Scharfe Kritik und deutliche Worte des Unmuts auf der einen Seite, Verständnis und großen Zuspruch auf der anderen: Die aktuelle Stellungnahme von Verkehrsminister Winfried Hermann hat bei den Abgeordneten und Kommunalpolitikern in der Region sehr gegensätzliche Reaktionen hervorgerufen. Dieser bringt eine Bundesstraßen-Lösung für die verbliebenen Abschnitte der A98 ins Gespräch.
Rita Schwarzelühr-Sutter: „Haltung Hermanns ist inakzeptabel“
Scharfe Kritik hagelt es von der SPD-Bundestagsabgeordneten und parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Rita Schwarzelühr-Sutter. Es könne nicht angehen, dass Autobahn-Gutachten, die dem grünen Landesverkehrsminister nicht passen, passend gemacht werden sollen.
Erst vergangenen Sommer waren die Ergebnisse eines Verkehrsgutachtens vorgestellt worden, wonach sich der Verkehr bis 2040 am Hochrhein auf der Straße verdoppeln soll. Es sei inakzeptabel, nur ein halbes Jahr nach Veröffentlichung eines Verkehrsgutachtens ein neues zu fordern, weil die darin erhobenen Daten nicht zu den politischen Plänen des Ministers passten.
„Ich erwarte jetzt, dass sich nicht nur der Verkehrsminister, sondern die gesamte grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg in Sachen Weiterbau der A98 klar positioniert. Lippenbekenntnisse der CDU-Abgeordneten vor Ort für die A98 sind nett, aber bisher in Stuttgart wirkungslos“, so Schwarzelühr-Sutter in einer Stellungnahme.
Und weiter: „Die Region hat es nicht verdient, von einem zum nächsten Gutachten vertröstet zu werden. Wir brauchen jetzt die Entlastung vom Verkehr in den Gemeinden durch den Lückenschluss der A98.“
Niklas Nüssle: „Zukunftsgerichtete Weichenstellung in der Infrastruktur“
Der Grünen-Landtagsabgeordnete sieht in einer „zukunftsgerichteten Weichenstellung in der Infrastruktur“ das Gebot der Stunde, wolle das Land die Mobilitätswende hin zu mehr ÖPNV und weniger Individualverkehr auch im ländlichen Raum schaffen.
„Die Diskussion kommt entsprechend nicht zur Unzeit. Der Verkehrsminister will jetzt mit seinem Schreiben die Weichen in Richtung Bundesstraße B34 neu stellen“, so Nüssle.
Die aktuelle Verkehrsprognose mit den erschreckend hoch prognostizierten Verkehrszahlen sowie die alltägliche Stausituation in Bad Säckingen und Waldshut, aber auch die Belastungen durch den Durchgangsverkehr in Schwörstadt seien dem Verkehrsminister „vollumfänglich bekannt“. Er selbst habe mit Hermann immer wieder persönlich auf diesen Missstand aufmerksam gemacht, erklärt Nüssle.
„Der Verkehrsminister hat mir zugesichert, eine Lösung zu dieser Problematik jetzt schnell anzugehen, gleichzeitig aber die Herausforderungen einer nachhaltigen Zukunft und der Mobilitätswende nicht aus dem Blick zu verlieren.“
Er habe vollstes Vertrauen, dass der Minister die Entscheidungen wohlüberlegt treffe und auch seine aktuelle Entscheidung, den Ausbau der B34 zu forcieren, gut abgewogen habe und darin Potential für eine beschleunigte Umsetzung und geringere Eingriffe in den Naturraum sehe, sagt Nüssle.
„Persönlich habe ich zuletzt im Kreistag die gefundene Trassenvariante rund um Bad Säckingen zwar begrüßt, aber auch für mich sind noch Fragen zu den prognostizierten Verkehrszahlen offen“, schildert der Abgeordnete. Diese könnten wahrscheinlich erst mit der Veröffentlichung der Hochrheinstudie gelöst werden.
Rolf Schmidt (CDU): „Unglaublicher Vorgang“
Rolf Schmidt, Fraktionsvorsitzender der CDU im Kreistag, hält die Aussagen des Verkehrsministers für eine „Katastrophe“ und ein schlechtes Signal für die Region: „Wir kämpfen seit Jahrzehnten für diese Autobahn und waren jetzt auf einem sehr guten Weg. Es ist unglaublich, dass jetzt wieder Grundsatzdiskussionen aufgemacht werden.“
Zumal: Die Planer von Deges hätten für den Abschnitt 6 Schwörstadt-Murg hervorragende Arbeit geleistet und eine praktikable Lösung vorgelegt, die noch dazu die Interessen der betroffenen Kommunen bestmöglich zu berücksichtigen versuche, wenngleich noch an einigen Stellen nachgebessert werden müsse. „Wir als CDU-Fraktion im Kreistag setzen uns daher auch für eine baldige Umsetzung ein“, so Schmidt.
Er erwarte auch von seiner eigenen Partei als Regierungspartner im Land, dass sie sich im Landtag klar für die Autobahn ausspreche. Denn trotz aller weiterer Bemühungen in Richtung ÖPNV-Verbesserungen und alternative Fortbewegungsmittel bleibe der Individualverkehr im weiten Teils ländlich geprägten Landkreis aller Wahrscheinlichkeit noch sehr lange eine wichtige Säule, und es gebe drängende Probleme bei Kapazitäten und der Belastung von Bürgern, die gelöst werden müssten: „Die Lage ist jetzt schon vielerorts unerträglich. Es braucht dringend Entlastung“, so Schmidt weiter.
Er appelliert in diesem Zusammenhang auch an die Wirtschaft und die Bürger selbst, sich zu organisieren und Druck zu entwickeln: „Es muss doch jedem klar sein, dass die Region eine leistungsfähige West-Ost-Verbindung braucht.“
Ruth Cremer-Ricken (Grüne): „Region stand nicht einheitlich hinter dieser Planung“
Ruth Cremer-Ricken, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kreistag, hält die Einschätzungen von Verkehrsminister Hermann hingegen für „vollkommen in Ordnung“, wie sie sagt: „Es ist auch falsch, dass hier eine Grundsatzdebatte wiedereröffnet wird. Es entspricht zum einen den Erkenntnissen des PTV-Gutachtens, das beim Bürgerforum 2012 beschlossen wurde. Zum anderen wurde die Straße als A- und B-Variante in den Bundesverkehrswegeplan eingereicht.“
Ohnehin sei es auch nicht richtig, dass sich die Region in der Autobahnfrage einige gewesen sei, so Cremer-Ricken weiter: „Wir waren uns einig bei der Linienführung. Die Grünen haben aber zum Beispiel die Zahlen des aktuellen Verkehrsgutachtens immer angezweifelt.“ Vor allem der Aspekt des Rückholeffekts von Verkehr aus der Schweiz sei aus ihrer Sicht nach wie vor nicht schlüssig, denn es handle sich ihrer Ansicht nach vorwiegend um Pendlerverkehr: „Wenn die Schweiz schon die Fachkräfte von hier abwirbt, muss sie natürlich auch die Verkehrsbelastung mit übernehmen.“
Dass die Planungsgesellschaft Deges aus dem Gutachten die Aussage ableite, dass eine dreispurige Autobahn nicht genügen werde, hält Cremer-Ricken für zu pauschal: „Im Bundesverkehrswegeplan ist im vordringlichen Bedarf sogar nur ein zwei-streifiger Straßenbau vorgesehen. Alles weitere soll später folgen.“
Außerdem müsse die Zielsetzung die Klimawende sein. Dies bedinge nach ihrer Auffassung aber auch eine Verkehrswende weg vom Individualverkehr und hin zu alternativen Angeboten und einem stärkeren ÖPNV. Gehe man diesen Weg nicht konsequent, werde auch kein Erfolg eintreten.
Michael Thater (FW): „Verkehrsminister geht von falschen Voraussetzungen aus“
Michael Thater, Fraktionsvorsitzender der FDP und Wehrer Bürgermeister, widerspricht dem Verkehrsminister in dessen Einschätzung, da er „fälschlicherweise davon ausgeht“, dass der Straßenverkehr am Hochrhein durch eine dreispurige Bundesstraße abgewickelt werden könne.
Dass dies nicht möglich sei, zeige bereits die aktuelle Situation „und wird durch nunmehr zwei Verkehrsgutachten (im Übrigen aus dem Hause von Herrn Herrmann) widerlegt.“ Auch Elektromobilität werde zukünftig Straßen benötigen.
Eine Lösung der Verkehrsprobleme am Hochrhein könne nur durch ein Zusammenwirken von Bau der A 98, Ausbau des ÖPNV und Vernetzung mit dem schweizerischen Straßen- und Schienennetz sein. Die Diskussion um das „A“ oder „B“ vor der „Hochrheinschnellstraße“ sei im Übrigen nicht neu.
„Die Ergebnisse dieser – teilweise langwierigen – Diskussionen waren stets, dass es am klügsten ist, eine Autobahn zu planen und zu bauen, wobei aufgrund der naturräumlichen Rahmenbedingungen die Radien für diese Straße am unteren Rand der Planungsvorgaben (also dann wieder ganz nah bei den Planungsvorgaben für Bundesstraßen) anzusiedeln ist“, so Thater. Die Diskussion werde nicht durch regelmäßige Neuauflagen – „vom wem auch immer initiiert“ – besser.
Klaus Denzinger (FDP): „Region braucht die A98“
Klaus Denzinger, Fraktionsvorsitzender der FDP im Kreistag, bezeichnet den Brief als „ungeheuerlichen Vorgang und schlicht und ergreifend kontraproduktiv“. Die Region brauche die A98 und sei auf einem guten Weg zu einer A98 gewesen, meint Denzinger, der die Arbeit der Deges lobt.
Kritik hat er für Winfried Hermann übrig: „Ich habe den Eindruck, die Landesregierung fühle sich nur Ballungsräume zuständig, aber nicht für den ländlichen Raum. Und das ist das Enttäuschende.“ Er hoffe, dass das Bundesverkehrsministerium bei seinem Bekenntnis zur A98 bleibe und der Zeitplan eingehalten werden kann. „Unser Gespräch mit dem Staatssekretär Michael Theurer in der vergangenen Woche lässt hoffen“, so Denzinger.
Bernhard Boll (AfD): „Ein Schritt zurück“
Bernhard Boll von der AfD im Kreistag bezeichnet die Bundesstraßen-Debatte als „Schritt zurück“: „Der Bedarf ist nachgewiesenermaßen da und wir haben eine Trassenführung, die auf großen Zuspruch stößt. Jetzt sollte das auch umgesetzt werden.“ Alles andere sei nicht mehr vermittelbar.
Andere Länder und Regionen in Europa mit wesentlich schwierigerer Topografie realisierten derartige Vorhaben in wesentlich kürzerer Zeit, so Boll. In Deutschland werde Jahrezehntelang gerungen – unterdessen werden Projekte immer teurer.
Entwicklungen bei der Hochrheinautobahn A98
- 13. Oktober 2021: Rückenwind für Vorzugstrasse der Autobahn kommt aus dem Waldshuter Kreistag. Doch es herrscht Uneinigkeit über die Verkehrsprognose.
- 30. September 2021: Die Gemeinderäte aus Bad Säckingen, Wehr und Murg begrüßen A98-Vorzugstrasse, aber nicht in allen Fragen herrscht Einigkeit.
- 14. Juli 2021: Die Deges hat die neue Vorzugsvariante für den Autobahnabschnitt 6 zwischen Schwörstadt und Murg präsentiert. Außerdem liefert ein neues Verkehrsgutachten die Grundlage für die weitere Planung. Hier die Hintergründe.
- Juli 2021: Entscheidung in der Tunnelfrage im Abschnitt 5.
- Juli 2021: Äußerungen des Verkehrsministers: Erneut Wirbel um A98.
- Juni 2021: Spektakuläre Luftaufnahmen: Rundflug über die neue Autobahn bei Rheinfelden.
- Mai 2021: Wie kommen die Planungen der A98 voran? Wo stockt es? In diesem Artikel können Sie den aktuellen Stand jedes Abschnitts überblicken.
- März 2021: Diskussionen um den Tunnel im Abschnitt 5 (Karsau-Minseln) Ausführlichere Informationen zu den Hintergründen finden Sie hier.
- März 2021: Ist ein Basistunnel bei Waldshut denkbar? Lesen Sie hier mehr dazu.
- Februar 2021: Der BUND fordert einen Baustopp bei der A98.
- Dezember 2020/Januar 2021: Die neue Autobahngesellschaft übernimmt Zuständigkeiten des Regierungspräsidiums Freiburg.
- August 2020: Wie hat sich Corona auf die Hochrheinautobahn ausgewirkt? Das können Sie hier nachlesen.