Weil Züge oder Ersatzbusse zu spät oder gar nicht kamen, hat Jeremy Stauch schon 20 Stunden Unterricht verpasst – und das allein im ersten halben Jahr seiner Ausbildung zum Heilerziehungspfleger bei der Caritas. Der Weg mit der Bahn von seinem Wohnort Engen zur Ausbildungsstelle bei der Caritas in Stockach und zur Berufsschule in Ravensburg bringt den 20-Jährigen derzeit fast jeden Tag zur Verzweiflung, wie er schildert. Hauptgrund ist gerade der Schienenersatzverkehr (SEV) auf seiner Strecke zwischen Engen und Radolfzell. Die Strecke zwischen Immendingen und Konstanz ist wegen Gleisbauarbeiten gesperrt – allerdings nur noch wenige Tage. Am Montag, 14. November, sollen die Arbeiten um 0.30 Uhr abgeschlossen sein.

Ersatzbus kommt nicht um 4.33 Uhr

Ein Beispiel: Am Donnerstag wollte er den SEV des Seehas-Zugs von Engen nach Radolfzell um 4.33 Uhr nehmen, damit er rechtzeitig beim Unterrichtsbeginn in Ravensburg in der Berufsschule ist. Laut Bahn-App sollte der Bus fahren, er sei aber nicht gekommen. Um 5.51 Uhr sei ein Bus dann schließlich eingefahren. Ein Mitreisender habe ihm erklärt, dass der Ersatzverkehr immer erst um diese Zeit abfahre. In der Folge kam Stauch zwei Schulstunden zu spät zum Unterricht, durfte nach vier Schulstunden wieder nach Hause und war dafür über sechs Stunden unterwegs.

Azubi war über sechs Stunden unterwegs

Für die Strecke von Engen nach Ravensburg und zurück brauche er normalerweise vier Stunden. Darauf habe er sich auch eingestellt und stehe deshalb früh auf. Aber nicht um einen halben Tag unterwegs zu sein und Unterricht zu verpassen. „Meine Lehrerin hat neulich gesagt, wenn das so weitergeht, muss ich von der Schule“, berichtet Stauch. Schulkameraden hätten jetzt angeboten, dass er, wenn wieder irgendwo gebaut werde, bei ihnen übernachten könne. Dann könne er einen Tag früher nach Ravensburg fahren und komme rechtzeitig zum Unterricht.

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Zwei Ersatzverkehre auf dem Weg zur Arbeit

Wenn es zusätzlich zum SEV auf der Strecke nach Radolfzell auch noch Probleme mit der Verbindung nach Stockach zur Arbeit gebe, dann ist für Stauch das Maß voll. Ende Oktober gab es wegen Bauarbeiten zwischen Stahringen und Stockach ebenfalls einen Schienenersatzverkehr, außerdem streikte Anfang November die Lokführergewerkschaft.

Es sei die Summe der Ausfälle, die den Vielfahrer ärgert und wie mit Kunden von Bus und Bahn umgegangen wird.

Die Busse des Schienenersatzverkehrs zwischen Immendingen und Konstanz fahren hinter dem Bahnhof in Singen vor der Maggi ab.
Die Busse des Schienenersatzverkehrs zwischen Immendingen und Konstanz fahren hinter dem Bahnhof in Singen vor der Maggi ab. | Bild: Weiß, Jacqueline

„Ich bin zunehmend frustriert und deprimiert, wenn ich mit Bus und Bahn unterwegs bin“, erklärt Stauch. Er unterhalte sich auf diesen Fahrten oft mit anderen Fahrgästen, denen es genauso gehe: „Und dann fragen sich alle, warum der Umwelt zuliebe keiner mit dem Zug und dem Bus fahren will.“ Ein Auto könne er sich als Auszubildender nicht leisten und er sei aus Klimaschutzgründen grundsätzlich auch dafür, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren.

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Die Monatskarte koste ihn wegen der Fahrten nach Ravensburg derzeit 172,80 Euro. Viel Geld dafür, dass er immer wieder zu spät komme, findet er. „Wenn das 49-Euro-Ticket kommt, würde ich mich natürlich freuen, aber das ändert ja nichts an der Situation“, erklärte Stauch.

Warum lassen sich Bauarbeiten nicht bündeln?

Auch ist er Meinung, dass die dauernden Streckensperrungen mit besserer Planung zu vermeiden seien. Die Strecke zwischen Engen und Singen sei schonmal gesperrt gewesen, als der Bahnhof in Mühlhausen erneuert wurde. Dann wieder wegen der Brückenerneuerungen in Engen und jetzt wieder wegen Gleisbauarbeiten. Er frage sich, warum man nicht alle Arbeiten bündeln und mit einer Sperrung erledigen könne.

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Zusätzlich ärgert er sich darüber, dass Informationen über Ausfälle und Ersatzverkehr fehlen. Stauch hofft nun, dass wenn viele Bahn- und Busfahrer auf die Probleme aufmerksam machen, sich etwas ändert.

Bahn überwacht SEV und versucht, zu bündeln

Aus Sicht der Deutschen Bahn funktioniert der Schienenersatzverkehr im Großen und Ganzen. „Wir schauen uns den Ersatzverkehr jeden Tag an und sind auch vor Ort und steuern nach, wenn etwas nicht läuft“, so eine Bahnsprecherin. Dass es Ausfälle zum Beispiel durch Krankmeldungen gebe, könne die Bahnsprecherin nicht ausschließen und möchte sich bei den Fahrgästen dafür entschuldigen. Fahrgäste könnten Mängel auch bei der Kundenstelle der Bahn melden.

Die Fahrpläne des Schienenersatzverkehrs an der Haltestelle vor der Maggi in Singen.
Die Fahrpläne des Schienenersatzverkehrs an der Haltestelle vor der Maggi in Singen. | Bild: Weiß, Jacqueline

Auch versuche die Bahn, Bauarbeiten zu bündeln, wann immer es möglich sei. Da die Arbeiten aber von unterschiedlichen Baufirmen ausgeführt würden, sei das terminlich nicht immer machbar. Auch könnten einige Arbeiten nicht gleichzeitig ausgeführt werden oder man schaffe nicht alles mit einer Sperrung. Auch sollten längerfristige Sperrungen vermieden werden.

Seehäsle fährt seit 11. November nach Plan

Beim Seehäsle nach Stockach laufe seit 11. November nach Ende des Streiks alles wieder nach Plan, erklärt Christoph Meichsner, Sprecher der Südwestdeutsche Landesverkehrs-GmbH (SWEG). Während des Streiks sei der Stundentakt mit Seehäsle und Busnotverkehr bedient worden. Zum Busnotverkehr hätten sie nur wenige Beschwerden erreicht, die sich eher auf mangelnde Kapazitäten bezogen, so Meichsner.

Aufgrund technischer Schwierigkeiten seien die Verbindungen während des Streiks leider nicht immer korrekt in den elektronischen Fahrplanauskünften angegeben, wofür die SWEG die Fahrgäste um Entschuldigung bitte.

Ab Montag kann Jeremy Stauch auch auf der Strecke zwischen Engen und Radolfzell wieder aufatmen: Dann sind die Gleisbauarbeiten abgeschlossen und alle Züge sollten wieder planmäßig fahren.