Ist die Verhandlung im Landgericht auf 9 Uhr angesetzt, sind die klackernden Rollen des Aktentrolleys von Verteidiger Urs Gronenberg meist schon eine ganze Weile vor der Zeit in den Gängen zu hören. Der schwarze, lederne Koffer darf nie fehlen. Er ist das Erkennungsmerkmal des Fachanwalts für Strafrecht schlechthin.
In dem kleinen, mobilen Büro enthalten sind wichtige Unterlagen. Denn der 58-Jährige verbringt nach eigenen Angaben im Schnitt etwa zwei bis drei Tage die Woche vor Gericht. Der Auftrag lautet dabei immer, alle seine Mandanten bestmöglich zu verteidigen. Häufig handelt es sich um Menschen, denen schwere Verbrechen zur Last gelegt werden. Allerdings: „Jeder Beschuldigte hat ein Anrecht darauf – egal, was er gemacht haben soll.“ Diese Einstellung, dieses Credo, ist Urs Gronenbergs Antrieb, wie er sagt.
Egal ob Unfallflucht, Mord oder Vergewaltigung
Doch für Außenstehende scheint genau das nicht immer leicht. Denn zu den Mandanten des 58-Jährigen zählen Angeklagte, die sich wegen Tötungs- und Sexualdelikten sowie Betäubungsmitteldelikten verantworten müssen. „Das kann nicht jeder. Und dafür habe ich auch Verständnis“, weiß er aus seinen fast 30 Jahren Berufserfahrung. „Ich mache es, weil ich es vor mir verantworten kann.“ Für ihn darf es einfach keine Rolle spielen, ob seinem Mandanten Unfallflucht, Mord oder Vergewaltigung vorgeworfen werden.
Mit seinen Referendaren sei es wegen dieses Themas bereits zu hitzigen Diskussionen gekommen. „Ich sage ihnen von Anfang an, dass sie einen interessanten Beruf anstreben, doch müssen sie sich im Vorhinein gründlich überlegen, ob sie die richtige Überzeugung auch vertreten können“, sagt Gronenberg entschlossen. Gedanken wie „den mag ich nicht, den finde ich unsympathisch und verteidige ihn nicht so gut“ dürften auf keinen Fall aufkommen. „Das wäre das Schlimmste.“
Vertrauen und Distanz – eine Gratwanderung
Selbst wenn der Fachanwalt weiß, dass sein Mandant etwas getan hat, dieser aber dennoch auf Freispruch verteidigt werden will, müsse er sich fügen. „Der Mandant gibt das Ziel vor. Wenn er den Auftrag so gibt, muss ich danach handeln.“
Den Wunsch und das damit einhergehende Vertrauen des Angeklagten stellt der 58-Jährige an erste Stelle. „Das braucht es einfach. Kein Vertrauen, kein Mandat“, lautet sein Grundsatz. Schon im ersten Gespräch mit einem Beschuldigten stelle er klar: „Ich verteidige dich, egal, ob du etwas getan hast oder nicht, auf die gleiche Weise.“
Und dennoch darf auch der Mann im schwarzen Anzug mit der karierten Krawatte um den Hals niemals die Distanz verlieren. Eine Gratwanderung, wie Gronenberg selbst erfahren musste. Besonders ein Fall, dessen Prozess über mehrere Jahre andauerte, prägte den erfahrenen Strafrechtler.
Ein Familienvater war angeklagt, Frau und Tochter getötet zu haben: „Der Fall ging mir nahe, da musste ich nach dem letzten Urteil erstmal schlucken, bin zusammengesackt und habe Tage gebraucht, um mich wieder zu sammeln“, gibt er mit ernster Miene zu. Über mehrere Instanzen ging es damals sogar bis vor den Bundesgerichtshof.
Wenn das Handy klingelt
Warum aber landen die besonders schwierigen Fälle überhaupt so häufig auf Gronenbergs Schreibtisch? „Wenn der Haftrichter entscheidet, dass ein Verdächtiger in Untersuchungshaft genommen werden soll, braucht es sofort einen Pflichtverteidiger“, erklärt der 58-Jährige.
Dafür greife der Richter auf eine Liste aller Anwälte und Pflichtverteidiger im Landgerichtsbezirk zurück und überlege, wer infrage komme. „Dann klingelt am Sonntagmorgen mein Handy und ich werde gefragt, ob ich hinzu kommen und den Fall annehmen würde.“ Was sich bereits herumgesprochen habe: „Tötungsdelikte liebe ich halt. Die sind besonders interessant. Ich habe noch nie eines abgelehnt.“
Private Nähe zu Tatort in Bonndorf
So kam er unter anderem in den beiden jüngeren Fällen zur Verteidigung von Sven T., den das Gericht wegen Mordes an Jennifer T. in Bonndorf zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilte und zur Verteidigung von Deniss M., den das Gericht wegen Totschlags eines Mannes am Rheinufer bei Jestetten zu 13 Jahren Haft verurteilte. Das Besondere: Die Tat in Bonndorf habe sich nur wenige hundert Meter vom Fußballplatz entfernt ereignet, auf dem Gronenberg selbst Jahrzehnte lang gespielt habe.
Als Niederlage sieht der Fachanwalt diese langjährigen Haftstrafen seiner Mandanten nicht. Statt seine Verteidigung an der Höhe der Strafe zu bewerten, komme es dem 58-Jährigen viel mehr darauf an, dass seine Mandanten mit der erbrachten Verteidigung zufrieden seien. „Einmal hat ein Mandant zu mir gesagt, ‚Wissen Sie, mir war klar, dass ich verurteilt werde. Aber neben ihnen habe ich mich als Mensch ernst genommen gefühlt.‘“
Der spektakulärste Fall in 30 Jahren
Es ist Urs Gronenberg anzumerken, dass er sich prägende Fälle bis ins Detail merken und wiedergeben kann. „Tötungsdelikte bleiben einem im Kopf“, sagt er selbst. Besonders gefallen ihm Prozesse, die auch in der Öffentlichkeit auf breites Interesse stoßen.
Der spektakulärste Fall in der bisherigen Karriere des 58-jährigen Verteidigers: Der Mordfall um Ellen W.: Eine Angeklagte und später als Mörderin verurteilte Frau mit Rotlichtmilieu-Vergangenheit, ein millionenschweres Opfer und einen Komplizen der Täterin, dem Mafiakontakte nachgesagt wurden.
Die Heimfahrt als Portal in eine andere Welt
Doch trotz der Leidenschaft am Beruf, Urs Gronenberg liebt die Distanz von seinem Arbeitsort und seinem Zuhause in Bonndorf, um von all dem Trubel Abstand zu gewinnen. „Waldshut-Tiengen ist eine tolle Stadt. Aber ich brauche diesen Abstand und die 30 Minuten Fahrt, um abschalten zu können.“
Zu Hause angekommen, sei er dann voll und ganz für seine Familie da. „Mir macht mein Job richtig Spaß. Aber wenn ich daheim bin, ist es für mich wie eine ganz andere Welt.“