Sportwetten sind längst ein Milliardengeschäft. Laut dem Deutschen Sportwettenverband DSWV erlösten die Wettanbieter hierzulande vor neun Jahren noch kaum zwei Milliarden Euro. 2019 waren es bereits mehr als neun Milliarden Euro – Tendenz steigend.

Nach DSVW-Auskunft gibt es in Deutschland zwischen 5000 und 6000 Wettbüros, die Branche beschäftigt mehr als 25.000 Mitarbeiter. Zwischen 75 und 90 Prozent des Geldes werden wieder als Gewinne an die Spieler ausgeschüttet – was sich irgendwie verlockend anhört. Doch laut Experten sind die Gewinner in aller Regel die Anbieter.

Gewettet, verloren und Reißaus genommen

Auch in Konstanz existieren mehrere Wettbüros. Ein solches in Petershausen visierte ein 21 Jahre junger Mann am Vormittag des 28. Oktober 2020 an. An der Kasse bat er um Wettscheine für Live-Wetten im Wert von 1025 Euro. Laut Vernehmungsprotokoll gab er an, später dafür zahlen zu wollen.

Dazu sollte es jedoch nicht kommen. Als der junge Mann, der 2018 als Flüchtling nach Deutschland kam und in einer Unterkunft in Titisee-Neustadt gemeldet ist, feststellte, dass er mit seinen Tipps nichts gewonnen hatte, nahm er Reißaus.

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Rund um den 28. Oktober fiel er mit einem identischen Verhaltensmuster in diversen Wettbüros in Essen, Stuttgart, Freiburg und Villingen auf – bis er aufgrund von Fahndungsfotos und Fingerabdrücken auf einer Getränkeflasche festgenommen werden konnte. Der Gesamtschaden beläuft sich auf 11.165 Euro.

Seit März saß er in Konstanz Untersuchungshaft, nun wurde vor dem Amtsgericht sein Fall verhandelt. Schon in den Vorjahren erhielt er Geldstrafen für nahezu identische Vergehen bundesweit.

Verhandlung im Amtsgericht wird unterbrochen

Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Richterin unterbrachen die Verhandlung am Konstanzer Amtsgericht nach rund eineinhalb Stunden und zogen sich zu einem Rechtsgespräch zurück.

Richterin Michalski regte dies an, nachdem der Angeklagte via Dolmetscher das Gericht mehrmals aufforderte, ein Video aus einem Villinger Wettbüro vor Gericht zu zeigen. Die Vorwürfe gegen ihn würden nicht stimmen, vielmehr sei er festgehalten und ihm ein Handy entrissen worden.

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„Das Gericht würdigt die Beweise natürlich. Haben sie denn mit ihrem Mandanten vorher alles besprochen?“, fragte sie den Rechtsanwalt angesichts der unerwarteten Aussagen seines Mandanten, die sich offenbar weder mit den Protokollen noch den Zeugenaussagen deckten. „Ich verschließe mich einem Rechtsgespräch nicht“, antwortete der Rechtsanwalt – wodurch es zu einer Verfahrensabsprache und schließlich zum Geständnis des Angeklagten kam.

Mitarbeiter sollen den Verlust zahlen

Vor dem Saal des Amtsgerichts saßen mehreres Mitarbeiter von Wettbüros aus Freiburg und Essen, die extra zum Prozess angereist waren – insgesamt waren elf Zeugen geladen. Aufgrund des plötzlichen Schuldeingeständnis waren deren Aussagen nicht mehr vonnöten.

„Macht nichts. Hauptsache, wie bekommen unser Geld wieder“, sagte einer der Männer. „Wir müssen nämlich dafür haften, weil wir die Wettscheine ausgegeben haben, ohne gleich Geld dafür einzufordern. Mein Chef möchte, dass ich den Verlust zahle.“

Symbolbild aus einem Konstanzer Wettbüro.
Symbolbild aus einem Konstanzer Wettbüro. | Bild: Marc-Julien Heinsch

Ein ermittelnder Konstanzer Beamter bestätigt nach Recherche: „Geschädigt sind zunächst die Mitarbeiter, das sie die strikte Anweisung haben, erst zu kassieren.“ Ein Freiburger Mitarbeiter eines Wettbüros erzählte vom großen Vertrauen in den Mann, „denn er hatte immer große Geldbündel dabei und er gab auch Trinkgeld, wenn er gewonnen hat. Doch einmal ist er dann abgehauen ohne zu bezahlen“.

Die Richterin zeigte sich erstaunt: „Offenbar ist das dann eine Dienstpflichtverletzung, wenn nicht gleich abkassiert wird. Innerhalb von Minuten haben die Menschen hohe Schulden.“ In einem Fall waren es 7999 Euro. „So ein Kredit ist schon etwas“, stellte die Richterin fest, die in ihrem Urteil dem Antrag der Staatsanwältin folgte.

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Die Verteidigung bemängelte die Tatsache, „dass es in Wettbüros keine Überprüfung der Kreditwürdigkeit der Kunden gibt und Mitarbeiter offenbar Anweisungen nicht befolgen“.

Der junge Mann bekam schließlich zwei Jahre auf Bewährung. Die Richterin berücksichtigte das Geständnis, die Tatsache, dass er bisher bei mehreren Vergehen noch keine Haftstrafe erhielt sowie die große Sprachbarriere und die fehlende Schulausbildung.

Richterin: „Sie dürfen sich nichts mehr leisten“

„Beim nächsten Mal müssen Sie jedoch zwingend dauerhaft ins Gefängnis“, sagte sie. „Sie dürfen sich nichts mehr leisten. Ich hoffe, dass Sie es mit dem Geständnis ernst meinen und sie jetzt wissen, dass das nicht der richtige Weg war.“ Sie bezeichnete das Urteil als Chance an und ordnete darüber hinaus 100 Stunden gemeinnützige, unentgeltliche Arbeit an.

„Außerdem müssen Sie sich drei Jahre lang der Leitung und der Aufsicht eines Bewährungshelfers unterstellen und jeden Wohnungs- und Arbeitsplatzwechsel unverzüglich mitteilen.“ Die 11.165 Euro muss er den Geschädigten zahlen.

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