Nach langer Corona-Pause gibt es sie wieder – die Veranstaltungsreihe „Donnerstag ist Freytag“. In der Volksbank Hochrhein in Waldshut fand jetzt endlich wieder eine Lesung statt, die aus der 1995 gegründeten „Inge Freytag-Stiftung“ finanziert wird.
Die ehemalige Zahnärztin Inge Freytag (1912 bis 1996) war ein Waldshuter Urgestein und große Kunstmäzenin. So konnten mit ihrer Stiftung nicht nur der alljährliche Scheffelpreis am Hochrhein-Gymnasium Waldshut oder zahlreiche Kinderveranstaltungen gefördert sondern auch große Schriftsteller wie Wilhelm Genozino, Martin Mosebach oder Ralf Rothmann zu Lesungen eingeladen werden. In den Räumen der Volksbank begrüßte in diesem Jahr Jürgen Glocker vom Stiftungsvorstand den bekannten und vielfach ausgezeichneten Schriftsteller und Lyriker Raoul Schrott. Der las aus seinem neuesten Gedichtband „Inventur des Sommers. Über das Abwesende“. Und ergänzte vergnügt: „Ich bewundere Ihren Mut für Gedichte und will Ihnen das Unterfutter dafür liefern. Gedichte sind die konzentrierteste Form des Nachdenkens.“ Gleich vorneweg: Das war keine leichte Kost. Aber wer sich je für Schrotts Gedankengedichte interessiert, sollte sie sich vom Lyriker selbst vortragen lassen. Denn der tat das genussvoll und auf höchst amüsante, ausschweifende Art und erweckte sie dadurch zu farbigem Leben.
Sie entstanden auf seinen vielen Reisen rund um die Welt, wenn er plötzlich einen Gedanken festhalten will und auf den nächsten Rastplatz fährt: Einen gerade überholten Militärtransport verbindet er mit dem Ukrainekrieg (“Was schreibt man zu den Gefallenen in der Ukraine?“), ein verschleiertes Mädchen regt ihn zum berührenden Gedicht „Suleika“ und Betrachtungen zu Goethes Westöstlichen Diwan an. Oder er begibt sich auf Spurensuche zum Berg der Musen in Griechenland, dem Helikon. Und das alles Verbindende? Er stellt seine Gedanken unter die Begriffe „Anwesend“ und „Abwesend“: Was war schon vorher präsent oder bereits abwesend wie etwa die Erscheinung eines Sonnenuntergangs? Was blieb von der Gegenwart?
Diese Gedankensprünge waren nicht immer leicht nachzuvollziehen. Aber Raoul Schrott besticht durch seine gereimten Gedichte und seine kraftvolle Wortwahl. Wunderbar das Gedicht „Der poetische Act“. Oder schließlich sein Gedicht über das Älterwerden: „Älter werden heißt sich ertragen lernen...“. Sein abschließender humorvoller Kommentar: „Gedichteschreiben ist gar nicht so schwer!“
Raoul Schrott wurde 1964 in Landeck/Österreich geboren. Er ist vielfach ausgezeichneter Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Verfasser zahlreicher Werke.