Andreas Mahler

Der frühe Abend des Wahlsonntags war für das Publikum der Literaturveranstaltung im Schloss Bonndorf äußerst amüsant. Denn der telegene Denis Scheck war zu Gast und sprach ungefähr eineinhalb Stunden über Bücher, die man gelesen haben muss, oder auch nicht. Scheck war 20 Jahre lang Redakteur in der Sendung „Büchermarkt“ des Deutschlandfunks, bevor er sich selbstständig als Literaturvermittler machte. Mit seinen zwei Fernsehauftritten „Druckfrisch“ und „Lesenswert“ ist er wohl der derzeit beste TV-Entertainer im Bereich Literaturkritik.

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In „Druckfrisch“ nimmt er seit Jahren die Spiegelbestsellerliste pointiert und kritisch aufs Korn. Mit Beispielen daraus begann Scheck denn auch seine Orientierungsreise durch den Bücher-Dschungel mit seinen jährlich bis zu 80 000 Neuerscheinungen. Entlarvendstes Kriterium für Scheck: Grammatik, die entkoppelt von jeglichem sinnhaften Zusammenhang daher kommt. Und die kommt auffallend häufig in Büchern dieser Bestseller-Liste vor.

Oft ist schon der Titel Unsinn

Oft ist bereits im Titel der Unsinn erkennbar, wie bei „Jedes Kind ist hoch begabt“ oder „Schlank im Schlaf“. Beides Bücher, die hohe Auflagen erreichten. Schecks Botschaft: Bestseller dürfen nicht mit „Die besten Bücher“ verwechselt werden. Als zweites Orientierungssystem nannte Scheck die Literaturpreise im deutschsprachigen Raum, von denen es offenbar an die 700 gibt.

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Für den Literaturkritiker sind allerdings höchstens ein Zehntel der vergebenen auch preiswürdig. Auch der Literaturnobelpreis hält seinen Kriterien nicht stand. Denn mit Joyce, Proust, Kafka, Gertrude Stein und Arno Schmidt haben große Innovatoren der Literatur ihn eben nicht bekommen. Bob Dylan statt Philip Roth sei auch eher zum Verzweifeln gewesen. An Roth, den Scheck persönlich gut kannte, exemplifizierte er, wie Biographisches sich in Literatur verwandeln kann. Tratsch mit intelligentem Personal auf eine höhere Ebene gehoben, gehört denn auch zu Schecks literarischen Vorlieben.

Reduktion von Komplexität

Als dritte Orientierung nannte der Literaturkritiker den Kalender, also Geburts- und Todestage von Schriftstellern. Dieses Jahr gibt es ein lang andauerndes Fontane-Jubiläum, nächstes Jahr wird es ein Hölderlin-Jahr geben. Warum sich mit seiner Lektüre nicht daran orientieren? Hat ja etwas Objektives. Eindeutige Empfehlung von daher: der Briefwechsel zwischen den Eheleuten Fontane.

Scheck sieht die Funktion von Literaturkritik in der Reduktion von Komplexität. So dies seriös gemacht ist, besteht darin der Vermittlungsakt zu jener Literatur, welche die eigene Wahrnehmungsfähigkeit steigert und erweitert. Darum liest man ja.

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„Also, was sollen Sie lesen?“ Mit dieser Frage läutete er seine derzeitige kommentierte Bücher-Hit-Liste ein. Wir wiederholen sie hier nicht. Nur ein Beispiel daraus. Bemerkenswert, dass einer der literarischen Portalfiguren auf der Liste David Foster Wallace heißt. Wunderbar die Kostprobe aus dessen essayistischer Auslassung über Kreuzfahrten, die Scheck zum besten gab. Bemerkenswerter indes, dass immer noch Wallaces dickes Buch „Der unendliche Spaß“ auftaucht.

Vorliebe für Fantasy-Literatur

Denis Scheck liebt neben sogenannter hoher Literatur die Fantasy-Literatur, etwa George R. R. Martins Zyklus „Game of Thones“, oder Science-Fiction oder Krimis. Wer die letzten drei Gattungen nicht mag, sollte Scheck selbstverständlich nicht als Wegweiser benutzen. Denn auf einen Literaturkritiker zu hören, heißt auch, seine Vorlieben zu bedenken. Diese hat Denis Scheck in seiner rhetorisch unnachahmlichen, anekdotenreichen und vergnüglichen Art im transparent gemacht.