Frau Stelter, Sie leiten seit 2017 die Tourist-Information von Waldshut-Tiengen. Warum ist Tourismus ein wichtiges Thema, das auch Bürger betrifft?
Zum einen ist Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, von dem auch der lokale Handel, das Handwerk und Dienstleiter profitieren. Zum anderen machen Bemühungen um touristische Angebote auch die eigene Heimat lebens- und liebenswert. Ob von uns entwickelte Stadtführungen oder Wander- oder Radbroschüren samt Wegpflege – das alles kann auch von Bürgerinnen und Bürgern zur Naherholung und für erlebnisreiche Auszeiten im Alltag genutzt werden.
Während der Corona-Pandemie haben viele die Heimat neu zu schätzen gelernt. Ist das auch Ihr Eindruck?
Absolut. Es wurde wahrscheinlich so viel spaziert, gewandert, geradelt und die Heimatregion mit ganz neuen Augen entdeckt wie schon viele Jahre nicht mehr. Mein Team und ich wurden in dieser Zeit zum Bürgertelefon umfunktioniert, um die Fragen und vielen Ungewissheiten stets auf dem aktuellen Stand zu beantworten.
Also stand der Tourismus während Corona komplett still?
Nein. Um unserer touristischen Aufgabe dennoch gerecht zu werden und den Bürgern in dieser schweren Zeit auch Inspirationen zu geben, die der Seele gut tun, haben wir auf Wunsch Frühlingspakete verschickt. Mehr als 200 Mal wurden diese Pakete, bestehend aus zahlreichen Broschüren mit Ideen für Aktivitäten, die auch während der Lockdown-Phasen möglich waren, bestellt. Das hat uns sehr gefreut!
Hat sich die Tourismus-Branche in Waldshut-Tiengen bereits von der Pandemie erholt?
Die Bilanz für 2022 liegt uns ganz neu vor: Mit rund 80.700 Übernachtungen lagen wir noch nicht ganz auf dem Vor-Corona-Niveau mit rund 89.000 Übernachtungen in 2019. Aber man kann sagen: Wir sind wieder im Aufwind! Auch die Stadtführungen werden endlich wieder vermehrt gebucht und sind auch bei Schweizer Gruppen sehr gefragt. Zwar sind heimische Vereine, Schulen und Firmen noch zaghafter bei Stadtführungs-Buchungen als vorher. Aber so langsam nimmt auch das wieder an Fahrt auf. In der vorletzten Woche mussten wir an einem Tag sieben Anfragen für Gruppenführungen bewältigen – das stimmt uns sehr positiv.
Woher kommen Touristen?
In den warmen Monaten steigen die Zahlen der Rad- und Campingtouristen. Hochsaison ist bei uns aber auch jedes Jahr zur Weihnachtsmarkt-Zeit. Der Markt lockt sehr viele Besucher an, die sich dann über weitere Erkundungsmöglichkeiten, Kulturveranstaltungen sowie städtische Souvenirs bei uns in der Tourist-Information informieren. Wir begrüßen überwiegend Gäste aus Deutschland, der Schweiz und dem nahen Frankreich. Sie schätzen unsere mittelalterlichen Innenstädte und die Lage zwischen Hochrhein und Südschwarzwald.
Was macht Waldshut-Tiengen aus touristischer Perspektive aus?
Beide Innenstädte haben imposante mittelalterliche Gebäude, mit tollen Fassaden – da können auch Einheimische bei jedem Spaziergang noch neues entdecken. In Waldshut schätzen Besucher das geschlossene Mittelalter-Flair, das authentisch an eine Stadtbefestigung aus längst vergangenen Tagen erinnert. In Tiengen sind es die vielen versteckten, verwinkelten Gassen, die das Ambiente ausmachen. Und rundherum haben wir Natur, Wald, Wasser, Alpenblicke und Ruhe pur. Kurz: Waldshut-Tiengen bietet die ideale Stadt-Land-Mischung. Ich persönlich liebe den Mehrgenerationenplatz in Waldshut, den Vitibuckturm in Tiengen und das Haspelhäusle oberhalb von Waldshut – alles was Fernblicke bietet, lässt mich zur Ruhe kommen und durchatmen.
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Dann wagen wir mal einen Blick in die Ferne: Welche besonderen Events stehen 2023 auf dem touristischen Fahrplan der Doppelstadt?
In diesem Jahr hat die badische Revolution ihr 175. Jubiläum. Wir konnten zwei engagierte Stadtführer für die Idee gewinnen, spezielle Führungen zu diesem Thema zu gestalten. In der letzten Woche führte Uli Stather zum Thema durch Tiengen. Am Samstag, 13. Mai, folgt eine historische Führung zum Thema mit Thomas Völk durch Waldshut. Völk ist Mitglied der ehemaligen Junggesellen und ein frisch ausgebildeter Stadtführer, der zudem mit einer ganz besonderen neuen Führung aufwartet: Einer neuen Nachtwächterführung durch Waldshut. Premiere als Nachtwächter Josef feiert er am 21. April, eine weitere Nachtführung gibt es am 6. Oktober. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge haben wir Ende 2022 nämlich nach 14 Jahren im Dienst das Nachtwächter-Urgestein Hubert Baumgartner in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet.
Welche Höhepunkte gibt es in diesem Jahr außerdem?
Nach vielen Jahren der Planung können wir in den nächsten Wochen unseren neuen Wanderführer präsentieren. Die Broschüren werden gerade gedruckt. Wir haben mit Unterstützung des Schwarzwaldvereins auf dem Stadtgebiet von Waldshut-Tiengen vier ganz neue Wanderungen entwickelt. Das Besondere: Alle der zehn Ortsteile sind in die Routen integriert.
Sind Sie die neuen Wanderungen bereits selbst gegangen?
Selbstverständlich – auch, um die attraktivsten Wege zu finden. Ich war erstaunt, wie vielseitig unser Stadtgebiet ist. Jedes Dorf hat seinen eigenen Charme und seine eigene urige Kapelle. Mit Höhenlagen mit Weitblick und tiefen Tälern sind die Komplettrouten schon recht sportlich. Aber wir haben Abkürzungsmöglichkeiten eingebaut, sodass jeder die Streckenlänge den eigenen Bedürfnissen anpassen kann: Lange Wanderung oder nur ein größerer Spaziergang. Um auch für Erholungspausen zu sorgen, bekommen in diesem Jahr alle Ortsteile Himmelsliegen, die zum Verschnaufen und Verweilen einladen.
Wie viel kostet so ein großes touristisches Projekt?
Wir haben sparsam gehaushaltet, vielerorts versucht, bestehende Wege und Wandertafeln zu integrieren. Das ganze Projekt kostet rund 24.000 Euro. Doch wir bekommen Fördermittel vom Naturpark Südschwarzwald. Sie übernehmen 60 Prozent der Kosten.
Die neuen Broschüren sind noch in der Druckerei. Haben Sie Familien-Ausflugs-Tipps für Ostern?
Familien können zum Beispiel selbst auf Entdeckungsrallye mit unseren Kinder-Figuren Waldu und Tiene gehen – die Unterlagen dazu gibt es zum Online-Download. Außerdem bieten der Eibenwald- und der Klimawandelpfad nahe des Wildgeheges Informationen und Bewegung. In den Ferien gibt es außerdem am 15. April um 15 Uhr eine Kinder-Stadtführung mit der „Gärtnerin vom Tiengener Schlossgarten“ durch Tiengen.
Wie können sich Bürger im Tourismus engagieren?
Privatpersonen, Vereine und professionelle Anbieter können sich unserer „Arbeitsgemeinschaftsgruppe Tourismus“ anschließen und darin Projekte anregen und mitgestalten. In diesem Rahmen ist auch die Idee zu den neuen Wanderwegen entstanden. Wir freuen uns über jeden Denkanstoß und jede Vernetzung. Selbst sind wir zum Beispiel in der Tourismuskooperation FerienWelt Südschwarzwald vernetzt und können tolle Synergien nutzen. Das wünsche ich mir auch für die Zukunft von Waldshut-Tiengen: Noch mehr Netzwerk und Austausch, um unsere Doppelstadt so lebens- und liebenswert zu erhalten und weiterzuentwickeln.