Im Bett liegt eine Frau im OP-Hemd. Sie wälzt sich unruhig im Bett, kann sich aber aus eigener Kraft nicht auf den Rücken drehen. Filippo Li Fonti und Pflegepraktikant Marc Gehring lagern die Frau gemeinsam um. Li Fonti hält die Schultern der Frau, während Gering ihre Beine anwinkelt. Auf drei heben die Pflegekräfte den Körper der Frau in die Rücklage. Ein zusammengerolltes Handtuch unter den Unterschenkeln der bettlägerigen Patientin soll für Komfort sorgen.

Wir befinden uns im Helios Spital Überlingen. SÜDKURIER-Praktikantin Josefine Nord darf die Pflegekräfte um Stationsleiterin Susanne Brunner eine Schicht lang begleiten. Damit die Reporterin dazu gehört, trägt sie auch den weißen Kittel.

Josefine Nord in der typischen Klinik-Arbeitskleidung.
Josefine Nord in der typischen Klinik-Arbeitskleidung. | Bild: Josefine Nord

Die Pflege von Menschen ist körperlich anstrengend

Zurück im Krankenzimmer: Das Umlagern ist wichtig, damit keine Druckstellen am Körper entstehen. Denn durch diese können Keime in den Körper eindringen und zu Infektionen führen. Stationsleiterin Susanne Brunner erklärt: „Patienten, die es nicht selbst können, müssen mindestens alle zwei Stunden umgelagert werden.“

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Altenpfleger Filippo Li Fonti fügt hinzu: „So ein Mensch ist ziemlich schwer und es ist körperlich anstrengend, das die ganze Zeit zu machen. Also ist es super wichtig, immer das Bett hochzufahren, damit man sich nicht immer so tief bücken muss.“

Susanne Brunner wird die lange Tätigkeit im Pflegeberuf mittlerweile zum Verhängnis, berichtet die 57-Jährige. Früher habe man nicht so rückenschonend gearbeitet. „Ich hatte schon zwei Bandscheibenvorfälle.“

Susanne Brunner ist die Stationsleiterin der OST1 und seit 38 Jahren am Helios beschäftigt.
Susanne Brunner ist die Stationsleiterin der OST1 und seit 38 Jahren am Helios beschäftigt. | Bild: Josefine Nord

Leitende Pflegekraft führt durch die Station

Die 57-jährige Susanne Brunner ist seit 38 Jahren im Überlinger Krankenhaus beschäftigt. Während der Pandemie arbeitete sie auf der Corona-Station. Die erfahrene Krankenschwester hat heute schon in der Frühschicht gearbeitet und sich bereit erklärt, dem SÜDKURIER die Arbeit der Pflegekräfte auf der Station Ost 1 zu zeigen.

Susanne Brunner ist die leitende Pflegekraft der Station Ost 1 im Überlinger Helios Spital. Hier werden Menschen mit Beschwerden an den inneren Organen sowie Patienten mit urologischen und gefäßchirurgischen Erkrankungen behandelt. Insgesamt befinden sich auf der Station 14 Zimmer. Laut Stationsleitung behandelt die Station normalerweise 20 bis 23 Patienten gleichzeitig.

Pflege als Job ist eine Herausforderung

Es ist Viertel vor zwei. Ungefähr zwölf Leute sitzen im rund acht Quadratmeter großen Zimmer um einen Tisch gedrängt. Es ist Übergabe und die läutet die Spätschicht ein. Jetzt ist Aufmerksamkeit angesagt, denn es werden alle Informationen über jeden einzelnen Patienten der Station ausgetauscht. Heute sind es 20. Die Übergabe startet vor Schichtbeginn und dauert ungefähr 45 Minuten.

Nacheinander kommen die Pflegekräfte der Frühschicht in den Raum und erklären ihren Nachfolgern, was in den vergangenen acht Stunden auf der Station passiert ist. Die Kollegen wechseln im Sekundentakt zwischen Rotstift und Kugelschreiber. Jeder hat eine Tabelle mit den wichtigsten Daten zu den einzelnen Patienten vor sich liegen. Ein Spickzettel, wenn es mal schnell gehen muss.

Altenpfleger Filippo Li Fonti und Krankenpflegerin Harjeet Sandhu bei der Übergabe. Die Patientendaten auf dem Papier in Sandhus Hand ...
Altenpfleger Filippo Li Fonti und Krankenpflegerin Harjeet Sandhu bei der Übergabe. Die Patientendaten auf dem Papier in Sandhus Hand sind unkenntlich gemacht. | Bild: Josefine Nord

Nachts versorgt eine Pflegekraft bis zu 23 Patienten

„In der Früh- und Spätschicht sind immer zwei examinierte Pflegekräfte und zwei Pflegeschüler auf der Station“, erklärt die Stationsleiterin Susanne Brunner. Pflegeschüler – das können auch Jugendliche sein, die gerade erst die Ausbildung begonnen haben. Nachts sei eine Pflegekraft alleine für die 20 bis 23 Patienten zuständig.

Der Pflegenotstand liegt im Wesentlichen an der steigenden Zahl an Pflegebedürftigen, den Löhnen und Arbeitsbedingungen in der Pflege und dem Wandel in der häuslichen Pflege. Das Problem resultiert also aus der drastisch steigenden Anzahl der Pflegebedürftigen, für die es viel zu wenig Pflegekräfte gibt – eine Abwärtsspirale, denn dadurch verschlechtern sich auch die Arbeitsbedingungen in den Pflegeheimen, Krankenhäusern und in der ambulanten Pflege.

Moderne Technik erleichtert die Dokumentation

Brunner sagt: „Der Job ist eine Herausforderung, daher ist es wichtig, dass man wirklich mit Herzblut dabei ist.“ Neben Leidenschaft spielt auch die Technik eine wichtige Rolle. Susanne Brunner verweist auf den Dokumentationswagen: Ein mobiler Computer, auf dem alle Patientendaten eingetragen werden.

Früher hätten sie noch alles aufschreiben müssen. „Das Dokumentieren nimmt immer noch viel Zeit in Anspruch, aber dafür hat man jetzt alles mit einem Klick griffbereit.“

Filippo Li Fonti und Susanne Brunner am Dokumentationswagen.
Filippo Li Fonti und Susanne Brunner am Dokumentationswagen. | Bild: Josefine Nord

Zeit für mehr als nur das Allernötigste

Früher, da seien sie auch noch viel mehr Pflegekräfte auf der Station gewesen, hätten mehr Zeit gehabt, sich um mehr als nur das Nötigste bei den Patienten zu kümmern. „Wir haben die Menschen vor 20 Jahren zusammen an einen Tisch gesetzt, damit sie Karten spielen können und sich nicht so alleine fühlen.“

Laut einem besonderen Verfahren zur Personalbemessung der Bundeszentrale für politische Bildung fehlen in Deutschland rund 100.000 Vollzeit-Pflegekräfte. Einfach mehr Stellen zu besetzen, ist aber nicht möglich, denn das Fachpersonal gibt es einfach nicht. Laut Bundeszentrale für politische Bildung kann das Anwerben ausländischer Pflegekräfte zur Entlastung des Pflegepersonals beitragen, aber an der Grundproblematik nichts ändern.

Im Überlinger Helios geht nach der Übergabe sofort der erste Rundgang los. Mit dem Dokumentationswagen im Schlepptau schauen die beiden examinierten Pflegekräfte in allen Zimmer nach dem Rechten. Filippo Li Fonti und Harjeet Sandhu sind in der heutigen Spätschicht für die Station und alle Pflegeschüler sowie Praktikanten verantwortlich.

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Das Leid der Menschen ist Alltag

Susanne Brunner erzählt von den schweren Seiten ihres Berufs. „Manchmal ist es sehr hart, vor allem wenn man junge Patienten hat, die schwer krank sind“, sagt sie. „Ich habe mich mal um eine Frau mit drei Kindern gekümmert, die Krebs hatte und dann auch gestorben ist. Es war schlimm, den Vater mit den Kindern auf dem Gang zu sehen und zu wissen, dass für diese Familie nichts mehr so wird, wie es mal war.“

Auch die Corona-Zeit sei sehr schwer gewesen. „Wir mussten den ganzen Tag mit der vollen Montur, also mit Schutzkittel, Kopfhaube, Einmalhandschuhen, FFP2-Maske und Visier, herumlaufen.“ Viele Patienten seien gestorben. Trotzdem habe keiner ihrer Kollegen aufgehört. „Ich habe noch nie daran gedacht, eine andere Arbeit zu machen“, sagt Susanne Brunner. „Wir als Pflegekräfte schmeißen hier die Station, ohne uns ginge nichts.“

Das ist seit Corona passiert

Mit einem speziellen Pflegebonus wollte die Bundesregierung den Einsatz der Pflegekräfte in der Pandemie würdigen. Mit der bereitgestellten Milliarde sollten zielgerichtet die Krankenhäuser Gelder für Prämienzahlungen erhalten, die von der Pandemie besonders belastet waren.

Laut Bundesgesundheitsministerium erhielten insgesamt rund 217.000 Vollzeitkräfte Prämien. Rund 197.000 Pflegekräfte bekamen jeweils rund 2200 Euro und rund 20.000 Intensivpflegekräfte rund 3300 Euro. Zudem gab es einen gesonderten Bonus für Altenpflegekräfte. Ausgezahlt wurde der Bonus vom Arbeitgeber. Der Tarifvertrag der Helios Kliniken GmbH sieht eine Inflationsprämie für die Pflegekräfte in zwei Schritten vor. Im Juni dieses Jahres wurden 1000 Euro ausbezahlt, im Januar 2024 erhalten die Pflegekräfte jeweils weitere 1000 Euro ausbezahlt.

 

Ein Corona-positiver Mann wird vom Krankentransport abgeholt. Auch heute tragen die Pflegekräfte dann noch eine besondere Schutzkleidung.
Ein Corona-positiver Mann wird vom Krankentransport abgeholt. Auch heute tragen die Pflegekräfte dann noch eine besondere Schutzkleidung. | Bild: Josefine Nord

Wissen wie ein „halber Arzt“

Susanne Brunner ist stolz auf ihren Job. Schichtdienst, Fachkräftemangel, Arbeit unter extremen Druck, physische und psychische Belastung – das alles ist Pflege. „Ich möchte gerne, dass die Leute wissen, wie anspruchsvoll unser Job und auch die Ausbildung ist“, sagt Brunner. „Nach der Ausbildung ist man vom Wissen her ein halber Arzt.“ Sie wünsche sich, Pflegekräfte würden fachlich mehr geschätzt werden. „Man muss so viel Wissen, über Anatomie, Medikamente, Krankheiten haben und dann alles im Stress abrufen können.“