„Schauen Sie!“ Patric Gibey zeigt auf ein Eichhörnchen, das auf dem satt-grünen Rasen hinter seinem Haus zwischen Obstbäumen springt. Das Tier kommt wie gerufen. Zusammen mit anderen Hausbesitzern an der Dettinger Straße hat der 53-Jährige erklärt, dass dieses Fleckchen Erde sein Ein und Alles ist.

Ein Paradies, in dem Reh, Fuchs und Igel zuhause sind. Mit verschiedenen, teils seltenen Obstbäumen wie der Apfel Schafsnase. Nicht zuletzt aber stufen die Eigentümer die im Mittel zwischen 1500 und 2000 Quadratmeter großen Grundstücke am Rande von Wollmatingen als eine Art grüne Lunge für die kleinklimatischen Verhältnisse in Konstanz ein.

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Patric Gibey und seine Nachbarn Hildegard und Michael Schäffner sowie Claudia Degen befürchten, dass die Tage ihres Paradieses gezählt sind. Ihre Grundstücke liegen im Bereich des Hafner/Nord-Geländes, das in der Stadtentwicklung als ein neuer Stadtteil vorgesehen ist. 105 Hektar groß ist das Gebiet, von denen sich etwa die Hälfte bereits im Besitz der Stadt befindet.

Im Rathaus geht man davon aus, dass die meisten Besitzer der anderen Flächen verkaufsbereit sind oder sich über Baumodelle einbringen. Über die restlichen rund 14,1 Hektar will man auf dem Verhandlungsweg und in Gesprächen eine Einigung herbeiführen. Wenn das nicht gelingen sollte, ziehen Stadtverwaltung und Gemeinderat als letztes Mittel die Enteignung in Betracht.

Bild 1: „Das Plätzle verteidige ich!“ Weshalb einige Konstanzer nicht dazu bereit sind, ihr grünes Paradies zugunsten des Hafners aufzugeben
Bild: Lucht, Torsten

Das Paradies an der Dettinger Straße erscheint im Vergleich zur Gesamtfläche winzig, zusammen genommen machen die Gärten vielleicht ein Hundertstel aus. Genug Platz also für die Stadtentwicklung, gegen die die vier Anwohner prinzipiell nichts einzuwenden haben.

Aber warum, so fragen sie, kann man die Gärten nicht aus der Planung heraushalten? Und wenn man sie unbedingt mit einbinden müsse, ließen sich dann nicht zumindest die Prioritäten anders setzen? Im Hafner gebe es reichlich öde Äcker, warum also muss das Eichhörnchen seinen Kobel und der Grünspecht seine Baumhöhle aufgeben?

„Das Plätzle verteidige ich!“

So ganz einig ist sich das Quartett allerdings nicht. Michael Schäffners Mutter Hildegard übernimmt dabei die Rolle der resoluten Widerstandskämpferin, die zu keinem Kompromiss bereit ist. Ums Geld geht‘s ihr nicht, sie braucht die Luft, den Boden, ihre Bäume. Ein paar Quadratmeter nur sind es, aber für sie sind sie Heimat.

Kein Baum befinde sich auf dem Gelände, der nicht selbst gepflanzt worden ist, verwachsen sei sie mit diesem Fleckchen, das ebenso liebevoll wie mühsam kultiviert wurde, während ein paar hundert Meter weiter bloße Bodenkrume ihrethalben für die Stadtentwicklung herhalten soll. „Das Plätzle“, sagt Hildegard Schäffner, „verteidige ich!“ Sohn Michael sekundiert, wobei er die gesellschaftliche Bedeutung des Gartenerhalts mit einem Zitat des Umwelt- und Naturschutzverbands BUND untermauert: „Jeder Ast zählt!“

Hildegard Schäffner hat zu jedem Baum eine persönliche Beziehung. Besonders stolz ist sie auf ihren Schafsnasen-Apfelbaum.
Hildegard Schäffner hat zu jedem Baum eine persönliche Beziehung. Besonders stolz ist sie auf ihren Schafsnasen-Apfelbaum. | Bild: Lucht, Torsten

Das eindringliche Plädoyer zeigt seine Wirkung bei Patric Gibey. „Sehr gut gesagt“, kommentiert er die Rede der Nachbarin und ergänzt, dass er seinen Garten nicht für eine Million Euro hergeben wird. Dem Großvater schon war der Flecken heilig, dem Vater auch, und die Kinder sollen und wollen dieses Stückchen Erde ganz in diesem Sinne weiter hegen und pflegen.

Eine Sorge allerdings muss Patric Gibey gewiss nicht haben: Ein Eine-Million-Euro-Angebot wird es nicht geben, was aus einem Papier hervorgeht, dass Michael Schäffner parat hat. Der Kaufpreis pro Quadratmeter ist demnach fürs Ackerland auf einen Betrag von 15 Euro festgelegt.

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Und was ist mit der Alternative einer eigenen Bauherrschaft? Das Quartett zweifelt und beruft sich dabei auf Erfahrungen. Laut Claudia Degen hat ihre Mutter zum Beispiel vor 20 Jahren einen kleinen Bungalow auf dem Gelände bauen wollen, aber das sei abgelehnt worden.

Und die jetzigen Chancen zur Baubeteiligung im Rahmen der Hafner-Entwicklung? Patric Gibey winkt ab. Die dadurch zu tragenden Erschließungskosten seien mehr als eine Nummer zu groß für die Familie, und außerdem müsse dann streng nach den Vorgaben der Planung gebaut werden. Für ihn und seine Familie gibt es somit nicht wirklich die Möglichkeit, sich aktiv in die Stadtentwicklung einzubringen.

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Sie wollen es deshalb auf eine harte Auseinandersetzung mit der Stadtverwaltung ankommen lassen, scheuen prinzipiell nicht vor einem juristischen Enteignungsstreit zurück. Aber ähnlich wie dem Gemeinderat ist dem Quartett bei diesem Schritt offensichtlich nicht wohl. Die Tür zu einem Kompromiss wollen die vier Gartenbesitzer zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls noch nicht zuschlagen, sie hoffen auf eine Aussprache.

Patric Gibey sagt, dass er eine Foto-Dokumentation samt Beschreibungen an Oberbürgermeister Uli Burchardt geschickt hat. Die Aussprache sollte dann allerdings verständlich ausfallen, und nicht so, wie Michael Schäffner eine Informationsveranstaltung vor etwa einem Jahr in Erinnerung hat. „Ich bin daraus nicht schlau geworden und hatte den Eindruck, dass das alles schon beschlossene Sache ist.“

Stadt hat Eigeninteresse an Aussprache

An der Aussprache soll‘s nicht liegen, wie Walter Rügert als Pressesprecher der Stadtverwaltung zu dem Wunsch der vier Anwohner sagt. „Daran hat die Stadt aus naheliegenden Gründen großes Interesse“, so Rügert, der darauf verweist, dass bereits jedem Grundstückseigentümer mindestens ein Gesprächsangebot gemacht worden sei.

Ferner sei den Eigentümern ein Fragebogen zugesandt worden. Zugleich zeigt Walter Rügert Verständnis dafür, „dass sich manche Leute nicht richtig wahrgenommen fühlen“. Beim Hafner gehe es um etliche Parzellen, was erfahrungsgemäß mit einer Vielzahl von Interessen verbunden sei.

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Wie er von seinen Kollegen aus der Liegenschaftsverwaltung weiß, verlaufen die Gespräche insgesamt recht gut. In nächster Zeit werde man auf Patric Gibey, Claudia Degen und die Familie Schäffner zukommen, wobei als Alternative zum Verkauf der Grundstücke auch die verschiedenen Beteiligungsmodelle erläutert werden könnten.

Nichts zu rütteln gebe es jedoch bei der vom Gemeinderat beschlossenen Rahmenplanung, die die Grundlage für die Erarbeitung der Bebauungspläne bilde. In Letzteren geht es dann um konkrete Bauvorhaben mit Festlegungen etwa bei den Geschosshöhen. Klar sei auch, dass die aktive Beteiligung an diesen Bauvorhaben mit Kosten verbunden sei.