Gemäßigten Schrittes schreiten Damen in langen Kleidern mit aufgespannten Sonnenschirmen und Herren mit Zylinder und Gehrock langsam in Richtung Dingelsdorfer Schiffslände. Passanten bleiben stehen, zücken ihre Handys und fotografieren diese ungewöhnliche Szenerie.

Bild 1: Ein Hauch von Titanic am Bodensee: Wenn die Fans der Belle Époque auf Sonntagsausflug mit dem historischen Motorschiff Oesterreich sind
Bild: Scherrer, Aurelia

Die Gruppe ist es gewohnt, derart im Mittelpunkt zu stehen. Die Damen und Herren haben ein Faible für die Belle Époque, kleiden sich im Stil dieser Ära und machten just am Sonntag einen Ausflug mit dem historischen Motorschiff Oesterreich.

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Die originalgetreue Garderobe fertigt Marion Mesle, Mutter der Gründerin der Gruppe „Sissis Erben“, von Hand. Die mittlerweile 40-köpfige Gruppe tritt immer wieder im Rahmen des Schlossfestes auf der Insel Mainau auf, unternimmt aber auch gemeinsam Ausflüge. An diesem Sonntag sind 20 Personen der Gruppe an Bord – wie diese Lady in red.

Luise Maier aus Wutöschingen
Luise Maier aus Wutöschingen | Bild: Scherrer, Aurelia

„Ich trage eine Tournüre, etwa 1871“, erklärt die Dame im roten Dress. Luise Maier verweist auch auf die Details der Accessoires, wie beispielsweise die aufwändig bestickte Handtasche.

„Solch eine Garderobe hat die gehobene Bürgerschaft getragen“, sagt Ingid Jauch aus Metzingen, die sofort auf ein weiteres Accessoire hinweist: „Natürlich trägt man Handschuhe.“

Ingid Jauch aus Metzingen
Ingid Jauch aus Metzingen | Bild: Scherrer, Aurelia

Die Frau im blauen Kleid erklärt außerdem: „Unverzichtbar bei Sonnenschein ist der Schirm, denn es gilt, die vornehme Blässe zu bewahren.“ Kaum von Bord wurden die Sonnenschirme aufgefaltet.

Die Herren der Gruppe brauchen das nicht – sie sind aber ebenso auffällig. Auch Manfred Sontheimer aus Radolfzell ist ein Hingucker. Er trägt an diesem Tag eine Ausgeh-Gala-Uniform.

Manfred Sontheimer aus Radolfzell
Manfred Sontheimer aus Radolfzell | Bild: Scherrer, Aurelia

„Sie wurde etwa von 1860 bis 1900 getragen, mit badischem Wappen und eigener Pickelhaube. Wir Soldaten waren damals in der Klosterkaserne in Konstanz-Petershausen stationiert“, berichtet er, der schon ganz in seine Rolle geschlüpft ist.

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Timo und Norbert Pfeiffer haben sich etwas von der distinguierten Gruppe separiert, geben sich burschikos-hemdsärmelig. „Wir sind im Titanic-Style“, grinst Norbert Pfeiffer, bekennender Fan des historischen Dampfschiffs Hohentwiel. Dass sie nicht mit der Hohentwiel, sondern mit dem historischen Motorschiff Oesterreich fahren, stört sie nicht.

Norbert (links) und Timo Pfeiffer (rechts) aus Oberstaufen
Norbert (links) und Timo Pfeiffer (rechts) aus Oberstaufen | Bild: Scherrer, Aurelia

Auch wenn er nun mit dem ersten Bodensee-Motorschiff unterwegs ist und nicht mit der Titanic – fügt der Vater mit Blick auf Sohn Timo an: „Er gibt den Jack.“ Schon beim Anblick der Kleidung ist offenkundig, dass sie nicht der vornehmen Gesellschaft zugehören.

Die Kleidung verwies auch noch in der Belle Époque (etwa 1884 bis 1914) stets auf die gesellschaftliche Stellung. „Die Herren trugen immer gedeckte Farben, aber die besten Stoffe“, erzählt Jens Breyer aus Konstanz und fügt mit Blick auf seine Gattin Alla Gotlinska-Breyer an: „Damals war die Frau das Aushängeschild der Familie.“

Alla Gotlinska-Breyer und Jens Breyer aus Konstanz
Alla Gotlinska-Breyer und Jens Breyer aus Konstanz | Bild: Scherrer, Aurelia

„Ich trage eine Tournüre, etwa um 1880“, stellt Alla Gotlinska-Breyer fest. Die Tournüre, die etwa ab Ende der 1860er Jahre als Nachfolgemodell der Krinole entwickelt wurde, bezeichnete zunächst lediglich den Rockunterbau, später das gesamte Kleid.

Jens Breyer verweist auf die aufwändige Garderobe, erinnert daran, dass seinerzeit praktische Kleinigkeiten wie Häkchen noch nicht verfügbar waren, und fügt an: „Wer sich so etwas Schönes leisten konnte, brauchte mindestens eine Anziehdame, die behilflich war.“

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Zu Beginn und der Mitte des 19. Jahrhunderts war die Kleidung noch pompöser. Mit dem Beginn der Belle Époque änderte sich das. Elisabeth Held erklärt: „Die Röcke waren nicht mehr so ausladend, die Schleppe nur noch dezent angedeutet und die Puffärmel nicht mehr ganz so groß.“

Elisabeth Held aus Schliengen
Elisabeth Held aus Schliengen | Bild: Scherrer, Aurelia