Corona hat die Welt im Griff. Ständig neue Einschränkungen und Maßnahmen. Wer sich nicht auf dem Laufenden hält, dem droht Ungemach. Sina-Maria Bischof aus Litzelstetten muss diese Lehre ziehen. „Ignorantia legis non excusat“, lautete ein römischer Rechtsgrundsatz; Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.

Sina-Maria und zwei Freunde wussten etwas nicht und wurden bestraft. Milde erfuhren sie nicht, auch wenn die möglich gewesen wäre. „Milde erreicht mehr als Heftigkeit“, behauptete schon der französische Schriftsteller Jean de La Fontaine. Doch der Reihe nach.

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Der Freund der damals 15-Jährigen hatte am 2. Mai 2020 einen Termin auf dem Polizeirevier Radolfzell. „Er musste eine Aussage machen“, sagt Sina-Maria Bischof. Er fragte seine Freundin, ob sie ihn begleiten könne, ein weiterer Freund sei ebenfalls dabei. „Wir sind mit dem Zug von Konstanz nach Radolfzell gefahren und vom Bahnhof zum Revier gegangen. Wir trugen die ganze Zeit Masken.“

Bild 1: Drei Konstanzer Teenager warten gemeinsam vor dem Polizeirevier Radolfzell. Für diesen Verstoß gegen die Corona-Verordnung sollen sie nun jeweils 500 Euro Strafe zahlen
Bild: Schuler, Andreas

Am Ziel angekommen, wurden sie nach ihren Angaben von den Beamten gebeten, kurz vor dem Gebäude zu warten. Nachdem Sina-Marias Freund seine Aussagen getätigt hatte, stellte laut Schilderung der jungen Frau ein Beamter fest, dass die drei jungen Menschen gemeinsam vor dem Gebäude warteten und dass dies verboten sei, da sie aus drei Haushalten stammten und maximal zwei erlaubt seien.

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„Die haben unsere Personalien aufgenommen und gesagt, dass wir einen Brief erhielten.“ Die Polizei widersprach auf SÜDKURIER-Anfrage diesen Schilderungen nicht. Noch gingen die jungen Menschen davon aus, maximal eine Ermahnung zu erhalten. Ein bitterer Trugschluss.

Angst bei jedem Klingeln

Es dauerte fast sieben Monate, ehe Familie Bischof Post von der Stadt Radolfzell erhielt. Als Mutter Bettina den Umschlag öffnete, traf sie der sprichwörtliche Schlag. „Ihnen wird zur Last gelegt, am 2. Mai 2020, um 16.30 Uhr, in Radolfzell, Güttinger Straße 1, folgende Ordnungswidrigkeit begangen zu haben: Sie hielten sich trotz eines Aufenthaltsverbotes mit mehr als einer weiteren Person, die nicht zu den Angehörigen des eigenen Haustands gehört, im öffentlichen Raum vor dem Polizeirevier auf.“ Danach der Hinweis auf den Paragrafen der Corona-Verordnung. Vier Beamte wurden als Zeugen genannt. Höhe der Strafe: 500 Euro, in Worten: fünfhundert.

Bild 2: Drei Konstanzer Teenager warten gemeinsam vor dem Polizeirevier Radolfzell. Für diesen Verstoß gegen die Corona-Verordnung sollen sie nun jeweils 500 Euro Strafe zahlen
Bild: Schuler, Andreas

Die Stadt Radolfzell antwortet dem SÜDKURIER auf die Frage, wie dieser Betrag zustande kommt: „Zum damaligen Zeitpunkt gab es keinen Regelbetrag für derartige Verstöße gegen die Corona-Verordnung des Landes. Der Rahmen des damals gültigen Bußgeldkatalogs umfasste 100 Euro bis 1000 Euro.“ Wieso die Stadt dann 500 Euro wählte und nicht 100 oder 1000 – darauf ging die Stadt nicht ein.

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„Ich bin immer noch schockiert und verliere den Glauben. Das ist echt willkürlich“, sagt Bettina Bischof. Bisher hat sie noch keinen Cent überwiesen, am Telefon sei ihr die Möglichkeit des Einspruchs erläutert worden. „Das habe ich noch nicht gemacht. Mein Mann wurde arbeitslos, es geht ihm nicht gut. Ich muss mit meiner 80-Prozent-Stelle unsere vierköpfige Familie ernähren. Es ist alles sehr schwierig und ich habe keine Ahnung, wie es weitergeht. Wir haben definitiv keine 500 Euro über.“

Im Januar kam die erste Mahnung, in der mit Vollstreckungsmaßnahmen und Erzwingungshaft für Sina-Maria gedroht wird. Der Betrag erhöhte sich zwischenzeitlich auf 532,50 Euro. „Jedes Mal, wenn es klingelt, habe ich Angst, dass mir eine Tochter genommen wird“, erzählt Bettina Bischof, die sich nicht mehr bei der Behörde gemeldet hat.

Bild 3: Drei Konstanzer Teenager warten gemeinsam vor dem Polizeirevier Radolfzell. Für diesen Verstoß gegen die Corona-Verordnung sollen sie nun jeweils 500 Euro Strafe zahlen
Bild: Schuler, Andreas
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Nachfrage in Radolfzell. Gibt es die Möglichkeit der nachträglichen Kulanz? Die Antwort: „Eine Einstellung des Ordnungswidrigkeitsverfahrens ist nicht möglich. Eine Reduzierung des Bußgeldes kann gegebenenfalls erfolgen. Dies bedarf der Antragsstellung und der erneuten rechtlichen Prüfung.“

Bild 4: Drei Konstanzer Teenager warten gemeinsam vor dem Polizeirevier Radolfzell. Für diesen Verstoß gegen die Corona-Verordnung sollen sie nun jeweils 500 Euro Strafe zahlen
Bild: Schuler, Andreas

Die Familie erhält einen Wink von der Stadt: „Es besteht die Möglichkeit auf rechtliches Gehör im Anhörungsverfahren mittels Anhörungsbogen vom Bußgeldbescheid oder im Einspruchsverfahren, das eine gerichtliche Entscheidung herbeiführt. Beide Möglichkeiten wurden hier nicht wahrgenommen. Eine nachträgliche Änderung bedürfte eines Antrags bei der Ortspolizeibehörde, den Sachverhalt auf Hintergrund etwaiger neuer Rechtsprechung neu zu bewerten.“ Auch eine Ratenzahlung des Bußgelds sei möglich.

Behörden haben Spielraum

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Eine weitere Frage bleibt: Wieso haben die Beamten die drei jungen Menschen nicht nur mündlich ermahnt? Immerhin liegt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit ihrem Handeln zugrunde. Polizeisprecher Dieter Popp: „Die Polizei hat den Sachverhalt festgestellt und in Form einer Ordnungswidrigkeitenanzeige an das Ordnungsamt weitergegeben. Von dort wird ein Bußgeld festgelegt.“ Was sich sperrig anhört, ist es auch.

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Und weiter: „Bezüglich der Verstöße gegen die Corona-Verordnung wurde seitens des Innenministeriums und der Polizeipräsidien hinreichend kommuniziert, dass diese bei Feststellung konsequent geahndet werden.“ Dieter Popp sagt aber auch, dass die Polizei nach dem Opportunitätsprinzip handele.

Vor einer Woche am Schänzle: Ob hier bei allen Ansammlungen die Corona-Verordnung berücksichtigt wurde?
Vor einer Woche am Schänzle: Ob hier bei allen Ansammlungen die Corona-Verordnung berücksichtigt wurde? | Bild: Jürgen Rössler

Dieses Prinzip besagt, dass es im Ermessen der Behörde liegt, ob sie tätig werden möchte oder nicht. „Wir haben unsere Maßnahmen nach pflichtgemäßen Ermessen zu treffen.“ Zwischen mündlicher Verwarnung und einer Anzeige läge in diesem Fall der Spielraum. Er bittet um Verständnis: „Uns nervt Corona auch und es gefällt uns nicht, Otto-Normalverbraucher anzuzeigen. Wir haben die Regelungen nicht getroffen, wir müssen sie lediglich umsetzen.“