Nein, jammern möchte Rosemarie Bernadotte nicht. Auf gar keinen Fall. „Anderen geht es viel schlimmer als uns“, sagt die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern. Sie nippt an ihrem Kaffee, während Max mit einem Glas Wasser in seinem Zimmer verschwindet. „Ich habe gleich Mathematik-Unterricht“, sagt der Elfjährige.

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Max im Homeschooling. Laut seiner Mutter ist er dabei sehr konsequent und diszipliniert.
Max im Homeschooling. Laut seiner Mutter ist er dabei sehr konsequent und diszipliniert. | Bild: Schuler, Andreas

Nele schaut auf ihr Handy, sie hat Kontakt mit Freundinnen. „Klar vermisse ich unser normales Leben“, sagt die Vierzehnjährige. „Irgendwann wird das hier echt langweilig.“ Das hier. Das Leben in der Wohnung. Mit seltenen Ausflügen nach draußen.

„Der Spuk hat hoffentlich bald ein Ende“, ergänzt Rosemarie Bernadotte. „Uns fällt wie allen anderen die Decke auf den Kopf. Aber ich darf arbeiten, wir sind alle gesund. Das ist das Wichtigste.“

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Die drei auf dem Wohnzimmersofa. Bevor es abends ins Bett geht, schauen sie hier noch eine Folge der Familienserie Gilmore Girls.
Die drei auf dem Wohnzimmersofa. Bevor es abends ins Bett geht, schauen sie hier noch eine Folge der Familienserie Gilmore Girls. | Bild: Schuler, Andreas

Spätestens um 20.30 Uhr ist die Mama daheim. Wenn sie Frühschicht hat, sogar schon um 14.30 Uhr. „Wir versuchen dann, gemeinsame Zeit zu verbringen“, sagt sie.

Abends ist Kuschelzeit im Hause Bernadotte. Auf Netflix schauen sie eine Folge der Wohlfühlserie Gilmore Girls, danach geht es ins Bett. „Wir haben unsere Matratzen in einem Zimmer nebeneinander auf den Boden gelegt. Dann blödeln wir herum und reden, bis wir einschlafen.“

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„Wir sind nicht die einzigen, die zu kämpfen haben“

Diese Zeit sei immens wichtig für den Zusammenhalt, betont Rosemarie Bernadotte. „Es geht ja nur zusammen. Wir sind ein echtes Dream-Team.“ Und wenn die Stimmung mal im Keller ist, erinnern sich die drei daran, dass sie nicht die einzigen sind, die zu kämpfen haben.

„Jeder muss sich einschränken“, sagt sie dann zu ihren Kindern. „Und damit sorgen wir dafür, dass diese blöde Zeit hoffentlich bald zu Ende ist.“

Wenn es möglich ist, trifft sich der Familienrat am Esstisch und bespricht den Tag. „Die Kinder fragen mich dann viel Dinge und ...
Wenn es möglich ist, trifft sich der Familienrat am Esstisch und bespricht den Tag. „Die Kinder fragen mich dann viel Dinge und ich versuche, Antworten zu geben“, Rosemarie Bernadotte. | Bild: Schuler, Andreas

Die 48-Jährige arbeitet an der Rezeption der Pflegeeinrichtung und Seniorenwohnanlage Rosenau und ist somit systemrelevant. Jeden Tag begegnet Rosemarie Bernadotte dort Vertretern der Corona-Hochrisikogruppe. „Die Menschen sind so unglaublich lieb und freundlich“, sagt sie. „Sowohl die Bewohner als auch die Mitarbeiter. Dass ich dort arbeiten darf, ist mein persönlicher Sechser im Lotto.“

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Sie versuche, von der Einstellung der Senioren und deren gelassener Sicht auf Gott und die Welt zu lernen. „Die stehen voll im Leben und wissen, wovon sie reden.“ Zuvor war Rosemarie Bernadotte jahrzehntelang in der Gastronomie beschäftigt.

„Ich dachte, es gibt nichts anderes für mich.“ Bis sie sich in der Rosenau bewarb und genommen wurde. „Die Arbeitszeiten sind angenehm und beim Einsatzplan werden die Wünsche der Mitarbeiter berücksichtigt. Da kann auch mal kurzfristig umgeplant werden.“

Nele lernt am Nachmittag in Onlinegruppen mit ihren Schulfreundinnen, die sie sehr vermisst.
Nele lernt am Nachmittag in Onlinegruppen mit ihren Schulfreundinnen, die sie sehr vermisst. | Bild: Schuler, Andreas

„Mein Trainer ist der beste Trainer der Welt“

Und doch leidet auch die kleine Familie unter der aktuellen Situation. „Auf Dauer kann es nicht gut sein, wenn man keinerlei soziale Kontakte hat“, befürchtet die Mutter. „Wenn man nur übers Handy oder übers Tablet seine Freunde sieht.“

Vor allem Max vermisst das normale Leben. Er spielt beim SC Konstanz-Wollmatingen Fußball – nun schon seit mehreren Monaten nicht mehr. Keine Spiele, kein Training, kein Miteinander mit den Kameraden.

„Das fehlt mir“, gibt Max im Flüsterton zu und blickt verlegen zu Boden. „Ich liebe Fußball und Mica Gaifem ist der beste Trainer der Welt. Ich vermisse ihn sehr.“ Zu Beginn des Lockdowns ging er noch öfter raus und betätigte sich sportlich. „Irgendwann hat die Motivation nachgelassen und dann ist man in seinem Trott.“

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Schulisch läuft es nach Angaben der Mutter einigermaßen gut. „Max ist sehr konsequent und diszipliniert mit dem Homeschooling, das funktioniert sogar besser, wenn ich nicht dabei bin. Ich bin sehr stolz auf ihn.“

Da die Mutter arbeiten muss, ist Max weitgehend auf sich alleine gestellt beim Lernen und Erledigen der Hausaufgaben. „Nele unterstützt ihn, sie übernimmt ein wenig die Mama-Rolle. Ich habe dabei ein sehr schlechtes Gewissen“, sagt Rosemarie Bernadotte. Doch die Vierzehnjährige kocht oder backt gerne für die Familie. „Das macht mir echt Spaß“, betont Nele.

Rosemarie Bernadotte neben einem Bild ihres Großvaters Lennart Graf von Wisborg, der 2004 starb.
Rosemarie Bernadotte neben einem Bild ihres Großvaters Lennart Graf von Wisborg, der 2004 starb. | Bild: Schuler, Andreas

Rosemarie Bernadotte ist die Tochter von Annegret Thomssen und Jan Bernadotte Graf von Wisborg. Zur gräflichen Familie von der Insel Mainau hat sie jedoch schon sehr lange keinen Kontakt mehr.

Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 starb ihre Mutter. „Da kam dann alles auf einmal. Ich hatte noch gar keine Zeit, das richtig zu verarbeiten“, sagt sie. „Ich habe damals nur funktioniert und die Kindern bei ihrer Trauer unterstützt.“

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Zum Vater ihrer eigenen Kinder, der in der Schweiz lebt, hat sie ein gutes Verhältnis. Am Wochenende sind Nele und Max bei ihm. „Dann kann ich auch mal etwas durchschnaufen, wenn ich nicht bei der Arbeit bin.“ Am Sonntagabend erzählen die drei sich dann gegenseitig von ihren Erlebnissen am Wochenende – im Matratzenlager, bei der Kuschelzeit im Hause Bernadotte.