Ein Mädchen geht schon wieder nicht in die Schule. Ihre Eltern betonen wiederholt, dass ihre Tochter leiden würde, sie von den Mitschülern gehänselt werde und sich überfordert fühle. Ein weiteres Mädchen hat immer wieder Bauchschmerzen und lässt sich fast täglich nach der großen Pause von der Mutter abholen. Und ein Junge sieht man nur noch selten im Unterricht – dafür umso häufiger am Bahnhof. Mit diesen Beispielen wandte sich das Kultusministerium schon 2015 in einem Flyern an Schulleiter und Lehrer.
Doch Schulabsentismus, also das unentschuldigte Fehlen in der Schule, das mit Schwänzen beginnt und bis zur aktiven Vermeidung der Schule reicht, ist seit der Corona-Pandemie aktueller denn je. Das berichtete Siobhan O‘Connor jüngst im Gemeinderat.
Zahlen waren zuletzt wieder rückläufig
2017 übernahm Siobhan O‘Connor die Schulsozialarbeit in den beiden Schulen von Gaienhofen. Sie betreut 94 Schüler in der Grundschule und 198 Schüler in der Werkrealschule. In der jüngsten Sitzung des Gemeinderats stellte sie ihre Arbeit vor und betonte, dass Schulabsentismus seit der Corona-Pandemie stark zugenommen habe.
Ohne ein Einwirken hätten betroffene Schüler keine Chancen auf einen Abschluss, auf eine Arbeit oder auf eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Täglich werden die Anwesenheitslisten in den Schulen überprüft. Fehle ein Schüler oder eine Schülerin so begibt O‘Connor sich sofort auf die Suche. Mittlerweile habe sie einen gut funktionierenden Prozess entwickelt: In den vergangenen Monaten seien die Zahlen beim Schulabsentismus wieder rückgängig. Dennoch bleibe es ein wichtiges Thema für die Schulen in Gaienhofen.
Fehlende Ressourcen für Krisenintervention
Und nicht nur dieses Problem beschäftigt die Schulsozialarbeiterin: Siobhan O‘Connor berichtete auch über eine Krisenintervention bei einem Verdacht auf einen möglichen Suizid. Nach zwei Tagen habe die Klinik die betroffene Schülerin wieder nach Hause geschickt – weil sie keinen Platz für sie hätten. O‘Conner arbeitet seit über einem halben Jahr täglich mit der Schülerin. Sie kritisierte das Fehlen notwendiger Ressourcen für die Krisenintervention in Kliniken.
Mit „emotionaler Turbulenz“ beschreibt die Psychologin außerdem die Gemütsverfassung der Schüler von Flüchtlingsfamilien. Sie seien neu in der Schule, beherrschten die Sprache nicht und hätten am Anfang ihrer Schulzeit einen großen Frust. Tägliche Schulsozialarbeit sei hier ein wichtiges Investment für die Gesellschaft – bis die Schüler Freunde und später eine gute Nachbarschaft und auch eine gute Arbeit finden würden.
Unterstützung durch mehrere Partner
Siobhan O‘Connor hat für ihre Arbeit in den Schulen viele Partner: Sie wird von der Gemeinde, dem Schulverein, dem Jugendamt, der Jugendhilfe, von der Luisenkliniken, der Polizei und auch von den Beratungsstellen und den lokalen Firmen unterstützt. Jede Woche werde in den Schulklassen der Teamgeist geweckt, berichtet O‘Conner: Dort werde auch die Sozialkompetenz überprüft und deren Fundament geschaffen. Gemeinsam mit der Polizei bietet sie in der Werkrealschule Schutzprogramme für Gewalt, soziale Medien und Drogen an.
Der Rektor beider Schulen, Marc Bosch, zeigt sich auf die Schulsozialarbeit sehr angewiesen. O‘Connor leiste eine engagierte Arbeit, die das Schulkollegium so nicht leisten könnte. Neben der Suizidprävention werden von der Schulsozialarbeiterin auch Fälle von Mobbing ermittelt. Bosch gab hier dem Rat Beispiele für Beschimpfungen und Beleidigungen aus der untersten Schublade. Aber die Schulsozialarbeit geht noch weiter: O‘Connor begleitet Schüler beim Verlust von Familienangehörigen und vermittelt auch Langzeitpraktika bei Schülern in schweren Lebenslagen. Ein betroffener Schüler hat mittlerweile eine Lehrstelle.
Das sagen die Gemeinderäte
Ingo Bucher-Beholz (UBL) suchte nach dem Kern der veränderten Zustände. Während der Pandemie mit ihren Ausgangsbeschränkungen hätten die sozialen Medien einen sehr hohen Einfluss auf die Schüler gehabt, erklärte O‘Connor. Auch die Eltern hätten Einfluss verloren. Die Erziehung der Kinder werde zudem von den Eltern auf die Schule verlagert, ermittelte Rektor Marc Bosch.
Mechthild Biechele (CDU) zeigte sich „erschüttert“ über den Bericht und sieht eine „sehr brennende Problematik“. Die Rätin beobachtet eine zeitintensive und vielschichtige Schulsozialarbeit. Mit vielen Gemeinderäten kündigte sie ihre Unterstützung für eine weitere halbe Stelle für die Schulsozialarbeit an. Bürgermeister Jürgen Maas wolle nicht müde werden, sich für eine Finanzierung einzusetzen. Es sei ein Skandal, dass die Gemeinden nur für ein Jahr eine Finanzierungssicherheit bekomme.
Der Bericht im Gemeinderat erforderte keinen Beschluss, er sollte die Räte über die Schulsozialarbeit informieren. Später soll noch über die Befristung, die Aufstockung, die Personaldecke und Haushaltsplanung diskutiert werden, kündigte Maas an. „Ich glaube, dass wir gar nicht lange nachdenken brauchen“, war sich Karl Amann (UBL) sicher: Denn die Kinder und die Jugend sei das Wichtigste, was die Gesellschaft habe. Wenn diese nicht integriert werden, „so bekommen wir eine brutale Gesellschaft“, sagt Amann.