Der Fasnachtsmontag 1815 zählte mit Sicherheit zu den Höhepunkten im langen Leben des Landwirts Sebastian Reiniger. An jenem 7. Februar wurde er nicht nur Ehemann der Theresia Berger, sondern zugleich auch Bürger des Großherzogtums Baden und der Gemeinde Wehr. Allerdings hatte der junge Mann zuvor noch Hindernisse zu überwinden.

Streng genommen war der in Magden geborene Reiniger ein Untertan des Kaisers zu Wien. Durch die napoleonischen Kriege hatte Österreich aber 1799 die Gebiete südlich des Rheins verloren. 1802 wurde das Fricktal ein eigener Kanton der Helvetischen Republik und ein Jahr später in den Kanton Aargau integriert. Aus dem österreichischen Untertan Reiniger war innerhalb eines Jahrzehnts ein Aargauer Bürger geworden.

Seine persönlichen Verhältnisse waren nicht minder komplex. Aus dem Kirchenbuch der Pfarrei Magden geht hervor, dass Reinigers Vater Johann Adam am 7. April 1792 im Alter von 46 Jahren verstarb. Sein Sohn Sebastian kam jedoch am 3. Januar 1793 zur Welt. Man muss kein Rechenkünstler sein, um festzustellen, dass Sebastian quasi auf dem Totenbett gezeugt wurde. Für seine Mutter Franziska, geb. Stäublin, begann eine harte Zeit. Weil sie als Witwe nicht dauerhaft den Bauernhof betreiben und für ihre Kinder sorgen konnte, schickte sie ihren Jüngsten 1797 nach Wehr. Wie war das möglich?

Der vierjährige Sebastian lebt bei einer Tante

Dazumal waren das Fricktal und das Wehratal noch eng verbunden. Es gab viele verwandtschaftliche Bande über den Rhein hinweg. Aus einem Schreiben des Wehrer Vogts Balthasar Ritter können wir entnehmen, dass Sebastian bei einer Tante Ritters untergekommen war. Wie aus dem Totenbuch von 1828 hervorgeht, handelte es sich um Verena Genter, geborene Reiniger. Sie war mit dem Wehrer „Vogt und Kirchenmayer Johann Genter“ verheiratet und hatte ihren Neffen aus Magden zu sich genommen. Für den kleinen Sebastian ein großes Glück, wie sich noch zeigen wird.

Sebastian wuchs als Enkendörfer Bub auf. Im Haushalt des Vogtes ging es ihm gut und er besuchte sogar die Volksschule. Der junge Mann verliebte sich in die Bauerntochter Theresia Berger, deren Eltern 1813/14 innerhalb von zwei Monaten verstorben waren. Um heiraten zu dürfen, musste er zuvor jedoch das Wehrer Heimatrecht sowie die Staatsbürgerschaft des Großherzogtums Baden erwerben. Reiniger galt, wie aus seiner Akte hervorgeht, als „Ausländer aus dem Kanton Aargau“.

Für 52 Gulden wird Reiniger ein Bürger von Wehr

Pfarrer Mayer und Vogt Ritter machten für ihren Schützling, der durch seine Tante zu den oberen Kreisen der Wehrer Gesellschaft zählte, alles klar und wickelten das bürokratische Verfahren ab. Reiniger musste aus der „Kantons- und Gemeindebürgerschaft von Magden“ förmlich entlassen werden. Zuvor musste er jedoch Bürger von Wehr werden und sich in das örtliche Heimatrecht einkaufen. Das kostete stolze 52 Gulden, immerhin mehr als zwei Monatsgehälter des gut bezahlten Obermeisters der Hammerschmiede im Eisenwerk! Für Reiniger kein Problem, wusste er doch seine vermögende Tante hinter sich. Also wurde er Bürger sowohl der Gemeinde Wehr als auch des Großherzogtums Baden.

Ups, da ging etwas mit der Terminplanung schief

Nun konnte das Aufgebot erfolgen und die geplante Ehe proklamiert werden. Allerdings unterlief Pfarrer Mayer ein Terminfehler. Ihm zufolge sollte Reinigers Hochzeit nämlich ausgerechnet am Aschermittwoch 1815 stattfinden. In heller Vorfreude hatte der Bräutigam jedoch bereits für Fasnachtsmontag, den „7. Hornung 1815“ beim Löwenwirt Trefzger das Festmahl mit Tanzmusik bestellt. Eine Katastrophe, denn am Aschermittwoch herrschte strengstes Tanzverbot. Und Reiniger wollte seine Hochzeit gehörig feiern.

So schrieb er in schönster Handschrift einen Brandbrief an das „Hochlöbliche Großherzogliche Directorium des Wiesenkreises“ in Lörrach mit der untertänigsten Bitte, seine Hochzeit am Fasnachtsmontag feiern zu dürfen. Er musste ein paar Tage zittern, ehe am 6. Februar endlich die „Dignation“ eintraf. Der Start ins Wehrer Ehe- und Bürgerleben konnte somit erfolgen.

Das junge Ehepaar bezog seine Wohnung im stattlichen „Enkendörfer Storchehus“ mit den markanten Treppengiebeln. Es gehörte dem Vogt Johann Genter, der inzwischen verstorben war. Aus dem Feuerversicherungsbuch der Gemeinde geht hervor, dass es um 1641 erbaut worden war. Es handelte sich um das einzige dreigeschossige Gebäude im Enkendorf, bestand komplett aus Stein und war mit Ziegeln gedeckt – seinerzeit ein echter Luxus.

Das um 1730 erbaute Gasthaus „Löwen“, wo Sebastian Reiniger am Fasnachtsmontag 1815 seine Hochzeit feiert. Ratsschreiber Erhart Trefzger ...
Das um 1730 erbaute Gasthaus „Löwen“, wo Sebastian Reiniger am Fasnachtsmontag 1815 seine Hochzeit feiert. Ratsschreiber Erhart Trefzger war der letzte Löwenwirt. Der Ausschank wurde 1904 mit der Eröffnung des „Wehrahof“ eingestellt und das Gebäude 1939 abgebrochen. Bilder: Reinhard Valenta | Bild: Repro Reinhard Valenta

1944 fiel es einem Brand zum Opfer. Reiniger erbte es nach dem Tod seiner Tante mitsamt einem Teil des Nachbarhauses. Er verstarb am 22. Januar 1865 im Alter von „71 Jahren und 22 Tagen“. Aus dem armen Magdener Bub war ein angesehener Bürger Wehrs geworden.

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