Der Bundestag hat bereits 2011 den deutschen Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Doch mit der Genehmigung von Brennelement-Exporten, zum Beispiel für das Schweizer Kernkraftwerk Leibstadt gegenüber Waldshut, unterstützt der Staat indirekt weiter die Nutzung der Atomkraft. Die Waldshut-Tiengener Bürgerinitiative Zukunft ohne Atom (ZoA) kritisiert die Lieferungen und prüft laut eigener Mitteilung, ob sie gerichtlich gegen diese Praxis vorgehen soll. Auch das Bundesumweltministerium fordert einen Export-Stopp, wie Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) auf Anfrage mitteilte.
Auf die Spur der Brennelement-Lieferungen in die Schweiz ist die Bürgerinitiative über den Konflikt um den umstrittenen Betrieb der belgischen Atomkraftwerke Doel 1 und 2 bei Antwerpen gekommen. In der deutschen Nachbarregion gibt es Protest dagegen, dass das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) einer Firma aus Deutschland die Genehmigung erteilt hat, Brennelemente an diese Reaktoren zu liefern. Die stellvertretende Klage eines Kernkraftgegners wird unterstützt von Anti-Atomkraft-Initiativen aus Aachen, Lingen, Bonn und Münster sowie der Ärzteorganisation IPPNW und dem Umweltinstitut München. Vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt ist derzeit das Verfahren anhängig.
Laut Informationen der Initiative ZoA aus Waldshut-Tiengen wurden von der deutschen Behörde auch Brennelement-Lieferungen für Schweizer Atomkraftwerke bewilligt: „Am 11. Juli 2019 der Export von 36 Urandioxid-Brennelementen nach Gösgen und am 22. Juli 2019 der Export von 116 Uran-Brennelementen nach Leibstadt“, so Sprecherin Monika Herrmann-Schiel in einer Medienmitteilung.
Brennelemente aus deutscher Produktion
Das Kernkraftwerk Leibstadt (KKL), das auf der anderen Rheinseite direkt gegenüber Waldshut steht, hat die Lieferungen bestätigt. „Das KKL bezieht seine Brennelemente aktuell von der Firma Framatome aus deutscher Produktion“, erklärte Thomas Gerlach, Informationsleiter des Atomkraftwerks, auf Anfrage dieser Zeitung. Bei dem genannten Unternehmen handelt es sich um den gleichen Hersteller aus Lingen in Niedersachsen, dem die Lieferungen nach Belgien gestattet wurden.
Sprecherin Monika Herrmann-Schiel zeigt sich empört und macht auf das deutsche Atomgesetz aufmerksam. Diesem zufolge darf eine Ausfuhr von Kernbrennstoffen nur genehmigt werden, wenn „die auszuführenden Kernbrennstoffe nicht in einer die internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der Kernenergie oder die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdenden Weise verwendet werden“.
Monika Herrmann-Schiel: „Die grenznahen Schweizer Atomkraftwerke aber gefährden unsere Sicherheit, wie die Genfer Forscher nachgewiesen haben.“ Sie bezieht sich dabei auf eine Studie des schweizerischen Institut Biosphère über die Folgen eines schweren Unfalls in einem Schweizer Atomkraftwerk. Die Schweiz sei auf einen großen Nuklearunfall in einem ihrer Kernkraftwerke nur „unzureichend vorbereitet“ schreiben die Autoren des im vergangenen Jahr veröffentlichten Gutachtens. Hunderttausende Menschen seien bei einem größten anzunehmenden Unfall („Super-Gau“) besonders in Deutschland betroffen.
KKL-Sprecher Thomas Gerlach hingegen verweist auf die Stellungnahme, die der Branchenverband Swissnuclear zu der Genfer Studie abgegeben hat. Darin heißt es unter anderem: „Dank mehrfach vorhandenen und voneinander unabhängigen Sicherheitssystemen ist es äußerst unwahrscheinlich, dass es zu einem schweren Störfall kommt. Dies hält auch der Risikobericht des Bundesamts für Bevölkerungsschutz fest. Selbst wenn dieser äußerst unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, wären die Auswirkungen primär auf das Innere der Anlage konzentriert. Die ‘Studie‘ postuliert somit ein für die Schweiz unrealistisches Ereignis.“
Unabhängig davon, wie das Genfer Gutachten zu bewerten ist, liegen auch in Deutschland Studien vor, die sich kritisch mit den Risiken von Kernkraftwerken auseinandersetzen. Die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukishima im März 2011 wirkte schließlich als eine Art Katalysator, der im gleichen Jahr zum Atomausstiegs-Beschluss des Bundestags führte. Ob die Waldshut-Tiengener Kernkraftgegner nach dem Beispiel von Belgien gegen die Brennelement-Exporte in die Schweiz klagen werden, ist derzeit offen. ZoA-Sprecherin Monika Herrmann-Schiel sagte auf Anfrage: „Das ist noch nicht entschieden.“
Koalitionsvertrag sieht Exportverbot vor
Unterdessen gibt es auch in der Politik Widerstand gegen die Atomausfuhren. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Rita Schwarzelühr-Sutter, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium (BMU), erklärte auf Anfrage: „Das BMU hat – in Umsetzung des entsprechenden Auftrags aus dem Koalitionsvertrag – im Herbst 2019 einen Gesetzentwurf für eine Änderung des Atomgesetzes zur Einführung eines Exportverbots von Brennelementen an bestimmte ausländische Atomkraftwerke vorgelegt. Von diesem wären die Schweizer Atomkraftwerke aufgrund ihres Alters und ihrer Grenznähe zu Deutschland sämtlich umfasst.“ Doch zur Umsetzung sind regierungsintern offenbar noch Hürden zu überwinden. Die Politikerin über den geforderten Export-Stopp: „Hierzu dauern die Gespräche in der Bundesregierung noch an. Ich erwarte, dass der Koalitionsvertrag erfüllt wird.“
Das Kernkraftwerk Leibstadt teilte auf Anfrage mit, dass in früheren Jahren auch Brennelemente aus anderen Ländern als Deutschland bezogen worden seien. Zu der Frage, wie schnell ein Lieferant gewechselt werden könnte, erklärte Sprecher Gerlach: „Die Beschaffung der Brennelemente ist längerfristig ausgerichtet. Dementsprechend haben wir mit unserem Lieferanten Framatome längerfristige Verträge.“