Herr Schaal, an die Sie Frage: Hat der Konstanzer Handel zu lange auf die Schweizer Kunden gesetzt, die nun ausbleiben?
Der Konstanzer Einzelhandel setzt schon seit Jahrhunderten auf unsere Schweizer Gäste. Zum Beispiel wurden aus Anlass des Konstanzer Konzils 1414 bis 1418 rund. 40.000 Gäste auch von unseren Schweizer Nachbarn mit Waren versorgt. Dies begründet sich in der geographischen Lage, die den Einzugsbereich und somit Kundenkreis definiert.
Je nach Geographie und Verkehrsinfrastruktur ist dieser Bereich mehr oder minder kreisförmig und sein Durchmesser hängt von der Attraktivität des eigenen Angebots und der Attraktivität und Lage konkurrierender Angebote in der Region ab. Für ein Unternehmen am Hochrhein liegen nun 180 Grad dieses Kundenkreises/Einzugsbereiches im Inland und die anderen 180 Grad im benachbarten Ausland. Auf die Schweizer Kundschaft zu verzichten, bedeutete also, auf den halben Kundenkreis zu verzichten. Die damit erreichte, vermeintliche „Unabhängigkeit“ wäre nichts anderes als eine ökonomische Fehlentscheidung.
Je nach Wechselkurs schwankt der Einkaufsverkehr mal mehr in Richtung Schweiz, mal mehr in Richtung Deutschland. Insbesondere durch die Freigabe des Frankenkurses 2015 gab es eine rasante Zunahme von Kunden aus der Schweiz. Davon hat Konstanz in hohem Maße profitiert. Aber damals war schon klar, dass dies kein Dauerzustand sein wird und wir auch wieder „kleinere Brötchen“ backen werden.
Dass der Kundenkreis aus der Schweiz mit spezifischen Risiken behaftet ist – Wechselkurs, Umsatzsteuerrückerstattung, Lohn- und Preisniveaudifferenzen – trifft zu, ändert aber nichts an der beschriebenen Lage. Der Handel hat deshalb zu jeder Zeit und in jedem Jahrhundert richtig gehandelt, genau die Nachfrage zu bedienen, die er jeweils bedienen konnte. Unsere Region ist so über Jahrzehnte zum erfolgreichen Nahversorger der Nordschweiz geworden. Und wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, wird sich auch das Angebot ändern – aber eben erst dann.
Die Wirtschaft passt sich den Situationen an. Aber aktuell hat niemand damit gerechnet, dass die nationalen Außengrenzen derart und über einen anhaltenden Zeitraum geschlossen werden. Für die Menschen in den Grenzregionen bedeutet das eine enorme Belastung, sowohl wirtschaftlich als auch persönlich. Und damit auch ein erheblicher Verlust für Konstanz.
Konstanz hat schon weit vor Corona durch attraktive Sortimente, interessante kleine inhabergeführte Geschäfte und größere Läden mit umfassendem Angebot mit einer schönen Altstadt und herrlicher Natur viele Menschen, insbesondere aus der Schweiz, nach Konstanz gelockt und darauf konnte und kann man setzen.
Denken Sie, dass die Schweizer Kunden wieder wie zuvor zurückkommen?
Ich denke ein „wie zuvor“ wird es durch die veränderten Gewohnheiten der Menschen, insbesondere durch den Online-Handel auf beiden Seiten der Grenze, nicht geben. Ein Jahr 2015 wird sich nicht wiederholen. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass das „Erlebnis Konstanz“ auch nach der Pandemie in hohem Maße attraktiv sein wird und die Gäste vor allem aus der Schweiz wieder zu uns kommen werden.
Vor Corona fuhren rund 50 Prozent der Bevölkerung aus dem Kanton Thurgau zum Einkaufen regelmäßig nach Deutschland, davon fast 30 Prozent nach Konstanz (Quelle: „Einkaufstourismus 2017 – Eine empirische Untersuchung in der Schweiz“, Prof. Dr. Thomas Rudolph, Universität St. Gallen; Folie 18/24). Vielleicht kommen sie in etwas geringerem Maße zu uns, jedoch schätzen unsere Schweizer Nachbarn vor allem die besondere Atmosphäre in Konstanz.
Alle Parameter, die den Einkauf in unserer Region attraktiv machen – Wechselkurs, Umsatzsteuerrückerstattung, Preisniveau, Einkommen und Kaufkraft der Schweizer Kunden, Aufenthaltsqualität in unseren historischen Innenstädten, Sortimentsbreite und Tiefe, Markenvielfalt und die Qualität der Dienstleistungen, Gastronomie und Freizeitangebote – werden auch nach der Pandemie ihre Wirkung entfalten.
Wie viel Prozent vom Umsatz haben Schweizer vor Corona ausgemacht und wie viel sind es aktuell?
Die Wirtschaftsförderung geht von einem durchschnittlichen Umsatzanteil der Schweizer von rund 30 bis 35 Prozent aus. In einzelnen Branchen können es bis zu 50 Prozent, in Extremfällen 70 Prozent sein. Die Auswirkungen durch die Corona-Pandemie sind noch nicht präzise genug einzuschätzen, da sie über das Jahr 2020 stark geschwankt haben (unterschiedliche Regelungen im Handel, an der Grenze).
Aber erhebliche Umsatzeinbußen sind leider jetzt schon Realität. Und dies extrem aus der Schweiz, derzeit nahezu gegen Null. Aus der Sicht des Handels hat die Altstadt ein Umsatzminus von rund 35 Prozent zu verzeichnen. In Anbetracht der gesamten Stadt Konstanz sollte sich dies auf 20 bis 25 Prozent zum Vorjahr belaufen.
Summiert handelt es sich um einen Umsatzrückgang des Einzelhandels von 160 bis 200 Millionen Euro. Ein weiterer Indikator sind die Ausfuhrscheine, die vom Zoll von Bad Säckingen bis Konstanz erfasst werden: 2011 waren dies 7,1 Millionen, 2015 11,3 Millionen – der Spitzenwert, 2019 9,9 Millionen. Die Prognose lautet: 2020 über 60 Prozent Einbruch durch Corona bedingte Einschränkung des Grenzverkehrs. Hinzu kommt die im Jahr 2020 eingeführte Bagatellgrenze in Höhe von 50 Euro.