Herr Baumgartner, wie fühlt man sich als frisch gebackener Major?

Gut. Für mich ist es eine Anerkennung, die mich auch ein bisschen stolz macht. Roland Schmidt und Josef Löw, die vor mir Kommandant waren, haben aber auch viel für die Bürgerwehr getan und hatten auch den Rang eines Majors. Man wird für das Engagement in und für die Bürgerwehr und damit die Verdienste für das heimatliche Brauchtum befördert.

Wie lief die Beförderung ab und woran erkenne ich jetzt an Ihrer Uniform, dass Sie Major sind?

Ich wurde in Gengenbach in einer Verbandssitzung vom Landeskommandanten Hans-Joachim Böhm befördert. Ich musste nach vorne treten und bekam eine Urkunde und neue Schulterklappen für meine Uniform, sie wurden mit persönlich von Verbandsmitgliedern auf den Schultern befestigt.

Jürgen Baumgartner, Kommandant der Bürgerwehr Tiengen, spricht mit unserer Mitarbeiterin Ursula Freudig über die Bürgerwehr und seine ...
Jürgen Baumgartner, Kommandant der Bürgerwehr Tiengen, spricht mit unserer Mitarbeiterin Ursula Freudig über die Bürgerwehr und seine Beförderung zum Major. | Bild: Bernhard Leistner

Als Major haben meine Schulterklappen jetzt goldene Fransen und jeweils drei goldene Sterne, vorher hatten sie keine Fransen und nur zwei Sterne. Damit ist jetzt meine Laufbahn aber beendet, in einen höheren Rang kann ich jetzt nicht mehr befördert werden.

Was gibt es sonst noch für Ränge?

Als ich 1984 in die Bürgerwehr eintrat, war ich einfacher Gefreiter mit einem goldenen Streifen am Ärmel. Nach dem Gefreiten wird man Unteroffizier und bekommt zwei Streifen am Ärmel und einen am Kragen. Wird man zum Feldwebel befördert, erhält die Uniform einen roten Latz und als Leutnant trägt man dann Schulterklappen ohne jede Verzierung. In der nächsten Beförderungsstufe zum Hauptmann zeigen die Schulterklappen zwei Sterne und beim Major wie gesagt, drei Sterne und goldene Fransen.

Das sind alles militärische Ränge – mit dem Militär hat die Bürgerwehr aber nichts zu tun, oder?

Nein. Wir sind eine reine Brauchtumsgruppe, die absolut nichts mit dem Militär am Hut hat. Wir erinnern an einen Teil der Tiengener Geschichte und halten ihn lebendig. Waffen tragen wir nur, weil sie zur Uniform und zu dieser Geschichte dazu gehören. Die Bürgerwehr Tiengen wurde 1804 zum Schutz der Stadt gegründet.

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Sie war nie eine Angriffsgruppe, sondern immer eine reine Verteidigungsgruppe, um die Stadt vor marodierenden Soldaten zu schützen. Und sie war zum Beispiel auch beim Löschen von Bränden im Einsatz. 1848, nach der Revolution, wurde sie verboten, weil sie der Untreue gegenüber der Obrigkeit verdächtigt wurde. 1962 haben der damalige Bürgermeister Franz Schmidt und der Zunftmeister Hans Jünger die Bürgerwehr als historische Brauchtumsgruppe wiedergegründet, um an diese Zeit zu erinnern. Ihren ersten Auftritt hatte sie 1962 beim Heimatabend des Schwyzertags.

Hat denn Ihre Uniform auch historische Vorbilder?

Ja, es ist eine napoleonische Uniform nach einem Ölgemälde aus dem Jahr 1842, das den wahrscheinlich letzten Kommandanten der Bürgerwehr Tiengen zeigt. Unsere Uniform ist durch das leuchtende rot und blau in Verbindung mit Gold eher farbeprächtiger als andere Uniformen und für mich schon eine der schönsten unter den Bürgerwehren. Ich denke, wir geben schon immer ein Bild ab, das bei den Menschen gut ankommt, wir werden auch oft fotografiert, besonders die Japaner wollen immer ganz nah ran.

Ja, Sie sehen schon sehr schmuck in Ihrer Uniform aus. Fühlen Sie sich auch anders, wenn Sie Uniform tragen?

Ich würde es so sagen: Wenn ich meine Uniform trage, fühle ich mich enger mit der Tiengener Geschichte verbunden als in Zivil und das ist ein gutes Gefühl, es ist mir eine Ehre, diese Uniform zu tragen.

Der Kommandant der Bürgerwehr Tiengen, Major Jürgen Baumgartner, in einem Raum der Bürgerzunft Tiengen im Schloss neben dem Wappenbild ...
Der Kommandant der Bürgerwehr Tiengen, Major Jürgen Baumgartner, in einem Raum der Bürgerzunft Tiengen im Schloss neben dem Wappenbild Tiengens, der Muttergottes Maria. | Bild: Ursula Freudig

Sind es Maßanfertigungen?

Ab und zu bekommt ein sehr verdientes Mitglied eine nach Maß, aber wir haben natürlich einen Fundus. Eine Tübinger Trachtenfirma näht uns die Uniformen aus einer Art Filzstoff, das heißt sie sind kein Leichtgewicht. So drei, vier Kilo dürfte eine schon wiegen, im Sommer kommen wir auf jeden Fall immer ganz schön ins Schwitzen. Sie ist auch nicht ganz billig. Rund 800 Euro kostet die Uniform eines normalen Soldaten, die eines Majors etwa 1600 Euro.

Man sieht die Bürgerwehr immer mit dem Spielmannzug, ist er immer dabei?

Unser Spielmannszug wurde 1985 gegründet. Bei unseren Auftritten marschiert er immer vorneweg. Spiel-mannszüge gehen auf die preußische Zeit und das Militär zurück und bestehen traditionell aus Trommlern und Pfeifern. Sie gehören zu Bürgerwehren dazu, manche haben sogar eine eigene Musikkapelle.

Wo marschieren die Bürgerwehr und der Spielmannszug Tiengen traditionell auf und was waren ganz besondere Auftritte?

Wir sind in Waldshut-Tiengen bei Stadtfesten wie Schwyzertag und Chilbi dabei, an Fronleichnam, am Volkstrauertag sieht man uns in Tiengen und auch bei vielen traditionellen Umzügen in der Umgebung. Alle zwei Jahre machen wir beim Lan-destreffen der Bürgerwehren und Milizen Baden-Südhessen mit, wir selbst haben bereits drei ausgerichtet, das letzte 2019. Landestreffen sind immer ein großes Erlebnis mit Böllerschüssen, dem Großen Zapfenstreich und der Nationalhymne zum Abschluss. Zu unseren bisherigen Höhepunkten gehörte unsere zweimalige Teilnahme beim Münchner Oktoberfest, das Mitwirken beim großen Mittelalterfest in Bretten und ein besonderes Erlebnis waren auch die Einladungen unserer damaligen Bundestagsabgeordneten Werner und Thomas Dörflinger nach Bonn und Berlin. Für einige von uns war es ein besonderes Ereignis, als sie beim Besuch von Papst Benedikt in Freiburg Spalier für ihn stehen durften. Abgesehen von unseren Auftritten sind wir als selbstverwaltende Gruppe der Zunft wie ein Verein organisiert mit einem geselligen Leben wie in jedem Verein.

Haben Sie auch ein eigenes Lokal, wo Sie sich treffen?

Ja, in einem Gebäude neben der Musikschule Südschwarzwald in der Breitestraße. Dort probt der Spiel-mannszug. Wir als Bürgerwehr proben im Sommer zwei Mal im Monat auf dem Stadthallenparkplatz. Das Gleichschritt halten beim Marschieren muss man üben und natürlich auch das Salutschießen mit unseren Vorderladergewehren.

Viele Vereine und Gruppen haben Nachwuchsprobleme, Sie auch? Und dürfen denn auch Frauen mitmachen?

Ja, auch wir suchen Nachwuchs. Wir sind in der Bürgerwehr noch 15 Leute und der Spielmannszug hat zehn Mitglieder. Wir freuen uns über jeden Mann und jede Frau, die in einer der beiden Gruppen mitmacht. Bis in die 80er Jahre hinein waren wir nur Männer.

Großer Auftritt: Bürgerwehr Tiengen und Spielmannszug beim Schwyzertagsfestgottesdienst 2021 im Tiengener Schlossgarten – im ...
Großer Auftritt: Bürgerwehr Tiengen und Spielmannszug beim Schwyzertagsfestgottesdienst 2021 im Tiengener Schlossgarten – im Gedenken an die Toten gibt die Bürgerwehr drei Salutschüsse ab. | Bild: Ursula Freudig

Unter meinem Vorgänger Roland Schmidt war die Bürgerwehr Tiengen die erste im Landesverband, die danach in ihren Spielmannszug Frauen aufgenommen hat und einige Jahre später, dann auch in die Bürgerwehr. Leider haben wir bislang mit Nelly Polzer nur eine Frau in den Reihen der Bürgerwehr.

Im Spielmannzug können schon Kinder ab sieben Jahren mitmachen. Musikalische Vorkenntnisse braucht man nicht, wir bilden intern aus. Der Bürgerwehr kann man ab 18 Jahren beitreten. Es wird für beide Gruppen alles gestellt: Instrumente, Uniform, die komplette Ausrüstung.

Bei den Zunfträten gibt es eine Art Aufnahmeritual, gibt es das bei der Bürgerwehr auch?

Nein, bislang nicht. Wir könnten uns wie bei den Zunfträten ein Probejahr vorstellen und danach ein offizielles Aufnahmeritual. Dadurch können wir der Aufnahme vielleicht einen höheren Stellenwert geben.

Was sind Ihre nächsten Auftritte und was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Wir sind beim Kreistrachtenfest in Urberg am dritten Maiwochenende dabei und im Juli und August kommen dann auch schon unsere Auftritte beim Schwyzertag und der Chilbi. Ich wünsche mir, dass wir mit neuen Mit-gliedern unsere Zukunft sichern und dass wir nicht nochmals zwei Jahre wie die vergangenen erleben, wo wegen Corona nahezu das komplette Vereinsleben tot war.