An der Birnau spürte sie die erste Wehe, in Nußdorf die zweite – und dann kamen sie permanent. Sandra Völklein vermutete einen Blasensprung und war mit ihrem Mann Christian von Mühlhofen aus auf dem Weg nach Überlingen. Der Blasensprung gehört zu den Zeichen der beginnenden Geburt und geschieht in der Regel spontan nach Eintritt der Geburtswehen. Sie erreichten das Helios-Spital und alles schien an diesem Nachmittag im Oktober 2022 nach Plan zu laufen.
Nach einer Untersuchung hieß es aber von einem Gynäkologen: „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie‘“, erzählt Christian Völklein. „Die Gute war, dass meine Frau einen Blasensprung hatte. Die Schlechte, dass man sie nicht für die Nacht hierbehalten könnte.“ Der Grund: In der Klinik war für die Nachtschicht nicht ausreichend Personal vorhanden. Der 35-Jährige erinnert sich, dass es den Ärzten und Hebammen peinlich gewesen sei, dass die werdenden Eltern abweisen mussten.
Mit Blaulicht nach Singen
Aber wo sollte es jetzt hingehen? Konstanz hatte wohl keine Kapazitäten, erfuhr das Ehepaar. Friedrichshafen und Tettnang schienen zu weit. Die Lösung hieß Singen. Mit einem angeforderten Rettungswagen wurde Sandra Völklein mit Blaulicht über die B31 und A98 gefahren, ihr Mann im Auto hinterher.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Sandra Völklein alle drei bis fünf Minuten Wehen. „Ich habe nur gedacht: ‚Hoffentlich behalten die uns!‘“, erinnert sie. Ihr Mann Christian ergänzt: „Angst hatten ich nicht, aber ich war verunsichert“, erzählt er.
Gegen 17.30 Uhr erreichten sie das Singener Klinikum. Um 21 Uhr begannen die Pressewehen und um 22.23 Uhr gab es ein Happy End: Da erblickte ihre Tochter Hannah das Licht der Welt.
Was hätten sie anders machen sollen?
Wenn Sandra und Christian Völklein zurückschauen, wissen sie nicht, was sie hätten anders machen sollen. „Wir sind einfach froh, dass in Anbetracht der Umstände alles gut gegangen ist“, sagt Sandra Völklein. Trotz aller Dramatik verspüren sie keine Wut gegenüber dem Überlinger Klinikpersonal. „Sie haben einfach nur getan, was sie tun konnten.“
Nicht der erste derartige Fall im Helios-Spital
Nicht zum ersten Mal wurde eine Schwangere in den Wehen vom Helios-Spital Überlingen an eine andere Klinik weitergeleitet. Bereits im vergangenen Jahr berichtete der SÜDKURIER über ein Elternpaar, das für die Geburt im April 2021 kurzfristig von Überlingen nach Singen musste. Auch hier war der Grund Personalmangel in der Geburtshilfe.
Die Pressestelle des Helios-Spitals bedauert auf SÜDKURIER-Anfrage den Vorfall rund um die Geburt. „In diesem Fall wurde aufgrund einer kurzfristigen Krankmeldung bei einer angespannten Personalsituation gemeinsam mit unserer Klinikleitung die leider notwendige Entscheidung getroffen“, erklärt Udo Trautmann, Chefarzt der Frauenklinik, via Pressestelle.
Eine Verlegung im Jahr 2022
Laut Pressesprecherin Julia Stapel seien Vorfälle wie diese eine Ausnahme und können in jeder Klinik unvorhergesehen auftreten. Grundsätzlich verfüge man über ausreichende Kapazitäten, um alle Schwangeren zu behandeln und sei im Notfall mit anderen Kliniken in Kontakt. Im Februar habe man beispielsweise alle Nachtschichten besetzt, so Stapel.
Kaum Informationen gibt es aber bei der Frage, wie viele werdende Mütter wegen Personalmangel im vergangenen Jahr im Klinikum gar nicht erst aufgenommen werden konnten. Darüber führe das Krankenhaus keine Statistik, heißt es. Zu einer Verlegung einer stationär bereits aufgenommenen Schwangeren sei es ein Mal gekommen, so die Pressestelle. Sandra Völklein sowie die Schwangere beim Fall im April 2021 waren dagegen nicht stationär aufgenommen.
Hebamme sieht keine Lösung in naher Zukunft
Die Hebamme Sabine Meißgeier aus Uhldingen-Mühlhofen beobachtet diese Entwicklung seit Jahren mit Pessimismus. Fälle wie bei Sandra und Christian Völklein hätten zuletzt zugenommen, berichtet die erfahrene Geburtshelferin. Als Gründe dafür sieht sie den regionalen Hebammenmangel, die zuletzt gestiegenen Geburtenzahlen sowie die Schließung von Kinderkliniken wie in Sigmaringen oder Pfullendorf in der Vergangenheit.

Bis es zu einer Lösung des Hebammenmangels komme, könne es aber noch Jahre dauern, meint sie. Zuerst müssten die Politik auf das Thema aufmerksam gemacht und Nachwuchs für den Beruf begeistert werden sowie aktuell studierende Hebammen im Beruf Fuß fassen. „Das dauert alles bestimmt mindestens fünf Jahre.“
Offener Brief an Bundesgesundheitsminister
Mit 15 Müttern aus einem Geburtsvorbereitungskurs hat sie Anfang des Jahres daher einen offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, Landesgesundheitsminister Manfred Lucha sowie die Vorgesetzten der Krankenkassen geschickt.
Die Frauen fordern darin eine angemessene Bezahlung für Klinikpersonal, eine entsprechende Vergütung von Geburten seitens der Krankenkassen und eine Lösung des Hebammenmangels. Der Brief der Mütter endet mit den Worten: „Bitte nehmen Sie den Schwangeren von Morgen die Unsicherheit!“