Keine Sprachschule, kein Sport, nicht mal ein offenes Café: Wer neu ist in Rheinfelden, hat es bei den aktuellen Corona-Beschränkungen nicht leicht, Menschen kennen zu lernen. Eine 23-jährige Französin ist als Au Pair seit Oktober in Herten und versucht trotzdem, sich in der Region einzuleben – auch mit der Hilfe ihrer Gastmutter, die bei Facebook nach anderen Au Pairs sucht.
Die große Schwester baut am Duplohaus, die mittlere kramt in der Kiste nach weiteren Steinen und der kleine Bruder versucht, einen Feuerwehrhelm auf dem Kopf, den imaginären Brand im Duplohaus zu löschen. „Los, Valtteri, lösch das Feuer, schnell!“ Angefeuert wird der Dreijährige von Pauline Gérard. Die Französin ist seit Oktober als Au Pair bei Familie Golchert in Rheinfelden-Herten – kann aber wegen der Corona-Beschränkungen kaum jemanden kennen lernen.
Sprachschule, Sportverein, Kino: Normalerweise haben die Au Pairs viele Möglichkeiten, in Rheinfelden Menschen zu treffen. Auch andere Au Pairs zu treffen sei wichtig, sagt Fiona Golchert, die Mutter der drei Kinder. Denn die Au Pairs teilten ähnliche Erfahrungen, seien oft ein ähnlicher Typ Mensch, offen und neugierig.
Pauline ist das vierte Au-Pair-Mädchen der Familie, sagt Golchert. Da die erweiterte Familie in Australien lebt und beide Eltern arbeiten, sei eine Hilfe, die mit im Haus lebt, die beste Variante. Und: Mit den jungen Frauen könnten die Kinder auch mal etwas unternehmen, worauf Mama und Papa keine Lust haben – Eislaufen oder ins Okidoki Kinderland fahren. „Sie haben mehr Enthusiasmus, Geduld und Energie als die Eltern“, sagt Golchert. Und zum Au Pair könnten die Kinder eine viel tiefere Beziehung aufbauen als zu einem Erzieher im Kindergarten.
„Sie ist wie eine große Schwester“, wirft Marianne, acht Jahre alt, ein. „Und ich wollte immer eine große Schwester haben anstatt nur eine zu sein.“ Mit Pauline machen die Mädchen lustige Fotos oder probieren Make-up aus. Nur Valtteri habe anfangs Probleme gehabt, sie zu akzeptieren. Inzwischen gibt er ihr von sich aus von seiner Schokolade ab.
In der Familie fühlt sich Pauline Gérard sichtlich wohl. Es ist eine sehr spezielle Au-Pair-Erfahrung, das weiß sie, denn sie hat bereits vor ihrem Studium ein Jahr bei einer Familie in Rom verbracht. Diesmal, vor dem Masterstudium, hat sie sich für eine Familie näher an ihrer Heimat entschieden – wegen Corona. Gérard kommt aus Troyes, von Herten sind das rund 380 Kilometer in Richtung Paris. Falls etwas passiert, kann sie einfach zu ihrer Familie fahren, sagt die 23-Jährige.
Im Frühjahr war das anders: Als die so gefürchteten italienischen Corona-Zustände ausbrachen, war Gérard im Auslandssemester im italienischen Macerata. Weit weg von zuhause, die Grenzen waren zu, nichts fuhr mehr. „Ich war fremd, ich wusste nicht, wie das Gesundheitssystem funktioniert und wer sich um mich kümmern würde.“ Ihre Mutter habe sie abholen wollen, „aber sie ist Krankenschwester, sie sollte lieber zuhause bleiben und arbeiten“, sagt Gérard.
Aus Deutschland jedoch waren die Nachrichten besser, hier schien man mit dem Virus zurechtzukommen. Auch besser als in Frankreich, sagt Gérard: Also entschied sie sich, nach Deutschland zu kommen, vor allem um ihr Englisch zu verbessern, neben Italienisch ihr zweites Studienfach. Über eine Website fand sie die australische Familie in Herten.
Als sie dort ankam, musste sie zunächst für sechs Tage in Quarantäne. Die Tage bis zum negativen Testergebnis waren schwierig für alle, die Kinder, die Eltern, Gérard. „Ich bin normalerweise sehr sozial“, sagt sie. Doch momentan habe sie kaum Gelegenheit, Menschen außerhalb der Familie zu treffen.
Über die sozialen Medien sucht sie nach anderen Au Pairs. Fiona Golchert versucht zu helfen: In einer Facebookgruppe hat sie nach anderen Au Pairs gefragt, es gab eine Rückmeldung. Aber manche Familien wollten momentan nicht, dass sich ihr Au Pair mit anderen Menschen treffe, sagt Gérard. Zudem könne sie, wenn sie jemanden treffen wollte, nirgends hingehen, die Cafés sind zu. Das letzte Au Pair habe im Sommer am Hertener Loch Fremde angesprochen, sagt Golchert. Im Winter geht das nicht.
Überhaupt habe Corona die Welt der Au Pairs verändert, sagt die Mutter. Zum Beispiel suchten jetzt viele Studierende eine Au-Pair-Familie, weil ihre Kurse nur online stattfinden und sie so keine sozialen Kontakte haben. Vor Corona hätten zudem viele Au Pairs aus Nicht-EU-Ländern kommen wollen, jetzt wollten viele eher nicht allzu weit weg – wie Gérard. Familie Golchert habe im März einer jungen Frau aus Albanien absagen müssen. Schwierig sei es auch, wenn die Eltern im Homeoffice immer zuhause seien, sagt Golchert: „Nach unserer Erfahrung sind die Au Pairs selbstsicherer ohne die Eltern.“ Die Kinder ließen sich dann viel einfacher von ihr anschnallen, stimmt Gérard zu.
Trotz allem gefällt es ihr gut in Rheinfelden, sagt sie. „Ich bin wegen Corona lieber hier als in Frankreich.“ Überrascht hätten sie die vielen Fahrradwege und die Solarpanels auf dem Hertener Kirchdach. Toll sei auch die Nähe zur Schweiz. „Ich vergesse aber immer wieder, dass sie dort eine andere Währung haben.“ Mit der fünfjährigen Kassandra war sie schon in Basel im Museum – aber beide hätten sich nicht getraut, an der Kasse etwas zu sagen, Gérard weil sie fast kein Deutsch kann und Kassandra weil sie kein Schweizerdeutsch kann. Mit dieser doppelten Sprachhürde habe sie nicht gerechnet.