Sebastian Pfaff geht die Nachverdichtung in Konstanz zu weit. Der 39-Jährige lebt mit seiner Familie in Petershausen, am Keltenweg. In dem Gebiet wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Häuser in bisherige Lücken gebaut, etwa an der Markgrafenstraße.
Das stößt vielen Anwohnern sauer auf. Pfaff sei grundsätzlich der Meinung, dass es gut sei, wenn man Wohnungen baut, sagt er. „Aber man sollte es sinnvoll machen. Es soll ja nicht solche Situationen haben wie in Hongkong, wo die Stadt auf der Stadt entsteht.“ Wie kann Nachverdichtung sinnvoll sein?
Pfaff steht im Innenhof des Gebäudekomplexes zwischen der Ecke Markgrafen-, Alemannenstraße und dem Kreisverkehr der Reichenaustraße. Die Nachverdichtung am Markgrafenareal, umgesetzt von der Baugesellschaft Doser und Partner, stellt für viele Konstanzer ein Negativbeispiel der Nachverdichtung dar.

„Das sieht nicht wahnsinnig schön aus“, sagt Pfaff und zeigt auf die neuen Gebäude, die wie Pflastersteine zwischen den Bestandshäusern stehen. „Wenn man sich überlegt, dass man vom Balkon aus nur auf eine Wand schaut, da ist der Mehrwert von den Balkonen eigentlich schon wieder weg.“
Pfaff wohnt selbst in einem Haus, das vor einem Jahr im Zuge der Nachverdichtung genau hinter dieser Häuserzeile entstanden ist. Dort ist nun auf einer Grünfläche mit Garagen ein weiteres Gebäude geplant, in dem Studenten unterkommen sollen. Das findet Pfaff nicht gut. „Gibt es nicht andere Plätze, die man zuerst erschließen sollte?“ Die Dichte an Wohngebäuden ist laut dem Anwohner in dem Gebiet an ihre Grenzen gestoßen.

Experte: „Nachverdichtung klingt immer sehr negativ“
Wenn man Leonhard Schenk, Professor für Städtebau an der HTWG Konstanz nach den Grenzen der städtischen Nachverdichtung fragt, erklärt er, dass er meistens einen anderen Begriff verwendet. „Das Wort Nachverdichtung klingt immer sehr negativ.“ Schenk spricht von Innenentwicklung. Und damit bringt er auf eine Unterscheidung ins Spiel, die für das Verständnis der Stadtplanung relevant ist: Innenentwicklung und Außenentwicklung.
Außenentwicklung ist die Erweiterung von Stadtgebiet an den Stadtgrenzen, also das Wachsen der Stadt im Neubaugebiet. Innenentwicklung passiert auf freien oder erweiterbaren Flächen, die bereits im erschlossenen Gebiet sind. Also Anbau von Gebäuden, Aufstockungen oder das Schließen von Baulücken.
Für die Außenentwicklung hat Konstanz nur begrenzte Möglichkeiten, das Stadtgebiet ist von Barrieren wie dem Bodensee, einer Landesgrenze und Naturschutzgebieten umgeben. „Konstanz hat sich in der vergangenen Zeit zurecht auf die Innenentwicklung konzentriert“, sagt Schenk. „Aber diese konnte irgendwann nicht mehr schritthalten mit dem Bedarf.“ Deshalb plant die Stadt auch den Hafner, ein neues Quartier nördlich von Wollmatingen.
Laut einem Gutachten der TU Darmstadt könnten in Deutschland über 1,5 Millionen Wohnungen allein durch das Aufstocken zusätzlicher Geschosse auf bestehende Wohngebäude entstehen – ein Ergebnis, das oft in Diskussionen um das Potenzial von Innenentwicklung erwähnt wird.
Von solchen Berechnungen hält Leonhard Schenk wenig. „Das ist eine theoretische Zahl, das geht natürlich nicht.“ Baurecht, Denkmalschutz oder Gebäudestatik machen der Idee wohl einen Strich durch die Rechnung.
Hinzu kommt: Wo Nachverdichtung möglich und sinnvoll wäre, scheitert es oft an den Eigentumsverhältnissen. Eine Aufstockung wird zum Beispiel schwieriger, wenn das Haus mehreren Parteien gehört. „Leichter wird es, wenn das gesamte Haus einem Eigentümer, einer Baugenossenschaft oder der Stadt gehört.“
Und wenn eine innerstädtische, bebaubare Fläche aus einem Flickenteppich kleiner Privatgrundstücke besteht, führt das möglicherweise zu einer kleinteiligeren Bebauung. Dann stehen irgendwann die Häuser dicht an dicht. Wie etwa an der Markgrafenstraße – und bald auch am Keltenweg?

Dort kritisiert Sebastian Pfaff, dass damals die Baulücke nicht im Ganzen bebaut wurde. „Wenn man das gesamte Areal hier erschlossen hätte, dann wäre das was anderes. Dann hätte man sich auch überlegt, wie man die Grünflächen nutzen kann und wo ein Spielplatz hinkommen kann.“ Er befürchtet auch, dass die Lücken zwischen den Gebäuden im Brandfall zu eng für die Feuerwehr sein könnten.
Die Stadt betont allerdings, dass der Bauantrag zum geplanten Studentenwohnheim ein Brandschutzkonzept eines zugelassenen Sachverständigen enthält. Dabei seien auch Feuerwehrzufahrten berücksichtigt, so Walter Rügert, Pressesprecher der Stadt. „Das Gutachten wurde ergänzend der Feuerwehr Konstanz zur Prüfung vorgelegt. Deren Stellungnahme liegt bisher allerdings noch nicht vor“, antwortet Rügert. Die Einhaltung brandschutzrechtlicher Vorgaben sei aber Grundvoraussetzung für eine Baugenehmigung.
Ein Wohngebiet kann durch Bauen verbessert werden
Auch wenn es zunächst paradox klingt: Leonhard Schenk ist davon überzeugt, dass ein Wohngebiet besser werden kann, wenn man etwas dazubaut. Dafür müsse es aber zu einer „doppelten Innenentwicklung“ kommen, erklärt der Stadtplaner; „zur quantitativen aber auch zur qualitativen“.
Nachverdichtung dürfe also nicht ausschließlich zu mehr Wohnungen führen. „Im besten Fall kann man damit auch Probleme lösen und die Qualität eines Wohngebiets erhöhen.“ Ein der Länge nach ausgerichteter Neubau an einer Straße kann zum Beispiel die Höfe dahinter ruhiger machen.

Vor Pfaffs Haus ist es ruhig. Man hört die Vögel singen, nur hin und wieder tönt ein Martinshorn oder das Hupen eines Autos von der Reichenau- und der Markgrafenstraße her. Ob der Innenhof durch die geschlossenen Baulücken stiller geworden ist? Das kann Sebastian Pfaff nicht sagen.
Die neuen Häuser stehen schon länger dort, als er hier wohnt. Zur geplanten Entwicklung neben seinem Haus hat er aber Befürchtungen: „Ich denke, dass die Wohnqualität leiden wird. Durch den durch den erhöhten Lärm, den es geben wird, weil die Wände den Schall reflektieren.“
Vor einer Nachverdichtung muss laut Schenk geklärt werden, ob ein Projekt überhaupt umsetzbar und realistisch ist, wie es gegen den Wohnungsmangel hilft und ob dadurch die Qualität in dem Gebiet besser besser wird.
Pauschal ließe sich das nicht beantworten. Dafür müsse man jedes Projekt individuell betrachten. „Zwischen den langen Häuserzeilen der 50er- und 60er-Jahre gibt es viel Platz, wo man bauen oder anbauen kann.“ Im Stadtbild aus der Gründerzeit, etwa im Paradies, gebe es dagegen kaum Platz.
Anwohner: „Es wird einfach extrem eng“
„Wenn quantitative und qualitative Innenentwicklung zusammengehen, dann ist es als Chance zu begreifen“, sagt Schenk. „In Konstanz wurde das bisher gut umgesetzt“, sagt der Experte und verweist etwa auf das ehemalige Great Lakes Areal am Seerhein: früher Industriegebiet, heute Wohngebiet mit Uferpromenade für die Öffentlichkeit.
Wenn sich die Qualität für das Wohnviertel nicht spürbar verbessere, sagt Schenk, fehle die Akzeptanz der Anwohner. „Und dann ist es auch nachvollziehbar, dass die Betroffenen das als Belastung wahrnehmen.“
Sebastian Pfaff sieht diese Belastung schon auf sich zukommen. Deshalb bleibt er an dem Thema dran. „Es ist auch nicht so, dass wir jetzt Sturm laufen, weil das ein Studentenwohnheim wird. Auch wenn es ein normales Wohnhaus wäre, dann hätten wir uns schon auch informiert und wären dagegen vorgegangen“, erklärt er. „Es wird einfach extrem eng.“