Bereits im Februar machte sich Johanna Nagel aus Überlingen Gedanken darüber, ob sie sich gegen das Coronavirus impfen lassen könnte, während sie ihr drittes Kind stillt. Schon damals hielt es die Ständige Impfkommission (Stiko) gemäß der aktuellsten Veröffentlichung für unwahrscheinlich, dass eine Impfung der Mutter während der Stillzeit ein Risiko für den Säugling darstelle.
Mehrere medizinische Fachgesellschaften betonten zudem die Möglichkeit, dass gestillte Kinder nach einer Impfung der Mutter durch Antikörper in der Muttermilch ebenfalls geschützt werden, wie das auch von anderen Impfungen bekannt ist.
Erster Impftermin mit Astrazeneca wird abgesagt
Deswegen kümmerte sich die Gewerbeschullehrerin um Impftermine, als das pädagogische Personal in Schulen und Kitas in die zweite Priorisierungsstufe eingruppiert wurde. Geplant war die Impfung mit dem Impfstoff von Astrazeneca, der damals noch für die Altersgruppe von 18 bis 64 Jahren empfohlen war. Doch dann wurden die Impfungen mit dem Vakzin ausgesetzt und Johanna Nagels Termin fiel aus.
Anfang April erhielt die 35-Jährige einen neuen Termin in Tuttlingen, doch sie fuhr vergebens hin: „Dort wurde mir gesagt, ich wäre noch auf der Astrazeneca-Liste, das würden sie ja bei Menschen meines Alters nicht empfehlen“, berichtet Johanna Nagel. Sie wurde auf die Warteliste für den Impfstoff von Biontech gesetzt und bekam Ende April einen neuen Termin – in Stuttgart.
Arzt in Stuttgart verweigert die Covid-Impfung
Die junge Lehrerin fuhr also in die Landeshauptstadt, nachdem sie bereits seit einer Woche wieder in Präsenz unterrichtete. Als sie nach den reibungslos verlaufenen Anmeldeformalitäten in der Impfkabine saß, verweigerte ihr der anwesende Arzt die Impfung, weil sie noch stillte. „Der ließ auch nicht mit sich reden, der war sehr bestimmt, resistent und unhöflich“, erinnert sich Johanna Nagel, die von der Abfuhr sehr überrascht und getroffen war.
Ob es daran liege, dass sie bei ihm in der Kabine gelandet sei, fragte sie den Mediziner, doch er gab an, dass niemand geimpft werde, der stille. Dabei stand im Informationsschreiben des Impfzentrums etwas anderes: „Da wurde auf die Stiko-Empfehlung verwiesen, dass bei Stillenden der voraussichtliche Nutzenfaktor überwiegt“, fasst die 35-Jährige zusammen.
Erste Impfdosis kommt dank Schichtleiter zustande
Ohne Impfung verließ Johanna Nagel die Kabine. Bei der Abmeldung monierte sie die widersprüchlichen Aussagen, da sie den weiten Weg aus Überlingen vergebens angetreten habe.
Der Verweis an den Schichtleiter brachte dann die Wende: „Der sehr nette junge Arzt meinte auch, er verstehe das nicht, dass der andere Arzt mich abgelehnt hat“, sagt die junge Mutter. Der Schichtleiter erzählte ihr, dass seine Frau ebenfalls stillen würde und zwei Wochen zuvor geimpft worden sei, was er für gut und völlig unproblematisch halte.

So kam die Lehrerin doch noch zu ihrer ersten Impfdosis: Der junge Arzt brachte sie zu einer freundlichen Kinderärztin – genau zwei Kabinen weiter von der, in der sie ursprünglich gewesen war. „Die Ärztin meinte, Stillen sei keine Kontraindikation zum Impfen. Sie finde es gut, dass ich es machen würde, und vielleicht würde der Kleine ja dann auch ein bisschen Schutz abbekommen“, berichtet Johanna Nagel.
Fachverbände: schützende Antikörper in Muttermilch
Diese Position vertreten auch elf medizinische Fachverbände: In einer neuen Veröffentlichung empfehlen unter anderem der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) und die Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM) eine priorisierte Corona-Schutzimpfung für schwangere und stillende Frauen mit einem mRNA-basierten Impfstoff.
Die Impfung bewirke eine sogenannte Nestimmunität für gestillte Kinder, da impfinduzierte Antikörper in der Muttermilch nachgewiesen werden können. Außerdem sei keine Stillpause nötig, da die mRNA des Impfstoffes nicht in der Muttermilch nachgewiesen werden konnte.
Rückblickend sagt Johanna Nagel, dass sie das Stillen wahrscheinlich verschwiegen hätte, wenn sie gewusst hätte, dass der Arzt so reagieren würde. Doch aufgrund der Angaben im Informationsschreiben ging sie davon aus, dass das Stillen kein Problem sei: „Deswegen habe ich den Fragebogen wahrheitsgemäß ausgefüllt.“ Es ärgere sie allerdings, dass die Ärzte sich nicht einig seien und jeder anders vorgehe.
Gemeldete Erfahrungen helfen anderen Frauen
Trotz allem helfen die Erfahrungen bereits geimpfter Stillender, damit sich andere Betroffene nach der medizinischen Aufklärung selbstbestimmt für oder gegen die Corona-Impfung entscheiden können. Nebenwirkungen oder deren Ausbleiben können dem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin (Embryotox) und dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) gemeldet werden, um die Datenlage zu verbessern.
Johanna Nagel selbst hatte nahezu keine Nebenwirkungen. „Die Einstichstelle habe ich anderthalb Tage gespürt, wenn ich den Arm auf eine gewisse Art bewegt habe“, blickt sie zurück. „Und bei Kolja habe ich gar nichts gemerkt“, berichtet sie von ihrem Sohn.