Das Rind trägt die Ohrmarke DE08 939 20916. Es kam im Januar 2022 zur Welt, und wurde im Juli 2024 geschlachtet. Seine Bäuerin begleitete es von der Geburt bis zur Betäubung auf dem eigenen Hof. Ein Transport des Tieres in den Schlachthof ist nicht nötig. Das Stichwort heißt „teilmobile Schlachtung“, die an Ort und Stelle erfolgt. Was ist das, und warum wird diese Lösung nur in einem Prozent der Fälle genutzt?
Das Problem
Der Transport zum Schlachthof bedeutet für Tiere Stress. Dr. Carsten Holtschmidt, amtlicher Tierarzt, bestellt vom Veterinäramt des Bodenseekreises, sagt, dass beim Transport Stresshormone ausgeschüttet würden, die die Qualität des Fleischs beeinträchtigen. Das sei keine bloße Geschmackssacke, vielmehr sei nachweisbar, dass Stresshormone die Fleischreifung veränderten. In einer mit Rindern des Hofguts Rengoldshausen in Überlingen vorgenommenen Studie ließ sich nachweisen, dass eine Tötung am Hof 20 Mal weniger Stresshormone produzierten, im Vergleich zu einer Tötung nach Transport in den Schlachthof.
Die Idee
Den Nutztieren kann ein Transport in den Schlachthof erspart werden, wenn sie an Ort und Stelle getötet werden. Das hat ethische Aspekte. So etwa für Betriebsleiter Marcus Decker vom Bio-Hofgut in Limpach (Deggenhausertal). Früher habe es ihm Unbehagen bereitet, wenn er seine Tiere in die Obhut eines Viehhändlers gab. Heute können er und seine Frau, Corina Decker, die Tiere bis zur letzten Lebenssekunde begleiten und auf deren Wohl achten. Da es sich um Herdentiere handelt, verbringt mindestens ein Artgenosse mit ihnen die letzte Nacht im Stall.
Ein amtlicher Tierarzt achtet auf Gesundheit und Hygiene des Tiers, und darauf, dass es stressfrei in eine Schlachtbox geführt wird, wo man seinen Kopf fixiert und der Metzger, hier Manfred Scholz, den Bolzenschussapparat ansetzt. Bislang gab es auf EU-Ebene hygienische Bedenken. Vor allem musste das auf die Betäubung folgende Ausbluten in einem geschlossenen Raum stattfinden. Das ist nach einer seit 2022 geltenden Verordnung nicht mehr nötig, sondern kann im Freien stattfinden. Nach der Tötung werden die Tiere in einem speziellen und hygienisch einwandfreien Anhänger, der nur für diesen Zweck genutzt werden darf, in den Schlachthof transportiert.

Die Umsetzung
Die neue Vorschrift lautet, dass zwischen Betäuben und Ausbluten der Tiere maximal 60 Sekunden liegen dürfen. Anschließend bleiben maximal zwei Stunden Zeit bis zur vollständigen Ausschlachtung des Tierkörpers in einem Schlachthof. Die Wege zwischen Bauernhof und Schlachthof müssen also entsprechend kurz sein. In unserem Beispiel wird die Schlachtung und das Ausnehmen als Dienstleistung von der Schlachthofinitiative Überlingen angeboten. Das zerlegte Fleisch wird portioniert, vakuumiert und zurück an den Bauernhof geliefert. Der Hof gehört zum Gesamtbetrieb des Bio-Hotels Mohren in Limpach. Sprich: Vom Hof auf den Teller der Hotelkunden sind es in diesem Fall nur wenige Meter. Laut Veterinäramt des Bodenseekreises gibt es sieben Bauernhöfe im Kreis, die eine Zulassung für die teilmobile Schlachtung haben. Wie Matthias Minister sagt, wirke das Genehmigungsverfahren auf den ersten Blick kompliziert, weshalb sie den Landwirten beim Ausfüllen der Papiere behilflich seien.
Das Fazit
„Wenn wir schon ein Tier töten, dann wollen wir das beste Fleisch haben“, sagt Tierarzt Carsten Holtschmidt, den das Konzept überzeugt. Für Corina und Marcus Decker erfüllen sich ethische Ansprüche, die sie an die Landwirtschaft haben, und die auch von den Hotel-Gästen nebenan geschätzt würden. Marcus Decker: „Die Tiere wurden hier geboren, hier dürfen sie gehen.“ Matthias Minister, Geschäftsführer der Schlachthof-Initiative, die sich der Regionalität verschrieben hat, sagt. „Es passt in unser Konzept.“ Teilmobile Schlachtungen finden im Bodenseekreis allerdings nur in unter einem Prozent der Fälle statt, dagegen der größte Teil laut Veterinäramt in den stationären Schlachtbetrieben.
Das hat laut Matthias Minister vor allem einen Grund: Der Preis. 50 bis 80 Cent müssten pro Kilo Fleisch für den Endverbraucher kalkuliert werden. Der Preis ist mittlerweile sogar für das Hofgut Rengoldshausen der Grund, das Konzept nicht weiterzuverfolgen, obwohl sie Pioniere bei der Hoftötung sind. Simon Giebler, Landwirtschaftsmeister in Rengoldshausen: „Wenn die Verbraucher nicht nur sagen, sie möchten diese Form der Schlachtung haben, sondern auch bereit sind, den Mehraufwand zu bezahlen, dann sind wir wieder dabei.“