Das ist eine echte Meisterleistung. Was die Überlinger Zunft für ihr diesjähriges Narrenkonzert komponiert hat – in Text und Bild versteht sich -, das hat in Form, Inhalt und vor allem Unterhaltungswert drei Sterne der Verkoster mehr als verdient. Von den ersten Geh- oder besser Fahrversuchen des Bühnennachwuchses mit seinem wasserstoffgetriebenen Mobil über einen fein gereimten Blick in die Überlinger Chronik unter dem Stichwort „was beim Stadtjubiläum unerwähnt blieb“ bis hin zum choreografisch eindrucksvollen und schweißtreibenden Wettstreit zweier besessener Sportlerinnen – ganz nach dem Motto „Jucket au“. Einmal mehr bewährt hat sich – aus Sicht des Publikums – das Pfarrzentrum als Konzertsaal mit verdichteter Atmosphäre und einem flotten Service.
Narrenkonzert in Überlingen: Ulrich Krezdorn ist jetzt Ehrennarrenrat
Schon den Auftakt gestalteten Narrenmutter Stefan Mayer und Narrenvater Achim Friesenhagen wie gewohnt lässig. Wobei der Mann mit dem hohen Zylinder der temporär Angetrauten zum Valentinstag seine Liebe mit Blumen und einem leichten Dessous bekundete. Nach 40 Jahren Narrenbühnenpräsenz versüßten sie Ulrich Krezdorn den Ausstieg mit einer Ernennung zum Ehrennarrenrat.
Wie schwer dem Aktiven der Abschied fällt, sollte das Publikum noch erleben. Wie Phönix aus dem Poller tauchte er beim Auftritt der Narrenzunftband noch einmal auf und schmetterte sein Lob auf die Autobremse „Es geht auf und ab“ zu Santanas „Oye como va“ hinunter in den Pfarrsaal.

Tobias Mezger durfte bei seinen Moderationen als Gassenpfleger im Lastenheft der Stadt und des Oberbürgermeisters blättern, um das Leid der Überlinger beim Namen zu nennen. Sei es mit der versprochenen Bürgernähe, dem Blitzerpanzer als Bußgeldgenerator oder der Treppe aus einem Bebauungsplan von 1970, die gut 50 Jahre später realisiert wurde.
„Horig“ – wen wundert‘s – ging es im Friseursalon von Meister Bär (Jens-Peter Fräntzki) zu. An der Haarpracht eines neuen Möchtegern-Alternativen im Rat (Andreas Längle) arbeitete sich das Team des Barbershops ab. Den Wunsch nach einem Fassonschnitt hatte der Lehrling (Stefan Mayer) offensichtlich missverstanden und verpasste dem Kopf den „Fascho-Schnitt“ einer Neuentdeckung unter den vermeintlichen Kommunisten. Ähnlichkeiten mit jüngeren Zitaten deutscher Politikerinnen dürften reiner Zufall gewesen sein. Mit einer Besenfrisur entließen die Coiffeure schließlich das Äffle aus dem Schwabenland (Thomas Madlener), das bei der vorausgehenden Prozedur eines der drei Resthaare und damit der Möglichkeit eines Seitenscheitels verlustig gegangen war.

Neue Seiten der Überlinger Stadtgeschichte aufgeblättert
„Wer machen möcht sein Geld gering, der frage, daß ers leichter zwing: Wo geht der Weg nach Überling?“ Als stimmgewaltiger Minnesänger Oswald von Wolkenstein trat Martin Baur hinter der überdimensionalen Chronik hervor und blätterte anschließend in wohlklingenden Reimen einige weniger schmeichelhafte neue Seiten der Stadtgeschichte auf. Da staunte selbst der kundige Walter Liehner (Peter Graubach). „Der Ritter Oswald mit der frechen Feder. Ihr zogt ja damals wild vom Leder“, begrüßte der Archivar den unerwarteten Besuch als „Herr von Wolkenstein und Seewein-Beleidiger“. Aufgeklärt über die positiven Wandlungen des Überlinger Weins schienen sie dem Gast im Salem Schloss quasi rückabgewickelt. „Seit der Herr Senft in Salem fehlt, läuft es da nicht mehr wie geölt“, analysierte Liehner daraufhin: „Soja pflanzt man jetzt statt Trauben, oh je, da fall ich ab vom Glauben.“

Was für die Reichsstadt schon länger gilt, trifft nun auch auf das geistliche Zentrum zu, diagnostizierte der Minnesänger. „Das Wort ehemalig, das genügt als Zeichen, dass der Glanz versiegt.“ Gar nicht erfreut über das erzbischöfliche Spiel mit den Pfarreien zeigte sich Mönch Gallus (Wolfgang Biller), der Erzbischof Stephan von der Dreisam (Daniel Sinner) mit Blick auf den Teufel (Max Kaiser) zurief: „Besinne dich und werd vernünftig, sonst schickt dich Gallus heut und künftig, mit diesem Kerl da als Betreuer hinab ins heiße Fegefeuer.“
OB-Kandidaten eingeschlossen in der Gruft
Nach einem Schaulaufen bei der Narrenzunft fanden sich mitten im OB-Wahlkampf die drei Bewerber Jan Z. (Jens Fräntzki), Martin H. (Peter Graubach) und Dennis M. (Tankred Kauf) eingeschlossen in der Gruft wieder. In der geteilten Verzweiflung machte eine „Tüte“ die Runde. Und mit einem Rap stellten sie sich die Frage: Ist das die „Stairway to heaven“ oder schon der „Highway to hell“? Aus dem Weltempfänger drangen bedrohliche Nachrichten hinunter in die Gruft. Die Wahl ist gelaufen – ganz ohne das Trio.

Allein beim Blick in das Fitnessstudio drohte das Publikum ins Schwitzen zu geraten, wenn „Fit-she“ (Achim Friesenhagen) und „Fet-she“ (Christoph Herr) sich an den Geräten austobten. Selbst während ihrer Liegestütze ersparten sich die beiden keine Bosheit. In der Grammatik von Meister Yoda warfen sie sich vor: „Eine Spaßbremse du bist.“ Harmonisch trällerten sie beim Spinning dann wieder lässig ihre Variante des „Bicycle Race“ von Queen, ohne je den Einsatz zu verpassen.
Noch nicht genug vom Narrenkonzert? Dann kommen Sie hier zu einer Bildergalerie mit den schönsten Fotos vom Premierenabend. Am Sonntagabend beginnt das Narrenkonzert übrigens bereits um 18 Uhr – anders als auf den Karten ausgedruckt.