Kinder und Jugendliche haben etwas zu sagen – jetzt erst recht. Das wurde deutlich bei der Online-Diskussion, zu der Rita Schwarzelühr-Sutter unter dem Motto „Generation Corona im Aufbruch“ einlud. Die jungen Menschen ließen dort ihrem Frust freien Lauf, erzählten von Ungleichbehandlung, der einsamen Zeit im Lockdown, dem Leistungsdruck und dem großen Wunsch nach mehr Normalität. Und auch Forderungen an die Politik hatten sie mitgebracht.
Große Not bei jedem Einzelnen
„Die Jugendlichen sind in einer wichtigen Entwicklungsphase und konnten dabei nicht tun, was sie eben tun müssen, der Redebedarf und die Not von jedem Einzelnen ist groß“, sagte Silka Padova, Leiterin des Kinder- und Jugendreferats Waldshut-Tiengen. Dann ließ sie aber die Jugendlichen selbst erzählen, die zur Videoschalte aus dem Jugendzentrum Tiengen zugeschaltet waren.
Immer wieder wurden Hoffnungen zerschlagen
Teresa Günther: „Es war eine sehr schwere Zeit für uns, wir haben ewig unsere Freunde nicht gesehen.“ Dies sei sehr frustrierend.

Da die Zeit des Lockdowns immer wieder verlängert wurde, seien auch immer wieder Hoffnungen zerschlagen worden. Auch psychisch sei es ihr immer schlechter gegangen, die Noten hätten ebenfalls gelitten.
Es ging nur noch um Leistung
Dazu sagte Lena Volkmer: „Wir Jugendlichen werden oft reduziert auf unser Schülersein, doch wir sind nicht nur Schüler, wir sind Menschen.“ Es sei nur noch darum gegangen Leistung zu bringen, etwa, als sie nur zur Klassenarbeit in die Schule gehen durfte. „Wir brauchen auch unsere Freiräume und mehr Zeit zum Reden“, so Lena Volkmer. Klassenlehrerstunden oder freie Schulstunden dazu gebe es nicht mehr. Und auch ihr Gruppenraum der Ministranten sei aktuell geschlossen. Und: „Wir wollen wieder mehr Normalität haben.“
Studierende kennen ihre Kommilitonen nicht
Aaron Wunderle erzählte von seiner Band und, dass ihm vor allem die Kulturveranstaltungen sehr fehlen würden. Auch die Abschlussfahrt seiner Stufe sei abgesagt worden – alles unwiederbringlich. Auf Eigeninitiative hat Marius Mehlin, Student der DHBW Villingen, bei seinen Kommilitonen eine Umfrage gestartet. 91 Teilnehmer schilderten ihre Erfahrungen in der Pandemie.

„Die meisten haben noch nie ihre Kommilitonen gesehen“, erzählt Mehlin. Die Studierenden möchten sich endlich kennenlernen. In vielen Studiengängen finde noch heute kein Präsenzunterricht statt, in den Schulen schon. Und die Darstellung der „zügellosen Partygänger“ durch die Politik sei nicht zutreffend und für viele unerträglich. Die Studenten hätten sich gefreut, dass mit der Umfrage endlich mal jemand gefragt hätte, wie es ihnen geht.
Zunahme der Patienten in der Kinder- und Jugendpsychatrie
Dr. Clemens Keutler, Chefarzt für Kinder- und Jugendpsychatrie und Psychotherapie am St. Elisabethen-Krankenhaus Lörrach, berichtete von der großen Zunahme an Aufnahmepatienten und in den Ambulanzen. Er schilderte die zunehmenden Belastungen der Jugendlichen, sprach von Depressionen, Ängsten, Essstörungen und Mediensucht. Viele ohnehin schon erkrankten Jugendlichen seien durch den Lockdown zusätzlich belastet, bei vielen zuvor gesunden Jugendlichen habe sich die Situation so erschwert, dass sie behandlungsbedürftig wurden. Es gebe aber auch viele gesunde Jugendliche, die durch das Bewältigen der Krise an Kraft gewinnen.
Etwas unwiederbringlich verloren gegangen
Peter Knorre, Leiter des Kinder- und Jugendhauses Bad Säckingen, gab den „Praxis-Check“. Er betonte, dass es nicht einfach gewesen sei, den Kontakt zu Jugendlichen zu halten. Und auch unter den Jugendlichen hätten die Kontakte sehr gelitten. „Sich nur mit dem besten Freund zu treffen, ist einfach zu wenig“, so Knorre. „Da ist was unwiederbringlich verloren gegangen“, betonte er und äußerte sein Verständnis auch für jene Jugendlichen, die sich in Gruppen getroffen hätten.

Nun hätten die jungen Menschen großen Nachholbedarf, bräuchten Möglichkeiten, sich zu begegnen, etwa im Fußballtraining, bei Ausflügen oder in Ferienfreizeiten. In der heutigen Leistungsgesellschaft sei es wichtig zu verstehen, dass junge Menschen auch andere Bedürfnisse haben. „Es herrscht eine gefühlte Ungerechtigkeit, wir müssen hellhörig sein, auf sie zugehen, ihnen zuhören – die jungen Menschen haben uns etwas zu sagen“.
Junge Menschen haben keine Lobby
Ja, sie hätten etwas zu sagen, betont auch Marius Mehlin. Doch das Mitspracherecht fehle zu 100 Prozent. „Junge Menschen haben keine Lobby“, sagte der Student. Vielleicht lege es auch daran, dass man keine wahlrelevante Gruppe sei. Rita Schwarzelühr-Sutter entgegnete, dass es durchaus Jugendvertreter in den Parteien gebe.
Was brauchen wir für den Aufbruch?
Diese Frage stellte Schwarzelühr-Sutter an die Diskussionsteilnehmer. Auch Henning Zillessen, Schulleiter der Hans-Thoma-Grundschule Tiengen, schaltete sich ein. Zunächst lobte er die Maßnahmen der Regierung in der Pandemie, betonte aber auch, dass die geplanten Lernbrücken in zwei Wochen der Sommerferien zu wenig seien. Er wünsche sich dafür Ressourcen direkt vor Ort.

„Schickt denen, die täglich damit zu tun haben, die Ressourcen und regelt nicht zu viel von oben herab“, so Zillessen an Schwarzelühr-Sutter gerichtet. Das Gleiche gelte auch für die Jugendarbeit. Knorre forderte, dass auch die Jugendbeteiligung wie etwa Jugendhäuser in Kommunen von der Politik finanziell unterstützt würden. Hier herrsche etwa im Vergleich zur Schulsozialarbeit eine finanzielle Ungleichbehandlung. Doch auch die Jugendlichen hatten ihre Forderungen mitgebracht: Lena Volkmer und Teresa Günther wünschten sich wieder mehr Normalität und, dass sie künftig öfter mit einbezogen werden. Marius Mehlin und Aaron Wunderle forderten, dass junge Menschen öfter direkt erzählen können, wie es ihnen geht.