Vor dem Grundstück Renkenweg 3 versammeln sich einige Nachbarn, sie sind aufgebracht. Noch steht dort ein altes Einfamilienhaus, umringt von viel Grün und hohen Bäumen. Doch dort soll ein großes Mehrfamiliengebäude mit elf Wohnungen plus Praxis und Tiefgarage gebaut werden.
In einem Brief an Oberbürgermeister Uli Burchardt formulieren die Anwohner: „Auf dem Grundstück steht ein Bauprojekt an, das in seinen raumgreifenden Dimensionen und in seiner Rücksichtslosigkeit gegenüber Natur, Umwelt und den Gegebenheiten der Nachbarschaft bei Weitem alles übersteigt, was wir uns hätten vorstellen können.“

Die Nachbarn bezeichnen das geplante Gebäude als „aggressive Konfrontation gegen die Gebietsprägung“. Da in diesem Gebiet kein Bebauungsplan existiert, gilt – wie so oft in Konstanz – Paragraf 34.
Das heißt, der Neubau muss sich „nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen“. Das sei an dieser Stelle nicht der Fall, monieren einige Anwohner.
„Zu hoch, zu wenig Grün, zu wenige Parkplätze“
Erstens werde der geplante Neubau höher als die Gebäude der Nachbarschaft, zweitens schade die Bebauung von knapp 60 Prozent des Grundstücks der Natur und drittens ärgern sich die Bürger darüber, dass der Bauherr bereits zwei große Bäume fällen ließ und weitere folgen sollen.
So sagt der direkte Nachbar Friedemann Taut: „Der Bauherr wird seine Wohnungen sicher mit dem Hinweis auf das grüne Umfeld im Renkenweg vermarkten, ohne selbst dazu beizutragen. Dieser Egoismus spaltet die Stadtgesellschaft.“

Wo sollen die Autos parken?
Eine weitere Sorge betrifft die Parksituation. Der Bauherr plant acht Stellplätze für seine elf Wohnungen plus Praxis – aus Sicht der Anwohner viel zu wenig. „Wir haben jetzt schon im Winter so starken Parksuchverkehr wie sonst im Sommer“, sagt Ulrike Gass. „Wenn später nicht mal für jede Wohnung ein Stellplatz zur Verfügung steht, wird das noch viel schlimmer.“
Elisabeth und Matthias Fuchs aus dem nahen Aeschenweg teilen die Befürchtung: „Diese gefährliche Verkehrszunahme stellt besonders ein Risiko für ältere Menschen und Kinder dar.“ Friedemann Taut formuliert es noch pointierter: „Kein Stuttgarter, der sich so eine teure Zweitwohnung zulegt, wird mit dem Fahrrad oder der Bahn kommen, denn die fährt meist gar nicht. Niemand weiß, wie der Renkenweg die zusätzlichen Autos aufnehmen soll.“

Insgesamt zeichne sich das Bild eines „profitmaximierenden Immobilienentwicklers ohne Skrupel, der sämtliche Grenzen austestet“, meinen die Anwohner. Einige von ihnen schlossen sich zusammen, um Unterschriften gegen das Bauvorhaben zu sammeln. Über 170 Personen hätten unterzeichnet, sagen sie.
Sie hofften, mit ihrem Protest eine Abspeckung der Pläne bewirken zu können. Doch die Verwaltung entschied anders. Die Anwohner erfuhren durch den SÜDKURIER, dass die Stadt Konstanz den Bauantrag am 2. Januar 2024 genehmigte.

„Das geplante Vorhaben entspricht dem aus der vorhandenen Bebauung im Bereich des Renkenwegs hervorgehenden Rahmen“, begründet die Verwaltung. „Auf die Erteilung der beantragten Baugenehmigung bestand damit ein Rechtsanspruch. Der Gesetzgeber sieht hier keinen Ermessensspielraum vor.“
Außerdem habe der Bauherr nach der Sitzung des Gestaltungsbeirats am 27. September 2023 noch einige Änderungen vorgenommen, die das Expertengremium angeregt hatte. Unter anderem wurde das Dachgeschoss laut Pressestelle so zurückgenommen, „dass es nicht mehr als mutmaßliche Aufstockung in Erscheinung tritt“. Weitere Änderungen wurden zugunsten einer ruhigeren Optik vorgenommen, die Tiefgaragenzufahrt wurde verlegt.

Bauherr sieht sich im Recht
Dies bestätigt Architekt Levent Kurtulus aus Hagnau, der das Projekt als Bauherr umsetzt. In das Haus werden unter anderem sein Sohn und dessen Frau einziehen, die beiden sind Physiotherapeuten und werden die geplante Praxis betreiben.
„Schon aus diesem Grund möchte ich nicht, dass das Haus hässlich wird“, sagt Kurtulus dem SÜDKURIER. „Ich merke schon lange, dass die Anwohner nicht gut auf mich zu sprechen sind, aber ich habe mich an alle Regeln gehalten.“ Die verbliebenen großen Bäume seien krank, er habe eine Fällgenehmigung vom Amt für Stadtplanung und Umwelt. „Ich werde natürlich Ersatzpflanzungen vornehmen“, so der 70-Jährige.

Zur Parksituation merkt der Architekt an, er werde zusätzlich zu den acht Parkplätzen ein Carsharing-Auto zur Verfügung stellen, das alle Hausbewohner nutzen können. Von seinen Plänen möchte er nicht mehr abrücken: „Ich habe über ein Jahr dafür gearbeitet, sie umsetzen zu können.“
Die Nachbarn sind enttäuscht. Danuta Hetmanski, die seit 13 Jahren im Quartier lebt, sieht in diesem Projekt „ein Beispiel dafür, dass sich in Konstanz jeder Bauherr nochmal fünf Prozent mehr nimmt“. Der Nächste orientiere sich daran und schlage nochmal fünf Prozent drauf. Dieses Ausreizen der Möglichkeiten dürfe nicht die Regel werden, so Hetmanski.
Dennoch wissen die Anrainer durchaus um die Wohnungsnot in Konstanz. Marieluise Sefrin, die mit ihrem Mann Rainer Sefrin im Renkenweg 5 wohnt, sieht es so: „Natürlich brauchen wir Tausende neue Wohnungen in Konstanz, aber es muss maßvoll nachverdichtet werden.“ Durch den Neubau werde ihr Haus „massiv verschattet“, so die 75-Jährige.
Sie ergänzt: „Ich weiß, dass niemand das Recht hat, an der Sonne zu wohnen. Und wir wussten auch, dass nebenan irgendwann gebaut würde. Wir sind nicht generell gegen das Haus, aber gegen diese Art des Baus.“

Anwohner drohen mit Klage
Wie geht es nun weiter? Die Anwohner hatten in einem Brief an das Baurechtsamt im Dezember 2023 Gegenwehr angekündigt: „Im Falle der Genehmigung der vorliegenden Pläne muss das Baurechtsamt fest mit einer Klage der Anrainer rechnen.“
Falls es so kommt, sieht Levent Kurtulus es gelassen: „Ich habe mich an die Landesbauordnung gehalten, es ist alles rechtens.“ Nun werde er die benötigten Gewerke suchen, noch in diesem Jahr könnten die Bagger anrollen, sagt er. Dann ergänzt Kurtulus: „Immerhin errichten wir in diesen Zeiten, in denen Bauen so teuer ist, überhaupt Wohnungen. Da sollten alle froh sein.“