Es ist Freitagabend im Jugendzentrum (Juz) in Tiengen. Rund 15 Besucher beschäftigen sich in den Räumen unter der Turnhalle der Johann-Peter-Hebel-Schule mit Uno, Tischkicker oder Billard.

Sie alle haben eins gemeinsam: Sie fallen mit ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität unter die Bezeichnung LSBTQIA+ (Lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, queer, intersexuell, asexuell, + für alles was nicht unter die vorherigen Begriffe fällt) oder sind sogenannte Allies (Unterstützter oder Fürsprecher der Gruppe). All diese Besucher finden im Juz einen Safe Space, also einen geschützten Raum frei von Diskriminierung, in Form des Queer-Treffs.

Bild 1: Für vier Stunden ein geschützter Ort für die sexuelle Orientierung: Besuch im Queer-Treff Tiengen
Bild: Sam Killermann

Ein Queer-Treff wie in Tiengen fehlt in vielen Landkreisen

Der Freiburger Verein Fluss e.V. leistet Bildungsarbeit zu Geschlecht und sexueller Orientierung und hilft durch das Projekt „Queer im Landkreis“ beim Auf- und Ausbau queerer Strukturen in den umliegenden Landkreisen Freiburgs.

Sandra Müller, eine Mitarbeiterin des Projekts, lobt den Tiengener Queer-Treff als Struktur, die in vielen anderen Landkreisen fehlt. Im ländlichen Raum fehlen Identifikationsmöglichkeiten und queere Sichtbarkeit, so Müller. Dies halte betroffene Leute davor ab, sich zu outen – gegenüber seinem sozialen Umfeld, aber auch sich selbst.

So entstand der Queer-Treff Tiengen

2019 entstand die Idee, im Kinder- und Jugendreferat Waldshut das Thema sexuelle Vielfalt für Jugendliche zu behandeln. Aus dem Mangel an Angeboten in der Region, entstand zusammen mit 20 Jugendlichen das erste „Festival der Vielfalt“, bei dem es laut Veranstalter eine sehr große Nachfrage gab.

Aus diesem Erfolg heraus entwickelte sich der Queer-Treff im Jugendzentrum Tiengen, der ab 20 Uhr jeden letzten Freitag im Monat stattfindet. Laura Zimmermann, die den Treff leitet, spricht von einem „blinden Fleck“ in Bezug auf den Hochrhein und dass das Angebot für queere Junge Menschen erst so richtig in Freiburg beginnt.

Einmal im Monat wird das Jugendzentrum Tiengen zum Queer-Treff. Geleitet wird er von Laura Zimmermann unterstützt wird sie von Student ...
Einmal im Monat wird das Jugendzentrum Tiengen zum Queer-Treff. Geleitet wird er von Laura Zimmermann unterstützt wird sie von Student Marius Mehlin. | Bild: Katharina Vogelbacher

Zimmermann ist seit Frühjahr 2022 für den Queer-Treff zuständig und sieht diesen als einzigen Treff und auch Ansprechpartner in der Region. Trotz der Alleinstellung sind die Besucherzahlen schwankend, was auch mit der Hemmschwelle die Treffs zu besuchen, zusammenhänge.

Die Besucher sind zwischen 14 und 20 Jahren alt, aber grundsätzlich sei jeder willkommen. Für nächstes Jahr ist geplant, die Öffnungszeiten nach vorne zu verlegen, damit auch Besucher, die auf den Bus angewiesen sind, noch nach Hause kommen.

Viele Jugendliche erfahren vom Queer-Treff über Instagramm, Gemeindeblättern oder Schulsozialarbeitern, so Zimmermann. Hin und wieder finden sich auch Fußgänger im Queer-Treff wieder, die von den bunten Lichtern und der Musik angezogen werden.

Gäste, die nicht extra wegen des Queer-Treffs kommen, werden freundlich begrüßt, aber darauf hingewiesen, dass die Veranstaltung in erster Linie einen sicheren Ort für die Jugendlichen sein soll.

Darum besuchen die Jugendlichen den Queer-Treff

Matthias: Früher Außenseiter, jetzt ein Anschlusspunkt

Einer dieser Jugendlichen ist Matthias. Er hat das für diesen Abend geplante Switch-Turnier organisiert und sogar eine eigene Trophäe hergestellt. Er erzählt, dass er sich schon länger ein Angebot gewünscht habe. Und als er von einem Freund eingeladen wurde, hat es ihm sofort gefallen. Inzwischen unterstützt er die Sozialarbeiter ehrenamtlich.

Diese selbstgemachte Trophäe wurde dem Sieger des Switch-Turniers beim letzten Treff im Jahre 2022 überreicht.
Diese selbstgemachte Trophäe wurde dem Sieger des Switch-Turniers beim letzten Treff im Jahre 2022 überreicht. | Bild: Katharina Vogelbacher

Der Schüler identifiziert sich als genderfluid, das heißt seine Geschlechtsidentität kann sich über einen Zeitraum ändern. An diesem Abend erscheint er in einem langen Rock und weihnachtlichem rot-grün. Er spricht offen über seine Erfahrungen und Entwicklungen der vergangenen Jahre.

Matthias ist bisexuell

So habe er sich früh als bisexuell geoutet, aber oft herrschte Unglauben über seine Entscheidungen und er wurde als dramatisch bezeichnet. Informationen über die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt habe er sich selbst im Internet besorgt, wo er auch einzelne Freunde gefunden hat, die ähnliche Erfahrungen haben wie er.

Freundesgruppen und Ansprechpartner online hätten zwar geholfen, aber irgendwann sei doch die Einsamkeit gekommen, so Matthias. Der persönliche Kontakt und das Vertrauen hätten ihm gefehlt. Der Schüler, der sich selbst als Außenseiter sieht, habe jetzt aber endlich mal einen richtigen Anschlusspunkt. Für diesen wünscht er sich, dass mehr Leute sich trauen herzukommen.

Mut und Überwindung habe auch er oft gebraucht. In der Schule sei das immer gut mit der Akzeptanz gewesen und wenn ihm anfangs beim Tragen von nicht typisch männlicher Kleidung noch mulmig war, zeigt er sich inzwischen selbstbewusst. „Ich möchte ein Beispiel sein, ein Vorbild, für alle, die sich unwohl fühlen“, betont er.

Lena: „Ich fühle mich geborgen und unter Gleichen“

Lena hat über Instagram zum Queer-Treff gefunden. Sie war bisher drei- oder viermal hier und es gefalle ihr sehr. Die Schülerin ist Teil der LSBTQIA+-Community, aber hat sich nur bei ihren Freunden geoutet. Als sie sich mit ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität auseinandergesetzt hat, habe sie viel Hilfe von Cousins bekommen und auch Filme oder TV-Sendungen hätten ihr geholfen.

Das Juz in Tiengen.
Das Juz in Tiengen. | Bild: Katharina Vogelbacher

Später habe ihre Schulsozialarbeiterin ihr geraten, sich in ihrer Klasse zu outen, die es herzlich aufgenommen habe. „Ich fühle mich geborgen und unter Gleichen“, beschreibt sie den Queer-Treff, „das Beisammensein gefällt mir am besten.“

Timo: Thema wird in Schule selten erwähnt

Mit Ende 20 ist Timo zwar deutlich älter als die meisten Besucher des Treffs, doch dafür schon ziemlich seit Anfang an dabei. Dazugekommen ist er über eine Erwähnung des Treffs in einem Schwulenmagazin. „Komplett tote Hose“, sagt er über die Situation in der Gegend. Es gebe queere Angebote in Freiburg, aber Verbindungsprobleme im Öffentlichen Nahverkehr machen es umständlich.

Nur das Internet helfe, um nicht abgehängt und isoliert zu sein. Bei ihm war das ähnlich. Erst mit 15 Jahren habe er Homosexualität überhaupt entdeckt. In der Schule oder in Medien wurde es nie erwähnt und wichtige Informationen habe er alle über das Internet gefunden. Er findet, es habe sich jetzt schon sehr viel geändert.

In den Familien muss erst Akzeptanz geschaffen werden

Eine Familienhelferin der gemeinnützigen Gesellschaft für Familienhilfe mbh hat über Instagram und das Gemeindeblatt über den Queer-Treff erfahren und begleitet an diesem Abend einen von ihr betreuten Jugendlichen. Sie habe davor auch schon gemerkt, dass ein queeres Angebot fehle und dass der Weg nach Freiburg für viele nicht machbar sei. Trotzdem sei das Thema wichtig für sie, denn wenn es in ihrem Berufsleben vorkommt, dann akut. In Familien müsse Akzeptanz erst geschaffen werden.

Student will Betroffenen Unterstützung bieten

Marius Mehlin ist im fünften Semesters seines dualen Studiums in Sozialer Arbeit. Er setzt mit einem dezent gesticktem „Love“-Print in Regenbogenfarben auf seinem Pullover ein Statement. Im Vordergrund steht für ihn die professionelle Beziehungsarbeit, die ganz unterschiedlich ausfallen kann, um alle möglichen Themen zu behandeln, die die Jugendliche beschäftigen.

Mehlin, der selbst Teil der queeren Community ist, will Betroffenen die Unterstützung bieten, die ihm selbst gefehlt habe. Wenn ebendiese Unterstützung fehlt, entstehe die Gefahr, dass Jugendlichen in schädliche Muster fallen könnten, wie Sucht, psychische Erkrankungen oder Suizidgefahr.

Denn Probleme wie Mobbing, gesellschaftliche Ausgrenzung oder Gewalterfahrungen seien immer noch möglich. Beim ersten „Festival der Vielfalt“ im Jahr 2019 war Mehlin dabei und er kann sich erinnern, als eine aufgebrachte Bürgerin sehr verbal aggressiv auf die Veranstaltung reagierte. „Gegenwind ist Aufwind“, meint er und sieht in solchen Vorfällen die Daseinsberechtigung des Queer-Treffs.

Situation an den Schulen unterschiedlich

Die Situation für Jugendliche in der Gegend sei sehr unterschiedlich. So gebe es Schulen, die sich bei Trans-Themen, wie beispielsweise die Nutzung von den selbst ausgesuchten Namen, sehr sperren würden. Andere kooperieren ohne Probleme, so Mehlin. Bei den Klassenverbänden sei es Glück oder Pech, was die Akzeptanz angeht.

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Grundsätzlich, so Mehlin, sei der Bildungsauftrag der Schulen nicht erfüllt. Aufklärungsunterricht gehe meist nicht über das klassische Mann- oder Frausein hinweg und bei Mehlin selbst wurde Homosexualität in wenigen Sätzen erklärt und mit einem prominenten Beispiel beendet.

Wie sehr Lehrer hilfreich seien, wäre abhängig vom persönlichen Engagement und Schulsozialarbeiter seien keine Selbstverständlichkeit an den Schulen in der Region. Die Frage, die sich laut Mehlin für viele queere Jugendliche stellt: Wer in meinem Umfeld erscheint vertrauenswürdig?

Beim Dezember-Treffen gibt es ein Turnier an der Spielekonsole Switch.
Beim Dezember-Treffen gibt es ein Turnier an der Spielekonsole Switch. | Bild: Katharina Vogelbacher

Zumindest die Besucher des Queer-Treffs haben einen sicheren Raum gefunden, in dem sie keine Angst vor Ablehnung haben müssen. Aber dieser endet nach vier Stunden. Langsam machen sich alle auf den Heimweg, die Musik wird leise gedreht und das Aufräumen beginnt. Das nächste Mal öffnet der Queer-Treff seine Türen wieder am 27. Januar 2023.

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