Um Betriebe und Branchen, die vom Corona-Lockdown des vergangenen Jahres besonders betroffen waren, vor dem wirtschaftlichen Niedergang zu schützen, zahlte das Land großzügige Soforthilfen aus.
Nun kommt für viele Selbstständige das böse Erwachen, denn die L-Bank hat ein Rückmeldeverfahren begonnen. Die Unternehmer müssen einen detaillierten Überblick über ihre tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben abgeben, die bei Antragsstellung freilich nur geschätzt werden konnten. Damit drohen vielen Betrieben saftige Rückzahlungen – und das zur Unzeit: Denn mitten in der vierten Corona-Welle stehen wiederum viele Branchen vor einer ungewissen Zukunft.
Viele Aspekte für Betroffene nicht nachvollziehbar
Betroffen von dieser Regelung ist auch Barbara Martin aus Murg. Sie betreibt einen Friseursalon im Ort, und ist vom Rückmeldeverfahren der L-Bank völlig überrumpelt worden, wie sie sagt.
Keiner sei davon ausgegangen, dass die Soforthilfe – wenn auch nur teilweise – zurückgezahlt werden müsse, ärgert sie sich. Noch gut erinnert sie sich an die Aussage des damaligen Bundesfinanzministers Olaf Scholz, der am 27. März 2020 eine schnelle unbürokratische Soforthilfe zugesagt habe – als Zuschuss, nicht aber als Kredit, betont Martin.
Jetzt sei wieder alles anders, kritisiert sie. Noch dazu seien Berechnungszeitraum und auch die Berechnungsgrundlagen nicht nachvollziehbar, denn die Soforthilfen wurden ab dem 25. März 2020 berechnet, obwohl die Friseure bereits eine Woche zuvor schließen mussten.
Zudem sei für die Friseurmeisterin als Inhaberin des Salons ein fiktiver Unternehmerlohn von 1180 Euro berechnet worden. Renten- und Krankenversicherung seien jedoch nicht als betriebliche Ausgaben akzeptiert worden. „Dabei ist das der Löwenanteil meiner Ausgaben“, so Barbara Martin. Auch sei es paradox als Berechnungsgrundlage die Umsätze der Vorjahre zu nehmen, weil die Situation in dieser Zeit eine völlig andere gewesen sei.
Sie rechnet vor: Sie habe für drei Monate 9000 Euro Corona-Soforthilfe erhalten. Die Friseure hatten allerdings im Frühjahr nur sechs Wochen geschlossen. Zum Zeitpunkt der Antragstellung seien die Umsatzeinbrüche immens gewesen.
„Im Mai war dann richtig viel Umsatz, da dann alle Kunden wieder zum Friseur wollten“, so Martin. Und erst nach dem Berechnungszeitraum habe Barbara Martin dann große Summen in die Hygienemaßnahmen für ihren Salon investieren können. „Weil zuvor kein Geld da war“, begründet sie.
Auch diese Ausgaben könnten aber nicht geltend gemacht werden. Hinzu komme: „Im Jahr 2020 hatten wir sechs Wochen im Frühjahr und zwei Wochen im Dezember zu – uns wurde das Oster- und Weihnachtsgeschäft genommen, unsere umsatzreichste Zeit. Für Dezember aber haben wir keinen Cent bekommen.“
Es droht eine Rückzahlung von 9000 Euro
Bis zum 19. Dezember muss das Rückmeldeverfahren abgeschlossen sein, im März 2022 kommt dann der Bescheid zur Rückzahlung. Nach Aussage ihres Steuerberaters müsse Martin voraussichtlich die kompletten 9000 Euro zurückzahlen. „Doch wie?“, fragt sich die Friseurin.
Die aktuelle Situation sei erneut sehr schlecht, die Kunden fehlten und das liege an vielen Komponenten: „Viele haben keine Lust mehr auf die Maskenpflicht, die Kontaktnachverfolgung, und die Leute haben Angst.“
Die 53-Jährige betont: „Für die Rückzahlung muss ich auf meine Rücklagen zurückgreifen, die eigentlich meine Altersvorsorge sind.“
Verwirrung um Regelungen
Auch seien die Regelungen der Soforthilfen 15 Mal geändert worden, was ihr auch eine Mitarbeiterin des Wirtschaftsministeriums bestätigt habe, wie Barbara Martin sagt. „Da blickt doch keiner mehr durch“, ärgert sich die Unternehmerin. So wie ihr ginge es vielen anderen Selbstständigen. Sie berichtet von betroffenen Fußpflegern, Physiotherapeuten, Floristen und anderen Einzelhändlern aus der Region, für die ebenfalls hohe Rückzahlungen anstehen.
„Ich weiß von vielen Friseuren, die total sauer und verzweifelt sind“, erzählt Martin und verweist auf die Initiative „Friseure für Gerechtigkeit“, die einen Musterprozess gegen die Bundesrepublik Deutschland führen möchte, um vom Bundesverfassungsgericht die Schadensersatzpflicht des Staates feststellen zu lassen. Die Überbrückungshilfen seien für viele Betriebe viel zu spät gekommen und hätten nicht im Ansatz den entstandenen Schaden ersetzt, schreibt die Initiative auf ihrer Facebook-Seite.
Die Angst vor dem nächsten Lockdown
„Über dem Ganzen schwebt die Wolke vom nächsten Lockdown und mit ihr die Angst, dass sie uns das Weihnachtsgeschäft wieder wegnehmen“, sagt Martin. „Wir wissen ja jetzt, dass wir dann nichts bekommen“, so die Friseurin.
Und dann? Wenn sie noch mal zumachen müsse, müsse sie vielleicht irgendwann „die Reißleine ziehen.“ Nach 21 Jahren. „Es wird einem das Lebenswerk kaputt gemacht, das ist hart.“
Die Soforthilfe und das Rückmeldeverfahren
Hotelier Herzog: „Rückzahlung wäre korrekt.“
Allerdings hadern offenbar nicht alle Branchen und Unternehmer gleichermaßen mit den Modalitäten der Corona-Hilfen. Christian Herzog vom Ringhotel „Goldener Knopf“ in Bad Säckingen hat ebenfalls am 21. Oktober 2021 den Bogen „Rückmeldeverfahren zur Soforthilfe Corona“ erhalten. Er müsse aber nichts zurückzahlen, so der Hotelier: „Natürlich wäre ich überrascht gewesen, hätte ich etwas zurückzahlen müssen, allerdings sagt unser Jahresergebnis 2020 eindeutig, dass die Soforthilfe dort angekommen ist, wo sie auch nötig war.“
Abgesehen davon hat er Verständnis für Rückzahlungsforderungen der L-Bank. Schließlich sei es ja um eine Nothilfe gegangen. Herzog dazu: „Waren bei Selbstständigen 2020 die Umsätze so gut, dann fände ich es natürlich korrekt, dass die Soforthilfe zurückbezahlt werden muss.“
Wirtschaftsministerium: „Nur zu viel bewilligter Betrag muss zurückbezahlt werden.“
Das Wirtschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg macht klar: „Nach wie vor gilt, dass die Soforthilfe grundsätzlich nicht zurückzubezahlen ist“, so Pressesprecherin Lena Mielke. „Das gilt aber nur dann, wenn die Angaben im Antrag richtig und vollständig waren, wobei hiervon auch der im Antrag angegebene, prognostizierte Liquiditätsengpass betroffen ist.“
Wenn sich dieser bei Überprüfung der bei Antragstellung getroffenen Zukunftsprognosen rückblickend als zu hoch herausstellt, müsse der zu viel bewilligte Betrag zurückbezahlt werden. Das könne beispielsweise dann sein, wenn die Ausgaben niedriger oder die Einnahmen höher ausgefallen seien als bei Antragstellung erwartet.
Mielke betont, dass dies jederzeit so kommuniziert worden sei und auch ein Gebot der Gerechtigkeit sei, da die Mittel ja ansonsten für andere politische Aufgaben nicht mehr zur Verfügung stehen würden.
Kranken- und Rentenversicherung gelten nicht als betriebliche Ausgaben
Kranken- und Rentenversicherung gelten dabei ausdrücklich nicht als betriebliche Ausgaben, so Mielke: Die klare Trennung in betriebliche und private Kosten führe letztlich dazu, dass die Unterstützung aus den Corona-Hilfen grundsätzlich nicht auf Leistungen der Grundsicherung angerechnet wird.
Die Erstattung privater Ausgaben würde zum Aufbau zweier parallel laufender Systeme zur Deckung der privaten Lebenshaltungskosten mit zusätzlichen erheblichen Abstimmungsaufwänden führen.