Es ist eine Entscheidung, die alle betrifft, die in Konstanz Strom, Gas oder Wasser brauchen – also tatsächlich alle Menschen. Selbst wenn sie Energie von einem anderen Unternehmen beziehen: Die Leitung zu dem Haus, in dem sie wohnen, gehört den Stadtwerken. Zumindest im Moment noch. Denn die Stadtwerke, bisher zu 100 Prozent im Besitz der Stadt, prüfen den Einstieg eines Partners im Bereich Energie.

Dieser Schritt ist hoch umstritten. Nicht nur gibt es im Konstanzer Gemeinderat starke Stimmen gegen dieses Geschäft. Auch die drei Umweltschutzverbände Fridays for Future, BUND und NABU kritisieren in einer gemeinsamen Stellungnahme die zur Abstimmung stehenden Verkaufsverhandlungen der Stadtwerke. Sie befürchten durch den Verkauf einen Kontrollverlust des Gemeinderates und eine stärkere Renditeausrichtung der Konstanzer Stadtwerke.

Am Donnerstag, 20. Juli (16 Uhr, Ratssaal), soll der Gemeinderat darüber entscheiden, ob die Stadtwerke mit der Thüga eine Absichtserklärung zur Gründung eines gemeinsamen Unternehmens (Letter of Intent) abschließen. Die drei Verbände rufen zu einer gemeinsamen Mahnwache an dem Donnerstag der Ratssitzung für 15:30 Uhr vor dem Rathaus an der Kanzleistraße 15 auf.

Hier kommen die wichtigsten Fragen und Antworten zur vielleicht folgenschwersten politischen Entscheidung des Jahres 2023.

Brauchen die Stadtwerke überhaupt einen Partner?

Nun ja, die Stadtwerke sind nicht mehr die Ertragsperle, die sie einst waren. 2021 haben sie mit einem Minus von 11,3 Millionen abgeschlossen. Soeben wurden auch die Zahlen für 2022 bekannt. Da lag das Defizit bei 6,6 Millionen Euro, jeweils schon nach Steuern. Corona- und Energiekrise haben dazu wesentlich beigetragen, aber es gibt durchaus alarmierende Details.

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Der Fährbetrieb, sonst immer für einen Millionen-Überschuss gut, hat 2022 ein Minus von fast 100.000 Euro erwirtschaftet. Die Bädergesellschaft hat sogar einen Verlust von neun Millionen Euro gemacht, den die Stadtwerke tragen müssen (Vorjahr: 6,5 Millionen Euro). Hier schlagen vor allem die Energiekosten und die enormen Baukosten für das neue Schwaketenbad zu Buche. Das alles, auch in Verbindung mit sinkenden Gewinnen im Energiebereich, zeigt: Es gibt schon nachvollziehbare Gründe, warum die Stadtwerke über den Einstieg eines Partners nachdenken.

Wer ist die Thüga?

Die Thüga AG ist ein Konzern, der einer Reihe von kommunalen Energieversorgern gehört. Man kann es sich als eine Art Dach vorstellen, unter dem sich große (zum Beispiel Nürnberg, Hannover und Frankfurt) und kleine Versorger (zum Beispiel Radolfzell oder Villingen-Schwenningen) zusammengeschlossen haben.

Die Thüga, die 1867 in Gotha als Thüringer Gasgesellschaft gegründet wurde, sieht sich als Teil der Kommunalwirtschaft. Sie ist an einer Ausweitung ihres Geschäfts interessiert und sucht Städte, in denen sie investieren kann. Die Stadtwerke haben in den vergangenen drei Jahren aber auch mit anderen möglichen Partnern gesprochen und sehen mit der Thüga die besten Perspektiven.

Wie würden sich die Energie- und Wasserpreise ändern?

Das ist schwer zu sagen. Es gibt keinen generellen Trend, dass Strom und Gas bei Stadtwerken mit Thüga-Beteiligung teurer oder billiger sind. Denn auf der einen Seite ist die Thüga eine große Nachfragemacht und bekommt gute Einkaufspreise. Auf der anderen Seite will die Thüga für ihre Beteiligung eine Rendite sehen. Hier ist von fünf Prozent die Rede. Dazu ein Rechenbeispiel: Steigt die Thüga in Konstanz mit 30 Millionen Euro ein, müssten 1,5 Millionen an sie ausgeschüttet werden. Bezahlen müssen das am Ende natürlich die Kundinnen und Kunden.

Welche Vorteile würde der Thüga-Deal bringen?

Die Thüga würde sich in das zu gründende Unternehmen mit dem Arbeitstitel „Stadtwerke Konstanz Energie“ zu 25,1 Prozent einkaufen. Wie viel Geld dafür fließen würde, ist unklar, und das ist auch ein wesentlicher Kritikpunkt an den aktuellen politischen Vorgängen. Unter der Hand ist von 20 bis 50 Millionen Euro die Rede, was aber eine sehr weite Spanne darstellt.

Wichtiger als das Geld sind laut dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Stadtwerke, Oberbürgermeister Uli Burchardt, aber ohnehin die Kompetenzen, die die Thüga mitbringen würde. So soll es dort Zugang auf mehr Expertenwissen in Sachen Energiewende geben, was ein Ausweg aus dem unbestrittenen Fachkräftemangel bei der Stadtwerken Konstanz sein könnte.

Er sieht in einer strategischen Partnerschaft mit der Thüga große Chancen für die Stadtwerke Konstanz: Geschäftsführer Norbert Reuter.
Er sieht in einer strategischen Partnerschaft mit der Thüga große Chancen für die Stadtwerke Konstanz: Geschäftsführer Norbert Reuter. | Bild: Hanser, Oliver

Welche Nachteile sind zu befürchten?

Fest steht: Die Thüga will am Konstanzer Engagement etwas verdienen, und dieses Geld, also Geld der Stadtwerke-Kunden, fließt künftig aus Konstanz ab. Die Thüga würde im Gemeinschaftsunternehmen eine Sperrminorität bekommen. Das heißt, der neue Gesellschafter könnte grundlegend bedeutsame Entscheidungen blockieren, wenn diese seinen Zielen nicht dienen.

Entscheidungen, die Konstanz betreffen, würden nicht mehr allein aus der Konstanzer Perspektive gefällt, sondern auch unter der Maßgabe des Erfolgs der Thüga. Konstanz müsste Kontrolle über ein wesentliches Zukunftsprojekt abgeben – ob das aber wirklich ein Nachteil ist, ist durchaus umstritten.

Sie lehnen einen Thüga-Einstieg auf der Basis der bisher bekannten Informationen ab: Thorben Klee, Christine Mellen, Baldur Patzel und ...
Sie lehnen einen Thüga-Einstieg auf der Basis der bisher bekannten Informationen ab: Thorben Klee, Christine Mellen, Baldur Patzel und Astrid Lindmar engagieren sich bei Fridays for Future und haben schon vor der letzten politischen Sitzung zum Thema vor dem Rathaus demonstriert. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Was würde ein Gemeinschaftsunternehmen für die Infrastruktur bedeuten?

Die neue Firma würde das gesamte Strom- und Gasnetz in Konstanz besitzen. Noch offen ist, ob das Trinkwassernetz ebenfalls eingebracht wird – die Stadtwerke befürworten es, Stimmen im Gemeinderat lehnen es ab. Ein Teil der für das Funktionieren der Stadt überlebenswichtigen Infrastruktur würde aber so oder so nicht mehr allein der Stadt gehören. Auf der anderen Seite stehen auch Investoren bereit, die mehr in zukunftsfähige Versorgungsnetze investieren könnten, als dies den Stadtwerken allein möglich wäre.

Wie gut kann die Thüga bei der Energie- und Wärmewende helfen?

Die Stadtwerke stellen es weiterhin so dar, dass sie rund 500 Millionen Euro für den Aufbau von Wärmenetzen brauchen. Allerdings ist nicht ganz klar, über welchen Zeitraum – und wie viel sie davon nach möglicher Bundes- und Landesförderung tatsächlich selbst aufbringen müssten. Die Thüga würde, so die Befürworter, aber nicht nur Investitionsmittel einbringen, sondern auch Fachwissen.

Weil alle Städte vor der gleichen Aufgabe stehen, könnten viele Planungen und Überlegungen zentral angestellt werden, was vor Ort Kosten und Zeit sparen könnte. Auf der anderen Seite gibt es zum Beispiel bei Fridays for Future erhebliche Zweifel, ob es die Thüga mit dem Erdgas-Ausstieg wirklich ernst meint.

Können die Bürger noch mitreden?

Bisher war geplant, dass die zentralen Entscheidungen vom Gemeinderat als gewähltem Gremium der Bürger getroffen werden. Ein vom SÜDKURIER mitveranstalteter Diskussionsabend am 20. Juni hat aber auch gezeigt, dass das Interesse in der Öffentlichkeit sehr groß ist. Wohl auch vor diesem Hintergrund beantragt die Linke Liste nun einen Bürgerentscheid. Zwei Drittel der Ratsmitglieder inklusive OB, also 28 Stimmen, müssten dafür zustande kommen. Das erscheint nicht sehr realistisch. Ansonsten könnten sich die Konstanzerinnen und Konstanzer möglicherweise mit einem Bürgerbegehren die Mitsprache erzwingen, wofür aber rund 5000 Unterschriften von Wahlberechtigten nötig wären.

Käme Konstanz aus dem Thüga-Geschäft auch wieder raus?

In jedem Beteiligungsvertrag sind Bestimmungen erhalten, wie eine Verbindung wieder gelöst werden kann. So wird es auch im Fall des Thüga-Einstiegs sein, betonen die Stadtwerke. Wenn allerdings in der gemeinsamen Zeit große gemeinsame Werte geschaffen werden – zum Beispiel Wärmenetze – würde auch eine Scheidung entsprechend teuer, weil sich Konstanz ja herauskaufen müsste.

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Aber auch hier gilt: Es ist bisher nicht einmal der vorgeschlagene Wortlaut des Letter of Intent, also der Absichtserklärung zum Zusammenschluss, öffentlich geworden. Noch weniger ist klar, um welche Summen es überhaupt geht. Deshalb bleibt das Szenario einer Trennung derzeit eher hypothetisch.