Ende Februar dieses Jahres war die Welt bei Diehl Aerospace in Überlingen noch in Ordnung. Bei einer Jubilar-Ehrung im neu eröffneten DAs-Meeting-Center auf dem Firmengelände zeigte sich Geraldo Walle, Vorsitzender der Geschäftsführung, hoch zufrieden darüber, Mitarbeiter für deren 25- und 40-jährige Treue zum Unternehmen auszeichnen zu dürfen: „Ihre Loyalität spiegelt die persönliche Identifikation mit dem Unternehmen wider, und es ist unsere Pflicht, diese Unternehmenskultur zu bewahren.“

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Doch längst nicht alle der rund 320 Kollegen, die heute im Überlinger Diehl-Aerospace-Werk in Lohn und Brot stehen, werden einmal auf vergleichbare Zugehörigkeitszeiten bei dem Flugzeug-Zulieferer zurückblicken können – weil die Luftfahrtbranche infolge der Corona-Pandemie angeschlagen am Boden liegt und Diehl Aviation laut eigener Mitteilung sich gezwungen sieht, in Deutschland bis 2022 bis zu 1400 Arbeitsplätze abzubauen.

200 davon bei Diehl Aerospace, einem zivilen Gemeinschaftsunternehmen mit dem französischen Thales-Konzern, das neben dem Standort in Überlingen noch zwei weitere Werke in Frankfurt und Nürnberg unterhält. Wie sich der Stellenabbau auf die drei Niederlassungen verteilt, darüber schweigt sich das Unternehmen aus.

Der Diehl-Standort in Überlingen aus der Vogelperspektive. Hier haben gleich mehrere Teilkonzerne von Diehl ihren Sitz.
Der Diehl-Standort in Überlingen aus der Vogelperspektive. Hier haben gleich mehrere Teilkonzerne von Diehl ihren Sitz. | Bild: Boris Stoebe Photography/Diehl

Genau das ist der Grund, weshalb die Stimmung unter den Mitarbeitern hoch angespannt sei, sagt der Überlinger Aerospace-Betriebsratsvorsitzende Andreas Röhrig auf Anfrage. Die Unsicherheit quäle die Kollegen. Zwar ist angekündigt worden, betriebsbedingte Kündigungen durch sozialverträgliche Maßnahmen wie Altersteilzeit, Freiwilligenprogramm oder eine Konzern-Stellenbörse soweit wie möglich zu vermieden, doch ausgeschlossen sind sie nicht.

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Röhrig arbeitet seit 1986 für das Unternehmen (damals Bodenseewerk Gerätetechnik GmbH), ist seit 2006 Betriebsratsvorsitzender und kann sich an keine schwierigere Phase als die jetzige erinnern. „Die Luftfahrt war ein Wachstumsmarkt par excellence“, sagt der 62-Jährige. Umso drastischer wird die aktuelle Situation wahrgenommen, zwei Drittel der Belegschaft sind in Kurzarbeit. Röhrig rechnet damit, dass sicherlich fünf bis zehn Jahre ins Land ziehen werden, ehe das Umsatzniveau aus dem Jahr 2019 wieder erreicht ist.

Rund 320 Menschen sind bei Diehl Aerospace in Überlingen beschäftigt. Im Foto ein Blick in die Produktion.
Rund 320 Menschen sind bei Diehl Aerospace in Überlingen beschäftigt. Im Foto ein Blick in die Produktion. | Bild: Aerospace

Schlecht angekommen bei den Kollegen sei die Art und Weise, den Stellenabbau anzukündigen – denn eine Skype-Konferenz mit den Mitarbeitern sei erst an dem Tag anberaumt worden, als die Nachricht von den Stellenstreichungen bereits im SÜDKURIER stand, so Röhrig. Für ihn ist das ein Unding.

David Voskuhl, Sprecher von Diehl Aerospace, will das so nicht stehen lassen. Man habe die Mitarbeiter übers Intranet des Unternehmens noch vor der Öffentlichkeit über den Stellenabbau informiert. Der Zeitplan sei an diesem Montag, einem klassischen Kurzarbeitstag, eng getaktet gewesen und Mitarbeiter hätten sich womöglich schon im Feierabend befunden, als die Nachricht intern verbreitet wurde.

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Überlingens Oberbürgermeister Jan Zeitler ist „persönlich und umfassend“ von Standortleiter Walle über die Situation von Diehl informiert worden, heißt es aus dem Rathaus.

Mit deutlichen Worten kritisiert der Betriebsratsvorsitzende das von der Geschäftsführung vorgestellte Zukunftskonzept, mit dem die Krise gemeistert werden soll. Es bestehe zu 90 Prozent aus Personalabbau. „Das ist uns zu wenig“, sagt Röhrig. Positiv dagegen bewertet er Signale, die er von Verantwortlichen von Diehl Defence erhalten hat: Das auf Verteidigungstechnik spezialisierte und von Corona nicht aus der Bahn geworfene Tochterunternehmen habe zugesagt, in Personalangelegenheiten auszuhelfen.

Im Engineering-Center von Diehl Aerospace.
Im Engineering-Center von Diehl Aerospace. | Bild: Aerospace

Unternehmenssprecher Voskuhl kann gut nachvollziehen, dass die aus der Konzernzentrale von Diehl Aviation bislang bekannt gewordenen Stellenabbau-Pläne und Umstrukturierungsmaßnamen auf Ängste bei der Überlinger Aerospace-Belegschaft stoßen. Es sei aber noch zu früh, „Ross und Reiter zu nennen“. Sprich: Was bei Diehl Aerospace passiert, ist zu einem großen Teil davon abhängig, was bei Diehl Aviation entschieden wird.

Laut Voskuhl werde der Standort Überlingen mit dem vor Kurzem vollzogenen Einstieg in das Marktsegment der Urban Air Mobility (UAM) gestärkt – weil sich das Werk am Bodensee insbesondere durch seine Kompetenz für die Produktgruppe Avionik auszeichne.

Ein Volocopter fliegt vor blauem Himmel. Das elektrisch angetriebene Vehikel, das aussieht wie eine Mischung aus Hubschrauber und ...
Ein Volocopter fliegt vor blauem Himmel. Das elektrisch angetriebene Vehikel, das aussieht wie eine Mischung aus Hubschrauber und Drohne, hat einen Probeflug in Stuttgart absolviert. | Bild: Marijan Murat/dpa

Als erfahrener Hersteller von Flugsteuerungen für Flugzeugproduzenten erhielt Diehl Aerospace im Frühjahr 2020 den Auftrag des Unternehmens Volocopter zur Entwicklung und Serienfertigung von Flugsteuerungs-Computern. Diese verarbeiten neben anderen Sensorwerten die Pilotenkommandos in einer Flugregelungsfunktion, übertragen die resultierenden Steuersignale an die elektrischen Antriebsrotoren des Volocity-Flugtaxis. Für Diehl und seinen Standort Überlingen stellt das den Einstieg in den aufstrebenden UAM-Markt dar. Hier verspreche sich das Unternehmen Absatzchancen für Produkte des Standorts Überlingen, so Voskuhl.

Diehl Aerospace beteiligt sich an Militär-Projekt

Selbiges gilt für die Diehl-Beteiligung an FCAS (Future Combat Air System). Dabei handelt es sich um ein multinationales, militärisches Projekt, das an einem Luftverteidigungssystem für die nächsten Jahrzehnte arbeitet, das aus einer Vielzahl von Einzelkomponenten bestehen wird. Diehl Aerospace ist ein Mitglied des Projektteams, wobei der Standort Überlingen seine Kompetenzen insbesondere auf den Gebieten der Flug- und Triebwerkssteuerung sowie der Integrierten Modularen Avionik (IMA), beisteuern könne, sagt der Unternehmenssprecher. Diehl Defence in Überlingen ist mit anderen Aufgaben ebenfalls an FCAS beteiligt.