Droben in Härlen warteten die Menschen, um in der Praxis der Radiologin Dorothea Klopschek ihre erste, zweite oder dritte Corona-Impfung zu bekommen. Unten am Mantelhafen wuchs zur gleichen Zeit die Menge zusehends, die gegen eine geplante Impfpflicht und den dadurch vermeintlich drohenden Freiheitsverlust protestierte. „Ich freue mich riesig, dass so viele unserem Aufruf gefolgt sind“, sagte Veranstalterin Ruth Meishammer.

Sie staunte ebenso wie die Polizeibeamten, die den Demonstrationszug der sogenannten „Besorgten Bürger“, wie sie sich im Aufruf bezeichneten, begleiteten. An die 2000 Teilnehmer waren in Überlingen am Samstagvormittag auf die Straße gegangen, um gegen die geplante Impfpflicht zu protestieren.

Veranstalter mussten jede Menge zusätzliche Ordner abstellen
Nachdem der Protestzug über den umstrittenen Messengerdienst Telegram beworben worden war, war die Resonanz größer, als es die Veranstalter offensichtlich erwartet hatten. Dass die vorgesehenen zehn Ordner nicht ausreichten, war der Polizei schnell klar geworden und so forderte sie, weitere Personen auszuweisen, die für einen geordneten Ablauf verantwortlich zeichnen sollten.

Ruth Meishammer appellierte vor dem Abmarsch an die auferlegte Maskenpflicht und sagte: Wer keine Maske trage, möge sich an den Rand der Veranstaltung begeben. Diese Botschaft wurde von vielen, doch längst nicht allen ernst genommen.
„Frieden – Freiheit – Demokratie“ skandierten sie auf dem Zug vom Mantelhafen durch die Münsterstraße über die Gradebergstraße zum Münsterplatz.
Breites Spektrum von Beiträgen und Behauptungen
Der Einsatz von „gentechnischen Versuchsstoffen“ zum Impfen sei unverantwortlich, wurde unter anderem behauptet. Das Spektrum der Beiträge war breit und reichte von Vaclav Havel, dem 2011 verstorbenen tschechischen Dramatiker und Politiker – als vermeintlichen Kronzeugen für die eigene Position bis hin zu einem Choral aus Bachs Weihnachtsoratorium.
Selbst die deutsche Nationalhymne wurde bemüht, ehe Mitveranstalter Christoph Betz aufgrund seiner eigenen medizinische Interpretation der Impfung die Bedenken von Skeptikern weiter befeuerte. „Kann es sein, dass man auf der Grundlage eines solchen Medikaments eine weltweite Impfpflicht einführt?“, rief er ins Mikrofon.

Am Rande wurden mit „Wir sind das Volk“ und „Lügenpresse“ vereinzelt auch Parolen von Pegida gegrölt. Im Sinne der Veranstalter scheint das allerdings nicht gewesen zu sein. Denn in ihrem Fazit nach der Demo sprach Ruth Meishammer nicht nur der Polizei ihren Dank für die Begleitung des Protestzugs durch die Innenstadt aus. Die Ermöglichung der Demonstration und deren geordneter und unbehelligter Ablauf lasse auch hoffen, sagte sie sinngemäß, dass es noch Hoffnung gebe für Demokratie und Freiheit.

Nicht jeder der Teilnehmenden hätte diese Position allerdings unterschrieben. Der eine oder andere behauptete während des Zuges, dass sowohl die Medien als auch die Weltgesundheitsorganisation vom Großkapital unterwandert und manipuliert seien – ohne sich allerdings namentlich zu den Aussagen bekennen zu wollen. Zwar waren vereinzelt verbale Kraftakte zu hören, es kam jedoch zu keinen tätlichen Ausschreitungen.
Pflegekräfte machen ihrem Unmut Luft
Unter den Teilnehmenden waren auch viele Pflegekräfte aus der Region, die der Sorge um ihre Einrichtungen Ausdruck verliehen. Sie nahmen Bezug auf die beschlossene Impfpflicht für Beschäftigte in Pflegeberufen und stimmten mit einem neuen Text ein bekanntes Kinderweihnachtslied an:
„Im März ihr Leute wird‘s was geben, darauf könnt ihr euch schon freu‘n. Durch den Kollaps in der Pflege könnt ihr Patienten selbst betreu‘n.“
Bevor sie den ungeplanten Chorgesang der Pflegekräfte gewähren ließ, hatte Ruth Meishammer bei der Polizei noch um die Gewährung einer kurzen Verlängerung für die genehmigte Protestzeit gebeten und grünes Licht erhalten.

Das erklärte Ziel der Veranstalter, geimpfte und ungeimpfte Menschen mit der Demonstration zusammenzuführen und gegen eine wachsende Konfrontation anzugehen, scheint sich allerdings nicht erfüllt zu haben. Zumindest meldete sich niemand zu Wort oder bekannte auf Nachfrage, dass er oder sie geimpft sei und sich mit den Anliegen der Protestaktion solidarisiere.
Die wenigen Zaungäste, die in der Innenstadt Notiz nahmen von dem Demonstrationszug, äußerten sich eher kritisch gegenüber den Teilnehmern, die teilweise Kind und Kegel mitgebracht hatten und zu Kronzeugen ihres Protests zu machen versuchten.
