Über ihn ist schon so viel geschrieben worden. „Es ist alles beleuchtet, es gibt keine offenen Stellen mehr“, findet Peter Berthold. Trotzdem, und trotz angeschlagener Gesundheit, gibt er ein Interview. Denn wer weiß, vielleicht hat er ja doch noch den einen oder anderen Satz auf Lager, den es lohnt, der Nachwelt zuzurufen? Zum Beispiel sagt er: „Leben ist etwas unsterbliches auf der Welt.“ Den Zusammenhang erläutert er weiter unten im Text.
Zwei Bücher bleiben ungeschrieben
Der in Owingen-Billafingen lebende Ornithologe Professor Peter Berthold wird am 19. April 85 Jahre alt. Er hätte gerne noch zwei Bücher geschrieben, er komme aus gesundheitlichen Gründen aber nicht mehr dazu. Das eine Buch hätte von der Mönchsgrasmücke gehandelt: „Es wäre eine Zusammenfassung von all‘ dem, was wir in Jahrzehnten über den Vogel gelernt haben.“ Der Evolutionsbiologe Berthold kann anhand des kleinen Zugvogels aufzeigen, wie sich der Klimawandel auf das Verhalten der Tiere auswirkt.
Das zweite ungeschriebene Buch hätte nicht von Bertholds Professorenleben gehandelt, sondern von der Zeit danach, „von meinem zweiten Beruf als Landschaftsgestalter für Naturschutzzwecke“. Er sagt: „Wenn ich gesehen hätte, wie miserabel sich unsere Natur entwickelt, hätte ich wesentlich früher damit angefangen, aktiv auf den Naturschutz zuzuarbeiten.“ Er meint die Schaffung neuer Biotope wie den Sielmannweiher, den er 2005 in seinem Wohnort Billafingen als ersten anlegte. Mittlerweile gibt es in dem von ihm und Tierfilmer Heinz Sielmann begründeten Biotopverbund Bodensee, 130 Biotope, jedes einzelne sei eine „Arche Noah“.
Bundesverdienstkreuz wider Willen
Berthold ist reich mit Preisen und Auszeichnungen bedacht worden. Eher unangenehm ist ihm das 2018 verliehene Bundesverdienstkreuz am Band, was am Verleiher selbst liegt, dem Bund. „Eine Affenschande“ sei es, „dass eine Behörde einen saurierähnlichen Professor auszeichnet, für eine Leistung, die die Behörde als Pflichtaufgabe hätte“. Er komme sich vor wie jemand, der mit einem Eimer ein Feuer löscht, weil es die Feuerwehr nicht hinbekommt. Um einen Affront zu vermeiden, habe er das Kreuz dann aber doch angenommen.
Mutiger Auftritt für Vögel schon als Schüler
Peter Berthold ist bekannt für seinen frechen Schnabel. Er lernte, „dass man manchmal richtig auf den Putz hauen und gewisse Drohgebärden aufbauen muss“, wenn man in Rathäusern und Behörden etwas erreichen will. Zwei Beispiele datieren aus den 50er-Jahren, aus dem Raum Nagold, wo Berthold das Internat eines Aufbaugymnasiums besuchte. Er berichtet von einer tierquälerischen Falkenzucht, wo er über einen Zeitungsbericht öffentlich Druck gemacht und Verbesserungen erzielt habe. Und von einem mutigen Besuch im Rathaus, mit dem er das Wegbaggern einer Eisvogelbrutröhre verhinderte.
Größter Erfolg vor der eigenen Haustüre
Sein letztes Buch trägt den Titel „Hilfeschrei der Natur! Was wir noch tun können – die letzte Chance für unsere geschundene Erde“, erschienen im Dezember 2023 bei Frederking und Thaler. Man könnte verzweifeln, wenn man, wie Berthold, das Verschwinden der Vögel nicht nur beobachtet, sondern ihre Ausrottung wissenschaftlich begleitet. Doch er verzweifelte nicht, sondern setzte zu immer neuen Höhenflügen an. Gefragt, nach der größten Überraschung seines Forscherlebens: „Was mich am meisten mit Freude erfüllt, und wo ich mit großer Dankbarkeit draufschaue, ist das, was mit der Einrichtung des Sielmannweihers gelungen ist.“ Während von 1971 bis 2005 die Zahl der Vogelarten in seinem Wohnort von 114 auf 101 gesunken ist, stieg sie seither auf 183 nachgewiesener Arten an.
Atom-Arsenal nagte an seinem Mut
„Einmal war ich aber doch der Verzweiflung nahe.“ Als davon die Rede war, dass die Menschheit mit ihrem Waffenarsenal in der Lage dazu sei, das Leben auf der Erde auszulöschen, dachte er: „Unser Herrgott hat uns verlassen.“ Überraschenderweise änderte er durch Tschernobyl seine Meinung: Dort, wo Menschen starben und heute noch sterben, habe sich die Tierpopulation sehr gut entwickelt.
Den Tieren in der Todeszone scheint die Radioaktivität nicht zu schaden, woraus er den Schluss zieht: „Wenn wir auch alle Atombomben zünden würden, sind wir nicht in der Lage dazu, Leben auf der Welt komplett auszurotten. Leben ist etwas unsterbliches.“ Mit den vielen von ihm geschaffenen „Arche Noah“ sehe er, „dass wir viele Arten und Individuen retten können, hoffentlich hinüberretten in eine bessere Welt, wo sie evolutionär neue Wege gehen“.
Bertholds Gedanken über den Tod
Darf man einen 85-Jährigen fragen, wie er sich sein Ableben vorstellt? Ihn schon. „Ich bin sehr gottgläubig, nicht im christlichen Sinne, sondern im Schöpfungssinne.“ Er wünsche sich, „im Laufe des Dahinscheidens mit dem Schöpfer in Kontakt zu kommen“, denn es gebe viele Dinge in der Biologie, die er noch nicht verstanden habe. „Früher habe ich immer davon geträumt, in einer Art Wiedergeburt als Zugvogel zurückzukommen.“ Er habe immer nach ihnen geschaut. Er wolle gerne auch mal aus deren Perspektive auf die Forscher schauen. „Aber meine Frau sagt, dass sie fürchte, ich werde eher als Käfigvogel auf die Welt kommen.“