„Wir fühlen uns wie bei einem Marathon, bei dem wir schon seit anderthalb Jahren laufen und uns verausgaben, aber noch immer keine Ziellinie sehen.“ Wenn es um die aktuelle Lage der Ärzte und Pflegekräfte in den Krankenhäusern geht, findet Stefanie Schöneberg-Opalka, Oberärztliche Leiterin der Notaufnahme des Kreisklinikums Lörrach deutliche Vergleiche.

Was bei diesem Pressegespräch zur aktuellen Lage der Kreiskliniken Lörrach deutlich zum Ausdruck kommt, ist, dass hier verbissen und mit großem persönlichem Einsatz um die Bewältigung einer Herausforderung gekämpft wird, die die Mitarbeiter gar nicht alleine schaffen können. Denn – auch daraus machen die Krankenhausvertreter keinen Hehl – ohne die Vernunft jedes Einzelnen und die Bereitschaft, sich impfen zu lassen und auf die Teilnahme an Großveranstaltungen zu verzichten, ist es ein aussichtsloser Kampf. Und vor allem ist es ein Kampf unter sich ständig verschlechternden Rahmenbedingungen.

So sehen sich nicht nur Mitarbeiter einer ständig wachsenden Arbeitsbelastung ausgesetzt, wobei ihnen von außen, gerade auch von Patientenseite, immer weniger Verständnis entgegengebracht werde. Zugleich ist auch die wirtschaftliche Lage der Kliniken im Land alles andere als rosig. Auch für die Kreiskliniken Lörrach samt des St. Elisabethen-Krankenhauses rechnet Geschäftsführer Armin Müller für dieses Jahr mit mindestens zehn Millionen Euro Verlust.

Der Frust, die Hilflosigkeit, vor allem aber die Sorge, wie das alles noch weitergehen soll und sich weiterentwickeln wird – sie ziehen sich gewissermaßen durch alle Ebenen des Krankenhauswesens, von der Geschäftsführung bis hin zu den Vertretern des Betriebsrat.

Pflegekräfte immer häufiger mit Anfeindungen konfrontiert

Die Verschlechterung der Rahmenbedingungen wird im Alltag nicht zuletzt im Verhältnis zwischen Patienten und medizinischem Personal deutlich: Wo es vor fast zwei Jahren noch Applaus und Solidaritätsbekundungen für Pflegekräfte gab, weil sie auch unter den schwierigen Bedingungen während der ersten Corona-Welle das System am Laufen hielten, gibt es heute Zweifel und Rechtfertigungsdruck für Klinikmitarbeiter. Endlose Diskussionen mit Zweiflern und Aggressionen stehen an der Tagesordnung.

Bislang sei allerdings immerhin alles auf verbaler Ebene geblieben, so Kathrin Knelange, Geschäftsführerin des Bereichs Pflege: „Unsere Mitarbeiter benötigen wirklich eiserne Nerven und eine gute innere Balance, um all die Anfeindungen zu bewältigen.“

Dabei betont Armin Müller betont: „Wir können verdammt stolz sein auf die Einsatzbereitschaft unserer Kräfte.“ Und: „Die hervorragende interdisziplinäre Zusammenarbeit zeichnet das Team in diesem Haus aus“, fügt Schöneberg-Opalka hinzu.

Aber die Bedingungen, unter denen die Arbeit verrichtet werden, würden zunehmend schwieriger. Es sei vor allem die fehlende Kontinuität und Planungssicherheit, die den Pflegekräften bei allen anderen Belastungen inzwischen am meisten zu schaffen mache – und auch immer mehr auf Kosten der Motivation gehe, sagt Kathrin Knelange: „Seit mehr als anderthalb Jahren wird dem Personal ein Höchstmaß an Flexibilität abverlangt, denn die Entwicklung verläuft rasant.“

Mindestens zehn Millionen Euro beträgt laut Geschäftsführung der diesjährige Verlust bei den Lörracher Kreiskliniken. Grund sind ...
Mindestens zehn Millionen Euro beträgt laut Geschäftsführung der diesjährige Verlust bei den Lörracher Kreiskliniken. Grund sind insbesondere Freihaltung von Kapazitäten für Corona-Patienten und die Absage elektiver Operationen. | Bild: Baier, Markus

Eine langfristige Dienstplanung sei schon lange nicht mehr möglich, selbst beim Arbeitsanfall auf den Stationen könne allenfalls anhand der tagesaktuellen Daten kalkuliert werden. Laut Hans-Heinrich Osterhues, Chefarzt der Inneren Medizin, gestalte sich die Lage oftmals binnen weniger Stunden völlig unvorhersehbar, bisweilen würden die Kliniken von Corona-Patienten förmlich überrannt, an manchen Tagen gebe es derweil kaum bis gar keinen Zulauf. Am deutlichsten sichtbar werde das auf den Intensivstationen, wo die Auslastung der Kapazitäten innerhalb eines Tages zwischen Vollauslastung und moderater Belegung schwanken könne.

Die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Ulrike Tanner konstatierte unterdessen: „Wir arbeiten schon unter normalen Bedingungen an der Belastungsgrenze. Jetzt sind wir längst weit darüber hinaus, und das schon lange.“ Und dieses Pensum durchzuhalten, werde immer schwieriger, sagt Chefarzt Osterhues.

Die Kreiskliniken bemühten sich redlich, den Mitarbeitern mit Beratungsangeboten und Versorgungskonzepten unter die Arme zu greifen. Dennoch: „Jeder ist auch Mensch und nimmt solche Dinge mit nach Hause. Oder er wird auch im privaten Kontext mit Corona und den Folgen konfrontiert“, schildert Torben Franzen, Leiter der Klinikhygiene.

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Renitenz und Unverständnis vor allem in der Notaufnahme

Alle Schattenseiten der aktuellen Corona-Lage kulminieren gewissermaßen in der Notaufnahme des Lörracher Krankenhauses. Dort herrscht laut Stefanie Schöneberg-Opalka einerseits ein normaler Zulauf: „Wir werden dieses Jahr mit Sicherheit mehr Menschen behandeln als im Vor-Corona-Jahr 2019.“ Damals seien es 29.000 Fälle gewesen.

Jedoch seien die Bedingungen ungleich schwieriger. Nicht nur bekämen es Mitarbeiter mit ständig mit renitenten Hilfesuchenden zu tun, die sich bereits weigerten den obligatorischen Corona-Test zu absolvieren, der vor Aufnahme ins Krankenhaus vonnöten sei, so die Oberärztliche Leiterin.

Gleichzeitig gestalte sich die Lage im Alltag oft unübersichtlich, weil oft viele Patienten gleichzeitig kommen und binnen kurzer Zeit weitreichende Entscheidungen über Behandlungsort oder etwaige Isolierung im Falle einer Corona-Infektion zu treffen seien, so Schöneberg-Opalka. Mit Zunahme saisonaler Erkrankungen wie Influenza oder Magen-Darm-Infekten nehme die Problematik noch zu.

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Personelle Situation extrem auf Kante genäht

Insgesamt haben die Kreiskliniken allein dieses Jahr elf Kündigungen von Intensivpflegekräften hinnehmen müssen, wie Kathrin Knelange einräumt. Zwar hätten acht neue eingestellt werden können. Und es würden Honorarkräfte engagiert, um die ärgsten personellen Lücken zu stopfen.

Aber dennoch: „Unabhängig von Corona benötigen wir dringend mehr Pflegekräfte.“ Denn einen personellen Puffer habe die Klinik nicht.

Und mit einmaligen Prämien sei die Angelegenheit aus Sicht des Klinikbetriebsrates auch nicht aus der Welt zu schaffen, sagt Ulrike Tanner: „Es müssen dauerhaft bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden.“

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„Die Lage ist ein Armutszeugnis der besonderen Art“

Unterdessen gestaltet sich auch die wirtschaftliche Lage schwierig: Wo es vor anderthalb Jahren noch satte Kompensationszahlungen für freigehaltene Kapazitäten zur Behandlung von Corona-Patienten gab, gibt es heute nichts, sagt Armin Müller. „Die jetzige Situation ist ein Armutszeugnis der besonderen Art für dieses Land“, lautet seine Einschätzung. Denn mit all diesen Problemen stünden die Lörracher Kliniken beileibe nicht allein da. Sie seien im Gesundheitswesen allgegenwärtig.

Auch die temporären Erleichterungen im Bereich der Bürokratie seien kurz nach dem ersten Lockdown vergangenes Jahr wieder eingeführt worden und geblieben. Die Verantwortung für die Situation werde munter von Bund zu Land und wieder zurück geschoben: „Ausbaden müssen das letztlich wir“, so Müller.

Denn trotz allem reichten Patientenzahlen nicht aus – erst recht, weil etwa lukrative elektive Operationen auf teils unbestimmte Zeit verschoben werden – und zwar quer durch das gesamte Versorgungsspektrum, wie Hans Osterhues darstellte.

„Wir können nur an die Eigenverantwortung jedes Einzelnen appellieren, Kontakte freiwillig selbst zu beschränken, bevor der ...
„Wir können nur an die Eigenverantwortung jedes Einzelnen appellieren, Kontakte freiwillig selbst zu beschränken, bevor der nächste Lockdown diese Entscheidung abnimmt.“Hans-Heinrich Osterhues, Chefarzt Innere Medizin | Bild: unbekannt

Appell an Vernunft der Menschen

Blicken die Verantwortlichen der Lörracher Kliniken auf gesellschaftliche Anlässe wie Fasnacht, werde ihnen ohnehin ganz anders zumute – zumal schon jetzt die Auswirkungen er vereinzelten größeren Festivitäten, die stattgefunden haben, zeitversetzt bei ihnen ankämen, wie Kathrin Knelange darstellt.

Umso dringlicher fällt der Appell der Klinikvertreter an die Bevölkerung aus: „Lassen Sie sich impfen, und meiden Sie nach Möglichkeit Massenveranstaltungen“, konstatieren Ärzte wie Pflegedienstleistende.

Denn auch ein vollständiger Impfschutz sei keine vollständige Garantie vor einer Ansteckung biete. Hans-Heinrich Osterhues dazu: „Wir können nur an die Eigenverantwortung jedes Einzelnen appellieren, Kontakte freiwillig selbst zu beschränken, bevor der nächste Lockdown diese Entscheidung abnimmt.“

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