Neben den Pfeilen auf dem Boden, dem Flatterband auf den Höfen, den Masken-Emojis an den Wänden und den Desinfektionsspendern neben den Türen, wird kommende Woche ein weiteres Hinweisschild die Flure an den Gymnasien in der Region schmücken: „Ruhe bitte, Abitur!“ Am Dienstag, 5. Mai, geht es in die heiße Phase der Prüfungen. Wie in den Jahren zuvor startet die Prüfungsphase der Abiturienten mit den Fach Deutsch. Eines der Sternchenthemen ist Hermann Hesses „Der Steppenwolf“, der die Geschichte des krisengebeutelten Harry Haller erzählt – angesichts der gegenwärtigen Situation der Schüler ist das ironisch oder unglaublich passend.
Denn die Corona-Pandemie und ihre Nebenwirkungen manifestieren sich wohl kaum an einem andern Ort so deutlich wie an den Schulen. Seit den Weihnachtsferien ist der Schulalltag ein Hin und Her zwischen Wechsel-, Präsenz- und Online-Unterricht. Und schon weite Teile des Jahres 2020 waren in Hinblick auf den Unterricht alles andere als einfach.
Es sind wenige Konstanten des herkömmlichen Schulalltags geblieben. Das Abitur ist eine davon. Doch wie läuft so ein Prüfungszyklus unter Corona-Ausnahmebedingungen eigentlich ab? Wir haben uns an den Gymnasien in Waldshut und Bad Säckingen umgehört.
Wie geht es den Schülern aktuell?
Es war ein außergewöhnliches Schuljahr, jetzt sind sie auf der Zielgeraden und wenn nichts mehr schief läuft, halten sie im Sommer ihr Abitur-Zeugnis in den Händen: Joshua Rühs, Tristan Menzel und Felix Südland sind angehende Abiturienten am technischen Gymnasium in Waldshut. Sie blicken auf ein ungewöhnliches letztes Schuljahr zurück, das Kraft gekostet hat.
Joshua Rühs (20 Jahre, Schülersprecher):
„Die Pandemie-Umstände sind eine Herausforderung. Manche Themen können nicht wie sonst behandelt werden, das bringt Unsicherheiten mit sich. Inwiefern sich das auf das Abitur auswirken wird, kann ich jetzt noch nicht feststellen. Im Hinblick auf das Lernen oder die Vorbereitung habe ich tatsächlich wenig auszusetzten, auch wenn mir zu Beginn die Motivation gefehlt hat.“
Tristan Menzel (19 Jahre):
„Ich konnte aufgrund der aktuellen Situation viel individueller und eigenständiger arbeiten, was mir gefallen hat, aber natürlich auch eine gewisse Selbstdisziplin gefordert hat. Im Studium werden mir solche Situationen wahrscheinlich noch häufiger begegnen. So gesehen fand ich das Homeschooling im Umkehrschluss eine gute Sache. Aber die Erfahrung und der Kontakt zu den Mitschülern vor Ort fehlt, im Unterricht genauso wie auf Klassenfahrten und Projekte wie ‚Jugend forscht‘.
Felix Südland (19 Jahre):
„Ich fühle mich prinzipiell sehr gut vorbereitet. Die große Herausforderung der Lernzeit bestand für mich in der Monotonie. Man ist immer in der gleichen Kulisse des eigenen Zimmers. Schade war auch, dass wir Projekte in der schulinternen Werkstatt gar nicht oder nur reduziert fertigstellen konnten. Dadurch, dass Klassenfahrten und Veranstaltungen wegfielen, konnten wir keine Kursstufenidentität aufbauen, wie ich es aus der Realschule kannte.“
Wie laufen die Abiturprüfungen ab?
„Grundsätzlich gibt es keine großen Veränderungen zu den Vorjahren“, erklären Frank Decker und Isabella Schilpphack von der gewerblichen und der kaufmännischen Schule Waldshut. Das heißt: Die schriftlichen und mündlichen Prüfungen werden zu den vom Kultusministerium vorgegebenen Terminen geschrieben beziehungsweise abgenommen. Alle Prüfungen finden vor Ort in den Schulen statt.

Wie schon im vergangenen Jahr, genauso wie im gegenwärtigen Präsenz-Unterricht gelten die Corona-Regeln auch während den Prüfungen: 1,50 Meter Abstand halten, Lüften, Hände desinfizieren, Maske tragen. Einen negativen Test brauchen die Abiturienten zum Prüfungsantritt übrigens – anders als bei der Teilnahme am Präsenzunterricht – nicht vorzulegen.
Dennoch bringen die Vorgaben einige zusätzliche Anforderungen in Sachen Organisation mit sich: Insbesondere gibt es einen höheren Raumbedarf, um die Anforderungen erfüllen zu können – und damit verbunden natürlich auch einen zusätzlichen Personalbedarf, denn es bedarf mehr Aufsichtspersonen.
Diese Herausforderung können die Schulen im Landkreis aber mit eigenen Mitteln stemmen, versichern die Schulleiter. Zum einen ist ein Teil der Schülerschaft weiterhin zuhause, zum anderen gibt es mittlerweile Erfahrungswerte, schließlich ist es ja bereits das zweite Abitur unter Corona-Bedingungen. „Wir können auf die erfolgreiche Durchführung der Prüfungen im Jahr 2020 zurückgreifen“, sagt Markus Funck, Leiter des Hochrhein-Gymnasiums Waldshut.
Was ist bei den diesjährigen Prüfungen anders?
Der Prüfungszeitraum wurde nach hinten verschoben, sodass die schriftlichen Prüfungen anstatt im April nun in der ersten Maihälfte stattfinden. Die Prüfungsdauer wurde zudem verlängert. „Die Abiturienten können also länger schreiben“, erklärt Schlipphack. Für den Fall einer Corona-Infektion oder einer Quarantäne-Anordnung gibt es einen Zweittermin im Juni.
Neu in diesem Jahr lautete außerdem die Empfehlung des Kultusministeriums, dass die Schüler in den zwei Wochen vor den Prüfungen zurück ins isolierte Homeschooling gehen. Insbesondere soll so das Ansteckungsrisiko der Prüflinge reduziert werden. „Dieser Aufforderung sind wir gefolgt“, informiert Bernd Rieckmann vom Scheffel-Gymnasium Bad Säckingen. Auch die Abiturienten der beruflichen Schulen sind bis zu den Prüfungen zuhause.
Ist das „Corona-Abi“ weniger wert?
Eine Mutmaßung von Kritikern geht dahin, dass die Anforderungen ans Abitur aufgrund der Sonderbedingungen deutlich zurückgeschraubt würden. Derartigen Vorwürfen widersprechen die örtlichen Schulleiter vehement. „Das Niveau geht man nicht an“, betont Decker. „Die Befürchtung dieses Abitur sei weniger wert, ist völlig übertrieben“, stimmt ihm seine Kollegin Schlipphack zu. Trotz Homeschooling seien die Schüler vorbereitet. „Die Vermittlung des Lernstoffs funktioniert gut“, bestätigt auch Funck.
Fachlich soll das diesjährige Abitur demnach alle Standards weiter erfüllen, die gemeinhin gelten. Dennoch gehen viele soziale Aspekte, wie gemeinsame Lerngruppen zur Prüfungsvorbereitung oder auch der feierliche Abiball nach bestandener Prüfung. „Das Traurige an dieser Routine, die wir mittlerweile haben, ist, dass die Schüler nicht mehr schwer enttäuscht sind, wenn es keine Feier gibt“, sagt Decker und erinnert sich an vergangenes Jahr: „Da war das noch anders.“ Inzwischen hätten sich die Schüler allerdings bereits an die Gegebenheiten gewöhnt.