Der Mietspiegel der Gemeinde Sipplingen wird voraussichtlich noch einmal neu beraten und verabschiedet werden müssen. Die im Juli verabschiedete Vorlage war inhaltlich fehlerhaft. An drei Stellen des zur Beschlussfassung vorliegenden Dokuments stand „fußläufige Entfernung“ (zum Beispiel zum Spielplatz) als Bewertungskriterium dafür, wie vor- oder nachteilig sich die Lage einer Wohnung im Mietpreis niederschlagen müsse. Es hätte aber „Luftlinienentfernung“ heißen müssen, da die Berechnungen auf Geodaten basieren. Diesen Maßstab hatte das EMA-Institut, das den Mietspiegel erstellte, im Onlinerechner zwar hinterlegt, die alte Bezeichnung „fußläufige Entfernung“ aber in der Beschlussvorlage stehen gelassen.
Ob fußläufig oder Luftlinie als Entfernungs- und Berechnungsgrundlage angesetzt werden, kann erheblich sein. So für den Sipplinger Dieter Petersen. Seine Mietwohnung liegt zwar nur rund 150 Meter Luftlinie vom Seeufer entfernt, aber dazwischen verlaufen B31-alt und die Bodenseegürtelbahn. Fußläufig kann er deshalb das Ufer nur auf einer Strecke zwischen 450 und 700 Meter erreichen. Es gibt nur zwei Querungsmöglichkeiten.
Onlinerechner zeigt höhere Monatsmiete
Der Rentner hatte sich nach der Verabschiedung des Mietspiegels darüber gefreut, dass die Entfernung seiner Mietwohnung zum Seeufer weiterhin nach dem Kriterium „fußläufig zu erreichen“ berechnet wird. Das wirkte sich positiv auf die Höhe seiner Miete aus. Als er indes den Onlinerechner der Gemeinde bemühte und die Daten seiner Wohnung eingab, staunte er nicht schlecht. Weil dort die Luftlinienentfernung zum See als Kriterium hinterlegt war, warf der Onlinerechner eine Erhöhung seiner Monatsmiete um 151 Euro aus.
Petersen schrieb der Gemeinde, die sich alsbald mit einem Schreibfehler entschuldigte. Die EMA habe versehentlich das früher gültige „fußläufige Entfernung“ in der Beschlussvorlage stehen lassen und nicht durch den gültigen Begriff Luftlinienentfernung ersetzt. Man werde dies umgehend korrigieren.
Protokoll und Sitzungsvorlage angepasst
Die Korrektur fiel umfassend aus. Nicht nur in dem veröffentlichten Protokoll des Ratsbeschlusses vom Juli, sondern auch in der Sitzungsvorlage wurde der Begriff „fußläufig zu erreichen“ durch Luftlinienentfernung ersetzt. „Man kann doch nicht eine Sitzungsvorlage nachträglich verändern“, sagte Petersen im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Seiner Meinung nach hätte die Verwaltung den Gemeinderat über den Fehler in der Vorlage informieren und den Mietspiegel neu verhandeln müssen. Als das in der Septembersitzung nicht geschah, brachte Petersen das Thema im Oktober in der Bürgerfrageviertelstunde selbst an. Er endete mit den Worten: „Für mich bedeutet dieser Vorgang, den man wahrscheinlich digitale Urkundenfälschung nennen muss, einen großen Vertrauensverlust in unsere Verwaltung.“
Verwaltung spricht von einem Versehen
Auf Rückfrage des SÜDKURIER räumte der Fachbereichsleiter Zentrale Verwaltung in Sipplingen, Christoph Huber, die fehlerhafte Benennung in der Sitzungsvorlage ein. Nach Bekanntwerden sei das veröffentlichte Dokument, also das Dokument zum Beschluss, korrigiert worden. Dass dabei auch die Sitzungsvorlage verändert wurde, erklärt Huber so: „Bei der Korrektur kam es jedoch zu einem technischen Fehler, da die Verknüpfung unseres Dokumentenmanagementsystems mit dem Ratsinformationssystem versehentlich eine Änderung der Sitzungsunterlagen verursachte.“

Man habe die Vorlage mittlerweile wieder in den Originalzustand zurückgesetzt. Da es sich aber „lediglich um einen Schreibfehler in einem Entwurfsdokument“ gehandelt habe und die „sachlichen Grundlagen des Mietspiegels unverändert“ geblieben seien, sei es „nicht erforderlich (gewesen), den Sachverhalt erneut im Gemeinderat zu beschließen“.
„Mietspiegel entspricht nicht Beschlusslage“
Das sehen die Gemeinderäte anders. Günther Völk (CDU) gegenüber dem SÜDKURIER: „Der Mietspiegel entspricht nicht der Beschlusslage des Gemeinderates. Es geht um eine inhaltliche Berichtigung, wenn es überhaupt ein Fehler war. Darüber entscheidet der Gemeinderat, nicht Herr Huber. Aus meiner Sicht ist, wie beschlossen, die effektiv zurückzulegende Entfernung für den Mietwert maßgeblich. Das ist kein Schreibfehler, sondern eine inhaltliche Veränderung.“ Und ob es sich tatsächlich um einen technischen Fehler bei der nachträglichen Veränderung der Sitzungsvorlage handele, wolle er sich von dem Fachbereichsleiter erst noch zeigen lassen.

Martin Kitt (DBS): „Die Korrektur eines Schreibfehlers läge dann vor, wenn ich statt ‚Fehler‘ ‚Vehler‘ schreibe und dies anschließend korrigiere.“ Beim Mietspiegel gehe es darum, „eine rechtlich belastbare Auskunft über das Mietniveau“ zu erhalten. Wenn man nach der Korrektur des Schreibfehlers eine andere Miethöhe errechnen könne als zuvor, „handelt es sich nicht mehr um einen einfachen Schreibfehler“. Kitt sieht das eigentliche Problem darin, dass die Gemeinde den Fehler des EMA-Instituts „leichtfertig, unreflektiert und ohne jeden Grund übernommen“ habe und somit zu einem eigenen Fehler gemacht habe. Die strafrechtliche Relevanz dieses Vorgangs solle geprüft werden.

Stellungnahme des Deutschen Mieterbundes Bodensee
Der Deutsche Mieterbund Bodensee scheibt auf Anfrage des SÜDKURIER zum Mietspiegel in Sipplingen:
- Die Tatsache, dass die Sitzungsvorlage (Anm.d. Red. im Sipplinger Gemeinderat) vom alten Kriterium fußläufige Entfernung schreibt, obwohl dies gar nicht mehr in die Berechnung des Mietspiegels einfloss, ist natürlich ein Problem, weil dies die Entscheidungsfindung des Gemeinderates beeinflussen könnte.
- Ein Mietspiegel ermittelt die ortsübliche Vergleichsmiete anhand der Kriterien Baujahr, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage einer Wohnung. Dabei schreibt die Mietspiegelverordnung in Paragraf 19 Absatz 3 vor, dass unterschiedliche Wohnlagen durch ein Straßenverzeichnis exakt zu verorten sind. Deswegen werden für die Ermittlung des Wohnwertmerkmals Lage bei vielen Mietspiegeln die allgemein verfügbaren Geodaten verwendet. Mit den Geodaten stehen nun objektive Daten für die Wohnlage zur Verfügung, die nicht von individueller Schätzung der Befragten abhängen.
- Durch die Änderung der Methode kann es bei einzelnen Haushalten wegen der Wohnlage zu einer höheren ortsüblichen Vergleichsmiete kommen. Eine kurze Entfernung zum See in der Luftlinie kann sehr wohl ein mietsteigerndes Merkmal sein. Wenn der See aufgrund Barrieren nur nach einem längeren Fußweg erreichbar ist, relativiert dies die Lage natürlich. Das kann bei korrekter Anwendung des Mietspiegels mit dem Instrument der Mietspiegelspanne angemessen berücksichtigt werden, so dass die neue Methodik des Mietspiegels nicht zu ungerechtfertigter Mietsteigerung führen wird.