Georgi rührt nachdenklich in der dünnen Brühe, die er zur Suppe veredeln will. Auf dem schmalen Tischchen stehen Küchengerät, eine Bierdose von Miguel, eine Flasche mit Speiseöl. Sein Kollege Emil schnippelt Paprika aus dem Glas, um das Tütengericht aufzupeppen. Der Kochplatz der beiden Bulgaren ist ungewöhnlich: Er zwängt sich zwischen die hoch aufwölbenden Wände zweier Lastzüge, die sauber und exakt parallel abgestellt sind.

Stillleben auf Zeit: Für zwei Tage leben und kochen die Lkw-Fahrer auf dem Parkplatz.
Stillleben auf Zeit: Für zwei Tage leben und kochen die Lkw-Fahrer auf dem Parkplatz. | Bild: Fricker, Ulrich

Die beiden Trucker köcheln ihr Mittagessen, zu dem sie dicke Scheiben an Weißbrot verzehren werden.

Bild 2: Dosensuppe, Tankstellen-Flair und Sehnsucht nach daheim: Ein Sonntag unter Lastwagenfahrern auf einer Raststätte im Hegau
Bild: Fricker, Ulrich

Zwischen dem heißen Asphalt und den dampfenden Gummireifen ihrer Lkw träumen sie von den Köstlichkeiten, die ihre Frauen zubereiten – einige Tausend Kilometer entfernt vom Rastplatz Hegau-West bei Engen, wo sie mit Dutzenden anderen Fahrer warten. Sie warten, dass es Montag wird.

Bild 3: Dosensuppe, Tankstellen-Flair und Sehnsucht nach daheim: Ein Sonntag unter Lastwagenfahrern auf einer Raststätte im Hegau
Bild: Fricker, Ulrich

Georgi und Emil vertreten eine schnell wachsende Berufsgruppe. Sie zählen zum Heer der Fernfahrer aus Osteuropa, das die deutschen Autobahnen befährt, bevölkert und erobert.

Jede dritte Fahrt in Deutschland wird nach Einschätzung von Experten inzwischen von Fahrern aus Polen, Tschechien oder Rumänien absolviert.

Parkplätze sind am Wochenende restlos ausgebucht

Spannend wird es an Wochenenden, wenn diese Chauffeure der Brummis die gesetzlich vorgeschriebene Lenkpause einlegen. Dann verbringen sie bis zu 48 Stunden fernab von Balkan oder baltischem Meer zwischen Autobahn und Dixi-Toilette.

Ihre Heimat liegt weit entfernt: Vitalii (vorne) ist der Fahrer. Aus einer Palette bastelte der Ukrainer einen provisorischen Tisch. ...
Ihre Heimat liegt weit entfernt: Vitalii (vorne) ist der Fahrer. Aus einer Palette bastelte der Ukrainer einen provisorischen Tisch. Diesmal begleitet ihn Volodymir. Am Montag früh erhält Vitalii eine SMS von seiner Firma mit dem nächsten Ziel. | Bild: Fricker, Ulrich

Die Parkplätze an Raststätten und Buchten entlang der Landstraßen sind dann restlos ausgebucht. Wenn der Platz nicht reicht, stehen sie auf Standstreifen oder stellen die Zufahrten zur Tankstelle zu. Die Flächen fassen nicht alle schweren Fahrzeuge, die am Wochenende ruhen sollen.

Die Polizei kennt das Problem

Die Ordnungshüter kennen die Zustände bestens. Die Autobahnpolizei ist gleich um die Ecke in Mühlhausen-Ehingen stationiert, die Raststätten liegen vor der Haustür. Die Polizei weiß von den Klagen von den Einfahrten, die von dicken Lastern zugeparkt werden.

Oder die Einfädelspur, die wieder auf die Autobahn führt. „Dann muss regulierend eingegriffen werden“, berichtet Bernd Schmidt, Sprecher des Polizeipräsidiums Konstanz, im Gespräch mit dieser Zeitung, „insbesondere, wenn behindernd oder gefährdend geparkt wird, wird sanktioniert“, so Schmidt.

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Rastplatz mit Supermarkt und Dusche

Das Lagebild ist geläufig: Die Asphalt-Cowboys müssen einen Boxenstopp einlegen, doch stehen zu wenig Flächen bereit, auf denen sie stehen dürfen. Rastplätze von der 1-A-Qualität wie im Hegau sind selten. Sie bilden eine Art Drei-Sterne-Domizil für die motorisierten Kutscher – mit nahem Supermarkt und einer Dusche im Rasthaus, die sie gegen Gebühr benutzen können.

„Das Problem ist polizeilich bekannt und wird auch entsprechend überwacht. Es lässt sich jedoch wegen der vielen Fahrzeuge nicht grundsätzlich vermeiden“, berichtet Pressesprecher Schmidt.

Zweiklassen-Gesellschaft

Die Raststätten Hegau-West und Hegau-Ost liegen auf Höhe von Engen. An Wochenenden entfaltet sich hier ein Theaterstück, das auf zwei Ebenen spielt. Eine oben, eine unten. Die Zweiklassen-Gesellschaft der Mobilität. Auf der einen Seite parken Wohnmobile und schnittige Limousinen, denen Menschen auf der Durchreise entsteigen. Sie rauchen eine Zigarette und suchen ein Plätzchen im Schatten auf. Sie gehen in die Raststätte, packen ihr Tablett voll und betreten plaudernd die Terrasse mit dem Panaromablick.

Die Autobahnraststätte Hegau-Ost an der Autobahn 81.
Die Autobahnraststätte Hegau-Ost an der Autobahn 81. | Bild: Patrick Seeger, dpa

Die Vulkankegel des Hegau gruppieren sich wie bestellt. Die Besucher trinken Kaffee und stochern im Salat. Diese Menschen sind gut und frisch gekleidet, viele stecken in diesen Wochen im Urlaubsmodus und reden über das Meer oder die Berge. Sie sprechen Deutsch, Englisch, Niederländisch – die Sprachen des Westens. Sie reisen freiwillig.

In der anderen Welt spricht man überwiegend Slawisch

Nur wenige Meter entfernt wühlt die andere Welt. Sie spricht überwiegend Slawisch. Sauber geparkt stehen an diesem Samstag im Sommer 70 Sattelschlepper mit 70 Fahrern. 70 träge Elefanten wiegen im Tiefschlaf.

Bild 6: Dosensuppe, Tankstellen-Flair und Sehnsucht nach daheim: Ein Sonntag unter Lastwagenfahrern auf einer Raststätte im Hegau
Bild: Fricker, Ulrich

Die meisten Fahrer sind allein mit ihren fünf Achsen, zehn Rädern und knapp 40 Tonnen Frachtgut. Keine Sozia, kein Kollega. Sie sind allein an diesem Wochenende, vertreiben sich die Zeit mit Essen, Trinken und ihrem Handy.

Georgi blättert auf dem Display und zoomt auf die Familienbilder. Er zeigt auf eine wasserstoffblonde Frau mit aufgetürmter Frisur und engem blauem Hosenanzug. Den hat er ihr gekauft, sagt er. Seine Frau ist Russin. Stolz wischt Georgi weiter, um die Schönheit seiner Frau zu zeigen. Sie sitzt in Bulgarien. Und er zwischen Lkw-Planen und Gaskocher mit Maggisuppe.

Bild 7: Dosensuppe, Tankstellen-Flair und Sehnsucht nach daheim: Ein Sonntag unter Lastwagenfahrern auf einer Raststätte im Hegau
Bild: Fricker, Ulrich

Ihr geht es gut, sagt er. Das Geld, das er beim Abwalzen von vielen Hundert Kilometern verdient, trägt er nach Hause. Seine Frau brauche sich nicht verstecken, meint Georgi stolz. Blauer Hosenanzug!

Sein Rhythmus: Er lebt und arbeitet zwei Monate im Lastwagen, dann darf er für 20 Tage nach Hause. Der Mann ist zufrieden mit seiner Schicht. Andere trifft das Leben härter, sagt er. Die hätten nur 10 oder 12 Tage frei zwischen der Fahrerei. Am Montag früh um sechs Uhr wird er Richtung Spanien starten. Deutschland und Iberische Halbinsel und zurück, das ist seine Route und Fuhre. Ihm sei nie langweilig, sagt er. Er habe ja sein Handy.

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Beruf in Deutschland nicht mehr attraktiv

Fahrer wie er profitieren von der Freizügigkeit von Menschen und Gütern. Und davon, dass der Beruf des Fernfahrers in Deutschland nicht mehr attraktiv ist. 2016 zum Beispiel wurden 16.211 Personen zum Berufskraftfahrer ausgebildet. Dabei scheiden allein in der Bundesrepublik jährlich rund 30 000 Lkw-Fahrer aus. So entsteht eine Bedarfslücke.

Fahrer aus Polen, Rumänien oder der Ukraine schließen die Lücke. Sie sind bereit, für ein geringeres Gehalt zu fahren. Die Misere auf den Rastplätzen ist also Made in Germany. Die Fahrer müssen am Wochenende ihr Gerät irgendwo abstellen. Auf Wanderparkplätzen werden sie ihren Lastzug nicht abstellen.

Diese beiden polnischen Fernfahrer haben sich zwischen Bierdosen und den Reifen ihrer Lastzüge eingerichtet.
Diese beiden polnischen Fernfahrer haben sich zwischen Bierdosen und den Reifen ihrer Lastzüge eingerichtet. | Bild: Fricker, Ulrich

Brummi ohne Kutscher

„Deutsche Trucker sterben aus“, sagt Fahrer Mike Schiffner, den „Bild“ gefragt hat. „Tage und Wochen weit weg von Frau und Kindern, ständiger Termindruck, ruppiger Umgang und alles für wenig Gehalt – das reizt die jungen Leute nicht mehr,“ wird Schiffner zitiert. Zustände, wie sie auf den großen Parkplätzen herrschen, sind nicht angenehm. Ein Wochenende kann man schöner als zwischen dampfendem Asphalt und alten Planen verbringen.

Not macht erfinderisch: Die frisch gewaschene Wäsche hängt einer der Fahrer über dem Mercedes-Stern auf.
Not macht erfinderisch: Die frisch gewaschene Wäsche hängt einer der Fahrer über dem Mercedes-Stern auf. | Bild: Fricker, Ulrich

Weniger Fahrer, mehr Fuhren. Die Wirtschaft boomt, und das heißt: Die Güter müssen irgendwie von Kiel nach Cordoba verschoben werden. Auch für die Binnenwirtschaft ist die Straße immer noch der begehrte Weg. Das Internet hat nicht nur das Bestellen erleichert, sondern den Konsum angekurbelt.

Auch hier müssen die Güter vom Lieferanten erst zum Kunden gelangen. „Es sind so viele Laster unterwegs, weil wir alle so viel im Internet bestellen. Wenn die Konjunktur brummt, brummt auch der Güterverkehr“, sagt Frank Huster, Hauptgeschäftsführer beim Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV).

Die Romantik ist dahin

Hier greift das eine ins andere: Immer weniger Deutsche klettern ins Führerhaus eines Lastzugs, auch wenn diese immer komfortabler zu fahren und zu bewohnen sind. Einst war diese Lenkarbeit einmal eine Art Traumberuf, inspiriert auch von den zahlreichen US-Filmen über Trucker mit dem Unterton von großer Freiheit, die sich auf endlosen und leeren Straßen entrollt. Der Charme ist weg.

Um die Lücken zu füllen, springen Fahrer aus Osteuropa ein. Sie fahren teils für polnische oder tschechische Firmen. Oft aber handelt es sich um Filialen, die von deutschen großen Speditionen im Osten gegründet werden. „Deutsche Firmen gründen in Osteuropa Ableger, um dort Fahrer zu rekrutieren, denen sie niedrigere Löhne bezahlen müssen“, sagt Horst Roitsch, Sprecher des Bundesamtes für Güterverkehr. Für die Eigentümer zahlt sich diese Personalpolitik offenbar aus. Ein Lenker aus Osteuropa soll, so berichten es Medien, 800 Euro Lohn im Monat erhalten. Sein deutscher Kollege erhält dafür mehr als 2000 Euro.

Die Straße liegt vor der Schiene

Überfüllte Parkplätze sind nur das letzte Glied in der Kette. Der Transport auf Rädern ist ein verschlungener Mechanismus.

  • Ruhezeiten: An Sonntagen gilt (bis 22 Uhr) dürfen Lastwagen generell nicht fahren. Der Sonntag ist damit vorgeschriebener Ruhetag. Die Fahrer sollen sich ausruhen; zugleich werden die Straßen an diesem Tag entlastet für Ausflügler und klassische Sonntagsfahrer. Außerdem wird der Lärmpegel gesenkt. An Samstagen gilt das Fahrverbort dagegen nur in der Ferienzeit.
  • Konkurrenz: Schwerverkehr mit osteuropäischen Kennzeichen nimmt einen immer höheren Anteil ein. Jedes dritte Fahrzeug, das auf deutschen Straßen unterwegs ist, stammt aus Osteuropa, Tendenz steigend. Den größten Anteil haben Lkw aus Polen (16 Prozent).
  • Familien: Wer bis zu zwei Monate unterwegs ist, sieht seine Familie nur selten. Die Europäische Kommission will dagegen vorgehen – auch um faire Bedingungen unter den Speditionen zu schaffen. Ein Punkt wäre, dass Fahrer spätestens nach drei Wochen ihr Wochenende in der Heimat verbringen müssten. Das würde das bisherige, für einige Spediteure extrem günstige Modell untergraben.
  • Immer mehr: 3 031 139 Lastkraftwagen verkehren auf deutschen Straßen (Stand 2018), berichtet das Kraftfahrzeugbundesamt. Tendenz steigend. Gründe dafür sind die gute Wirtschaftslage, die Exportquote und die Bestellungen über das Internet.
  • Und die Schiene? Der Güterverkehr auf der Schiene ist rückläufig. Die Beförderungsmenge sank beispielsweise im Jahr 2016 um 1,6 Prozent (361,3 Millionen Tonnen). (uli)