Eine solche Reaktion auf die Ankündigung ihrer Lesung hatten Dietrich Krauß und Matthias Meisner – beide gestandene, erfahrene Journalisten – nicht erwartet, zumindest nicht in Konstanz. Freidenken Konstanz hatte, als Mitglieder der Gruppierung von der Lesung zu dem Buch „Fehlender Mindestabstand – Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratiefeinde“ erfahren hatten, auf dem Messengerdienst Telegram zur Mobilmachung aufgerufen.
Die Gruppierung hatte wohl im Sinn, dass möglichst viele aus der Querdenker-Szene zu der Veranstaltung in die Spiegelhalle kommen würden. Die treibenden Kräfte monierten im Vorfeld, sie fühlten sich ausgeschlossen, weil bei der Veranstaltung FFP2-Maskenpflicht gilt, und wähnten, sie sollten bewusst ausgeschlossen werden.
Die beiden Autoren waren im Vorfeld gespannt, welche Auswirkung die Mobilmachung über die sozialen Netzwerke von Freidenken Konstanz haben würde. Doch was hat die verbreitete Aufforderung der Querdenker gebracht? Es zeigt sich am Dienstagabend: Nichts. Vor der Spiegelhalle herrscht Ruhe. Keine Demo, keine Störung während der Lesung.
Öffentlicher Aufruf ist Premiere
Dabei hatte sich im Vorfeld anderes angebahnt. „In der Form, dass offen aufgerufen wird, das ist Premiere“, meint Matthias Meisner, Co-Autor des Buches, zwei Stunden vor der Lesung gegenüber dem SÜDKURIER. Seit einem Jahr ist das Buch auf dem Markt. Lesungen gab es schon viele, aber eine solche Mobilmachung, das sei doch etwas Neues. „In Sachsen hätte ich eher damit gerechnet“, so Meisner. Aber in Konstanz? Am Vortag hatten die beiden Autoren in Stuttgart eine Lesung gehalten, erzählt Meisner und berichtet: „Es gab nur ein Gemurre von jemandem.“
Allerdings hat Matthias Meisner nicht nur seine eigenen Veranstaltungen, sondern die Querdenker-Szene insgesamt im Blick. Vor zwei Wochen habe Politikwissenschaftler Stefan Goertz in Freiburg über „Rechtsextremismus, Rechtsterrorismus und Querdenker – aktuelle Bedrohungen für die Innere Sicherheit“ referiert. „Querdenker haben die Veranstaltung gesprengt“, erzählt Matthias Meisner. „Sie kamen mit Masken-Attesten und der halbe Saal war mit Menschen ohne Masken besetzt.“
Noch immer eine Bedrohung der Demokratie
Meisner hatte Freidenken Konstanz auf deren Telegram-Kanal geantwortet. „Ein eigenartiger Kanal, der jetzt geschlossen gestellt wurde“, sinniert er, zückt sein Smartphone und zeigt das Display, wo zu lesen ist: „Sorry this group is private“. Sorgen, dass die Lesung, die in der Konstanzer Spiegelhalle stattfindet, gesprengt werden könnte, macht er sich ebenso wenig wie Mit-Autor Dietrich Krauß. Beide haben sich bewusst mit der Thematik Querdenker, einer „eigenartigen Melange unterschiedlichster Menschen“, befasst und sind sich einig: „Die Bedrohung der Demokratie ist nicht vorbei.“ Wenn Corona nicht mehr zur Debatte stünde, würden sich diese Menschen neuen Themen zuwenden. Meisner nennt den Ukrainekrieg und Klimawandel als Beispiele.
„Meine These: Die Politik hat das Thema nicht richtig ernst genommen und nicht gewagt, sich offensiv mit dem Phänomen auseinanderzusetzen“, so Meisner, der eine Radikalisierung ausmachen kann. In dem Buch „Kein Mindestabstand“ widmen sich verschiedene Autoren aus unterschiedlichen Perspektiven dem erstaunlichen Querdenker-Phänomen; einer „verrückten Mischung“, wie Dietrich Krauß sagt, die von Rechtsextremen, bürgerlicher Mittelschicht, Grünen bis hin zu Anthroposophen reiche; über letztgenannte Gruppe hat Dietrich Krauß explizit recherchiert und kommt zu dem Schluss, dass es sich bei den Anthroposophen, begründet von Rudolf Steiner, eigentlich um „eine bürgerliche Sekte“ handle.
Die „unterschiedlichen Facetten der Revolution 2.0“ hatten sie in dem Buch herausarbeiten wollen, so Meisner, ebenso wie die drei Hauptgruppen, welche die Querdenker explizit ins Zielvisier nehmen: Politiker, Wissenschaftler und Medienschaffende. Mit dem Buch wollen sie darauf hinweisen, dass Staat und Gesellschaft aufmerksam sein sollten, denn in der Querdenkerszene gehe es zwischenzeitlich um Umsturzpläne.