Volle Kirchen, gar überfüllte, die nur noch Stehplätze bieten, gibt es Heiligabend und vielleicht an anderen Festtagen des Kirchenjahres. Doch an allen anderen Tagen, an denen die Glocken zum Gottesdienst rufen, sind mehr leere als volle Kirchenbänke zu finden. Dabei liegt es erst wenige Jahrzehnte zurück, dass die katholische Kirchengemeinde Waldshut den Bau einer zweiten Kirche in der Stadt oder die Erweiterung der Liebfrauen-Stadtpfarrkirche plante.

Nur die ältesten Waldshuter Katholiken wissen noch um die vor 70 Jahren viel diskutierten Pläne. Nach Kriegsende 1945 war durch die jetzt auch in Waldshut ankommenden Flüchtlinge aus den Ostgebieten die Zahl der Katholiken auf über 6000 angewachsen. Weshalb es angesichts des damals regen Gottesdienstbesuchs zu Platzproblemen in der Stadtpfarrkirche kam. In dieser Situation entstand zunächst der Plan zum Bau einer zweiten Kirche im Bereich des Gurtweiler Tals, der jedoch dem Rechenstift der Fachleute im Erzbischöflichen Bauamt in Freiburg zum Opfer fiel. Die Kosten für Bau und Unterhaltung einer zweiten Kirche wurden weit höher veranschlagt als die Kosten für eine Erweiterung der bestehenden Liebfrauenkirche, befand Freiburg und ging an die Planung. Stadtpfarrer und Dekan Oskar Tröndle stellte in seiner Silvesterpredigt am letzten Tag des Jahres 1950 den vom Erzbischöflichen Bauamt Freiburg ausgefertigten Erweiterungsplan samt Modell vor, das auf einem Seitenaltar zur Besichtigung ausgestellt wurde.
Der Erweiterungsplan sah vor, den Kirchturm abzutragen und das Kirchenschiff nach rückwärts bis zur Wallstraße zu erweitern. Zur Wiederaufrichtung des Kirchturms an neuer Stelle sollte das letzte Haus auf der Südostseite der Wallstraße weichen, in dem sich damals ein Büro und die Wohnung des Mesners befanden. Der Turm würde sich damit gleichsam in die Häuserfront der Wallstraße einfügen und gleichzeitig als seitlicher Haupteingang in die Kirche dienen, deren bisherige frontale Pforte verschwinden würde. Der bisherige Vorplatz vor dem Hauptportal würde also beseitigt und der Eingang in die Kirche direkt von der Wallstraße aus erfolgen. Der Vorplatz zwischen Kirche und Pfarrhaus bliebe im wesentlichen unverändert, ebenso würde auf dieser Kirchenseite ein zweiter Ausgang erhalten bleiben. Auch die Taufkapelle bleibe unverändert. Die Kirche könnte auf diese Weise um ein gutes Drittel mit zwei weiteren Bankgevierten erweitert werden. Man rechne damit, so Pfarrer Tröndle zum Schluss, mit dem Umbau bis 1954 beginnen zu können.
Mit diesem Eingriff in die Architektur der Kirche wie auch in das Stadtbild konnte man sich in Waldshut nicht anfreunden; die Erweiterungspläne verschwanden in der Schublade. Dafür stellte Tröndle zwölf Jahre später in seiner Silvesterpredigt 1962 den Plan für ein zweites katholisches Gotteshaus in der Liedermatte vor. Als Zukunftsaufgabe sei die Erbauung einer Herz-Jesu-Kirche im Baugebiet West zu nennen, erklärte Tröndle. Dieser Kirchenbau sei eine Notwendigkeit für die Zukunft, da jenes Gebiet immer mehr besiedelt werde.
Doch auch diese zweite katholische Kirche in Waldshut wurde nicht gebaut. Zwar nahm die Zahl der Einwohner im Baugebiet der Liedermatte erwartungsgemäß stark zu, jedoch nicht die Zahl der Kirchgänger. Die Stadtpfarrkirche konnte und kann die Besucherzahlen bequem verkraften; der Plan für eine zweite Kirche wurde auf Eis gelegt und schließlich endgültig aufgegeben.
Altes Thema zweite Kirche
Vom krassen Gegenteil berichtete der Alb-Bote vom 6. Juni 1862. Weil die katholische Pfarrkirche in Waldshut wegen der vielen Gottesdienstbesucher aus Schweizer Nachbarorten öfter überfüllt war, befasste sich ein Artikel mit der Frage nach einer zweiten Kirche oder einer Reglementierung für Besucher aus der Schweiz. „Die Bewohner der Schweizer Orte Koblenz und Full besuchen seit längst erdenklicher Zeit den Waldshuter Sonntags- und Festtagsgottesdienst massenhaft“, hieß es, „und obgleich deren Seelsorger ihre Filialangehörigen schon oft und ernstlich gemahnt hatten, dem Gottesdienst in ihren Pfarrkirchen Klingnau oder Leuggern beizuwohnen, so scheint hauptsächlich die große Entfernung vom Pfarrorte die Ursache zu sein, warum unsere Nachbarn die Nähe von Waldshut vorziehen. Man hat denselben niemals Hindernisse in den Weg gelegt, weil die hiesige Pfarrkirche bis zum Bau der Eisenbahn diese Christen aufnehmen konnte, ohne den Hiesigen die Plätze zu versperren.“
Doch 1856 erreichte die Eisenbahn Waldshut, was einen bedeutenden Aufschwung der Stadt zur Folge hatte. Dazu heißt es in dem Artikel von 1862 weiter: „Allein durch die Eisenbahn wurde unsere Bevölkerung um beinahe 600 Einwohner vermehrt; rechnet man bei hohen Festen die hierher gehörige Filiale Eschbach hinzu, so dürfte es demjenigen, der unsere Kirche kennt, bald einleuchten, dass Fremde wegbleiben dürften.“ Natürlich versteckte sich dahinter die Meinung, dass Fremde wegbleiben sollten. Was durch den darauf folgenden Absatz des vor 159 Jahren erschienenen Artikels unterstrichen wird: „Die beiden genannten schweizerischen Orte wurden noch niemals wegen ihres hiesigen ständigen Kirchenbesuchs mit Kosten belästigt, während dem die Bewohner Waldshuts durch auswärtige Gemeinden in der Kirche belästigt werden, indem uns viele und oft die besseren Plätze besetzt werden und man genötigt ist, in den Gängen zu stehen.“