Mode, Werbung, Einrichtung oder Musik: Der gesamte Lebensstil war schräg und grell.

Knallige Farben und großflächige Muster

Plateauschuhe, Schlaghosen, Hot Pants, übergroße Sonnenbrillen, lange Koteletten und die „Matte“ auf dem Kopf waren der letzte Schrei. Möbel und Tapeten bestanden aus knalligen Farben und großflächigen Mustern. Es schien, als wollte man den strengen Funktionalismus der 1960er Jahre mit Mettigel und Flower Power radikal zur Seite wischen.

Der Bootsanleger des Frey-Häfeles und der Wilde Mann heute. Letzterer steht zum Verkauf, ersterer wird von Freys Sohn Heinz (rechts) ...
Der Bootsanleger des Frey-Häfeles und der Wilde Mann heute. Letzterer steht zum Verkauf, ersterer wird von Freys Sohn Heinz (rechts) weiter betrieben. Optisch hat sich nicht viel an der Kulisse verändert. Lediglich der Holzpavillon, der links im Bild der 70er Jahre zu sehen ist, wurde abgerissen und eine Steinmauer zwischen Strandhotel und Anleger errichtet. Sie soll 2020 durch eine Freitreppe ersetzt werden. Anstelle der Meersburg verkehrt nun das Fahrgastschiff Fritz. | Bild: Manuela Klaas

Auch in der Filmbranche waren die 70er das bunte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. „Farbig, schrill, wild und beginnend zeitkritisch“, bestätigt Stadtrat Peter Schmidt, der in puncto Meersburgs Filmindustrie ein wandelndes Lexikon ist.

Binnenschifferkomödie mit Roy Black

Obwohl Meersburg als Filmkulisse seit den 1930er Jahren äußerst beliebt war, wurde in der Dekade vier Jahrzehnte später nur ein einziger Film in der Burgenstadt gedreht: die Binnenschifferkomödie „Alter Kahn und junge Liebe“ mit Schlagerstar Roy Black in der Hauptrolle.

Teile des Films in Meersburg gedreht

„Teile des Films spielen vor Meersburgs Stadtkulisse im Jahr 1973“, erzählt Schmidt. Zu sehen sind der Marktplatz mit Obertor und dem historischen Gasthof Bären, die Unterstadt mit dem Schiffshafen, dem Gondelehafen – Einheimischen unter dem Namen „Frey-Häfele“ geläufig – und dem Blick aufwärts zum Barockensemble des ehemaligen Reithofs sowie des Priesterseminars.

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Ferner werden die gesamte Unterstadt vom See aus, der Überlinger See, die Pfahlbauten und die Wallfahrtskirche Birnau gezeigt, zudem die Verladung eines größeren Segelboots auf die Bahn zur Umgehung des Rheinfalls. Auf der Bahnstrecke ist in einer kurzen Filmsequenz auch der Bahnhof Mittelstenweiler zu sehen, der zur damaligen Zeit bereits stillgelegt war. Im weiteren Verlauf des Films führt die Schiffsreise den Rhein entlang stromabwärts bis nach Amsterdam.

Dreharbeiten dauerten nicht lange

„In Meersburg wurde hauptsächlich unter dem Rosenbogen des Strandhotels Wilder Mann, am Anlegesteg des Frey-Häfeles sowie im Stadtgarten gedreht“, erinnert sich der Filmexperte. „Lang dauerten die Dreharbeiten nicht, höchstens zwei oder drei Tage.“

Im Stadtgarten trafen sie auf die Filmcrew

Als Elfjähriger kam Schmidt damals mit Freunden aus dem Strandbad. Unvermittelt trafen sie im Stadtgarten auf die Filmcrew: „Auf dem Rasen waren Campingtische aufgebaut, an denen die Schauspieler geschminkt und – heute würde man sagen – cateringmäßig versorgt wurden.“ Am nächsten Tag gingen die Dreharbeiten am Anlegesteg des Frey-Häfeles und im Außenbereich des „Wilden Manns“ weiter.

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Neben Roy Black und weiteren bekannten Darstellern wie Barbara Nielsen, Jutta Speidel, Edith Hancke, Agnes Windeck, Eddi Arent, Ralf Wolter, Peter und Willy Millowitsch wirkte auch die zwölfjährige Norwegerin Anita Hegerland mit, die zu jener Zeit in Deutschland durch den gemeinsam mit Roy Black aufgenommenen Titel „Schön ist es auf der Welt zu sein“ zum Publikumsliebling avancierte.

Peter Schmidt, Stadtrat: „Für uns war damals in erster Linie interessant, warum um dieses Mädel so ein Theater gemacht wurde.“
Peter Schmidt, Stadtrat: „Für uns war damals in erster Linie interessant, warum um dieses Mädel so ein Theater gemacht wurde.“ | Bild: SK

„In unseren Augen wurde das Mädel übertrieben verhätschelt, sie bekam ständig Wasser oder die damals so beliebte Capri-Sonne gereicht, anschließend wurde ihr wieder die Stirn getupft. In einer Szene, die im Frey-Hafen spielte, später aber herausgeschnitten wurde, hob man sie ständig zu Roy Black ins Boot und wieder hinaus – insgesamt vier oder fünf Mal – bevor sie unter dem Rosenbogen des Wilden Manns singen sollte“, erinnert sich Schmidt. „Für uns war damals in erster Linie interessant, warum um dieses Mädel so ein Theater gemacht wurde.“

Ein Schlagerstar in Meersburg

Brigitte Philips von der Tourist-Information verfolgte die Dreharbeiten in der Oberstadt eher zufällig aus einem Fenster im zweiten Stock des ehemaligen Städtischen Krankenhauses, das zu jener Zeit noch an der Stelle stand, an der sich heute die „Jufa“ befindet.

SÜDKURIER unter den Arm geklemmt

„Plötzlich kam Roy Black durch den Torbogen, einen SÜDKURIER unter den Arm geklemmt und setzte sich zum Lesen auf die Rathaustreppe. Die Menschen, die an ihm vorbeiliefen, haben ihn hinter der Zeitung nicht erkannt“, erzählt Philips, die bis heute bekennender Roy-Black-Fan ist. Dann wurden Scheinwerfer aufgebaut und das Lebensmittelgeschäft am Schlossplatz, das damals der Familie Hanser gehörte und in dem sich heute ein Geschenkeladen befindet, stellte auf einmal Obstkisten raus, obwohl Himmelfahrtstag war und alle anderen Geschäfte geschlossen hatten.

Brigitte Philips, Mitarbeiterin der Tourist-Information Meersburg: „Als ich die Szene sah, dachte ich, hach, und dieser Gips ...
Brigitte Philips, Mitarbeiterin der Tourist-Information Meersburg: „Als ich die Szene sah, dachte ich, hach, und dieser Gips stammt aus Meersburg.“ | Bild: Manuela Klaas

„Roy Black kaufte kurz darauf Proviant für die Schiffsreise in dem Laden ein und lief dann aber mit seinem gefüllten Einkaufsnetz von der Winzerstube zum Becher aus durch die Höllgasse in Richtung Krankenhaus, so als befände sich der Laden an der Burg“, erinnert sich die Meersburgerin und erzählt weiter: „Der Hund, der im Film mitspielte, sollte laut Regieanweisung nebenherlaufen und am Netz schnuppern, was er aber partout nicht wollte. Auch der anwesende Hundetrainer konnte ihn nicht überreden. Also hat man das Spielzeug des Vierbeiners im Netz versteckt, was schließlich half.“

Filmreifer Sturz des Schlagersängers

Doch dann passierte etwas, was so nicht im Drehbuch stand: Roy Black wechselte das Einkaufsnetz von der linken in die rechte Hand und der Hund, immer seinem Spielzeug hinterher schnuppernd, lief ihm zwischen die Beine, was einen filmreifen Sturz des Schlagersängers zur Folge hatte.

Zum Eingipsen ins Krankenhaus

Auch Schauspielerin Agnes Windeck, die im Film die Großmutter gab, stürzte: Sie rutschte auf der Treppe im Gasthaus Germania, das bis Anfang der 1980er Jahre am Marktplatz stand, dort, wo heute die Volksbank ist, aus und brach sich den Arm. Zum Eingipsen brachte man Windeck ins nahe gelegene Krankenhaus auf ebenjene Station, auf der auch Brigitte Philips Quartier bezogen hatte.

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Dort lag Windeck mehrere Tage und die gesamte Filmcrew ging zum Krankenbesuch auf der Station im zweiten Stock ein und aus, was den Aufenthalt Philips höchst unterhaltsam gestaltete. Im Kino sah Philips Windeck dann mit Gipsarm an der provisorisch für den Dreh eingerichteten Bushaltestelle vor dem Brunnen am Marktplatz stehen. „Als ich die Szene sah, dachte ich, hach, und dieser Gips stammt aus Meersburg„, freut sich die Mitarbeiterin der Tourist-Information heute noch schmunzelnd über ihr Insiderwissen.