Ist das nicht Charly Watts? Seit Donnerstag prägt die Porträtaufnahme eines älteren Mannes den Gottmann-Platz im Konstanzer Ortsteil Petershausen und eine gewisse Ähnlichkeit mit dem am Dienstag gestorbenen Schlagzeuger der Rolling Stones lässt auf eine spontane Aktion von Fans schließen. Doch so ist es nicht. „Wenn dem so wäre“, sagt Bert Binnig von der Werbeagentur Homebase, „dann hätten wir echt sehr flott sein müssen.“ Für die Aktion an der Hausfassade des abrissreifen Gebäudes im Konstanzer Stadtteil Petershausen sei eine mehrwöchige Vorbereitung notwendig gewesen. Bezüge zu Charly Watts, dessen Tod und das Medien-Echo gebe es nicht.

Roland Germar und Bert Binnig (von links) bringen eine Foto-Reproduktion am Gebäude an, das demnächst abgerissen werden soll. Die ...
Roland Germar und Bert Binnig (von links) bringen eine Foto-Reproduktion am Gebäude an, das demnächst abgerissen werden soll. Die Abbildung dokumentiert, wie es früher am Gottmann-Platz aussieht. | Bild: Lucht, Torsten

Die Aufmerksamkeit ist den Initiatoren aber auch ohne Anleihe auf die Rockband sicher. Noch während Bert Binnig erklärt, dass es sich beim Schwarz-Weiß-Konterfei um eine Foto-Druck handelt, das sich wegen der Struktur der Fassade recht gut habe aufbringen lassen, gibt‘s einen ersten Kommentar. „Wieso nur macht man ein so schönes Bild auf ein solch schäbiges Haus“, fragt schmunzelnd Regina Pfeiffer, die gerade das Eckgebäude am Gottmann-Platz mit ihrem Hund Bobby passiert. Womit ein wesentlicher Zweck der Aktion auch schon erreicht ist: Die Leute sollen ins Gespräch kommen.

Würdigung der Leistung des Personals am Vincentius-Krankenhaus. Das Gebäude wurde inzwischen abgerissen.
Würdigung der Leistung des Personals am Vincentius-Krankenhaus. Das Gebäude wurde inzwischen abgerissen. | Bild: HomeBase

Es geht den Machern außerdem darum, einem als reizlos wahrgenommenen Zweckbau vor seinem Verschwinden ein Gesicht zu geben. Mal abgesehen davon, dass dazu allein das Format beiträgt, passt das Konterfei eines Seniors zum alten Haus, ebenso wie die Wiedergabe in Schwarz-Weiß und die Mimik. Der übers Eck gefaltete Mann, der nicht Charly Watts ist, schaut verschmitzt und traurig zugleich, er drückt wie in Erwartung von Schlafes Bruder ein Auge zu, während das andere voll lebensfroher Neugier auf das zu blicken scheint, was da in Zukunft noch kommen mag. Aber auch wer anderes in diesem Porträt sehen möchte – am Gottmann-Platz kommt man vorerst nicht gedankenverloren vorbei.

Die Aktion am Gottmann-Platz tut der Kommunikation gut: Regina Pfeiffer (mit Hund Bobby) kommt mit dem Werbefachmann Bert Binnig und dem ...
Die Aktion am Gottmann-Platz tut der Kommunikation gut: Regina Pfeiffer (mit Hund Bobby) kommt mit dem Werbefachmann Bert Binnig und dem Werbetechniker Roland Germar (von links) ins Gespräch. | Bild: Lucht, Torsten

Zumindest bis Mitte November, vermutlich noch ein paar Wochen länger, wird das so bleiben. Solange dauert es laut Architekt Marius Topp üblicherweise, bis das Prozedere für den Abriss für den bereits genehmigten Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses abgeschlossen ist. Neben Bert Binnig und dem Architekten sowie der Bauherrengemeinschaft fand auch das Kulturamt Gefallen an der Idee, während dieser Übergangszeit das Altgebäude für die Fotodruckkunst zu nutzen. Der Stadt war dies laut Bert Binnig sogar einen Zuschuss wert.

Ausbaldowert wurde das Ganze nach weiteren Angaben des Mannes von der Werbeagentur mit Sitz im Neuwerk an einer Bar, wobei es bereits ein paar Vorläufer gibt. Am inzwischen abgerissenen Vincentius-Krankenhaus entschieden sich die Werbemacher für die Würdigung der Leistung des Personals und brachten ein Foto von zwei Nonnen an der Fassade an, vom Zoffingen-Gebäude am Pulverturm grüßt ein Alt-Hippie von der Wand. Letzterer sieht übrigens dem Mann am Gottmannplatz nicht unähnlich (und ist ganz gewiss auch nicht Charly Watts).

Vorreiter der Aktion am Gottmann-Platz: Dieser Alt-Hippie grüßt von der Hauswand des Zoffingen-Gebäudes.
Vorreiter der Aktion am Gottmann-Platz: Dieser Alt-Hippie grüßt von der Hauswand des Zoffingen-Gebäudes. | Bild: HomeBase

Als Begleittext zum Konterfei übrigens sind an den Parterre-Fenstern des Gebäudes am Gottmann-Platz die Kopien historischer Aufnahmen vom früheren Aussehen des Gebäudes sowie Visualisierungen des künftigen Eckhauses aufgeklebt worden. Für Bert Binnig korrespondiert dies zum doppelsinnigen Ausdruck des Gesichts an der Hauswand: Er verabschiedet das Alte mit leichter Trauer und begrüßt das Neue mit verhaltener Freude. Dazwischen steht für den Werbefachmann eine Kunst, die aufs Museale verzichtet und gerade durch ihr Zugeständnis von Vergänglichkeit zur Bereicherung des Alltags beiträgt.

Von gestern: Dieses Bild bietet sich einstmals am Gottmann-Platz.
Von gestern: Dieses Bild bietet sich einstmals am Gottmann-Platz. | Bild: Lucht, Torsten

Bleibt die Frage, wer denn nun der Mann auf dem Riesenposter ist. Diejenigen, die es wissen, wollen es nicht verraten – und rücken nur eben so viel raus, dass es sich um einen Konstanzer handelt, der auch nicht ganz unbekannt ist. Gut möglich aber, dass der ältere Herr sich selbst zu erkennen gibt: Zum Beispiel bei der Vernissage, die die Macher der Aktion am Gottmann-Platz planen.